Die Berlinale hat ihren Ruf, ein politisches Festival zu sein, gleich am ersten Tag verteidigt. Der französische Regisseur Etienne Comar präsentiert mit „Django“ ein in finstersten Nazi-Tagen spielendes Musiker- und Flüchtlingsdrama.

Berlin - Regelmäßig kommt die Frage auf, ob und wozu Filmfestivals noch gebraucht werden. Wer Glück hat, bekommt Antworten wie jene der diesjährigen Berlinale-Jury. „Wenn ich einen tollen Film genieße, ist das so, als würde der Film mir erlauben, mich selbst in ihm zu sehen, mich in ihm wiederzuerkennen“, sagt der isländische Künstler und Berlinale-Juror Olafur Eliasson am Donnerstagmorgen vor der Presse. „Dann ist es, als würde der Film mich anschauen und mir das Gefühl geben: Ich existiere, ich bin Teil der Welt, ich bin nicht gleichgültig.“ Schöner kann man eine Liebeserklärung an bewegte Bilder auf großer Leinwand wohl kaum formulieren.

 

Aber einfacher. „Lass uns ins Kino gehen und ein bisschen träumen“, schlägt der Jazzgitarren-Virtuose Django Reinhardt seiner Geliebten Louise vor. Und der französische Regisseur Etienne Comar übersetzt die Worte in einigen starken Sequenzen in Bilder. Er habe kein Biopic drehen, sondern sich auf einen Zwiespalt des Künstlers zwischen 1943 und 1945 konzentrieren wollen, sagt er über sein Spielfilmdebüt „Django“, mit dem die Berlinale am Donnerstagabend eröffnet worden ist.

Rampenlicht und Schatten

Gleich zu Beginn zelebriert Django in einem voll besetzten Pariser Theater des Jahres 1943 seinen Gypsy Swing und sein perlendes, rasantes Solospiel, bei dem er nie die Harmonien aus dem Auge verliert. Die Kamera umschmeichelt ihn und seine Musiker, das Rampenlicht und der umgebende Schatten sind perfekt gesetzt – fast fühlt es sich an, als wäre man dabei.

Um die Bühnenmomente glaubwürdig verkörpern zu können, habe er vor dem Dreh fleißig Gitarre geübt, sagt Hauptdarsteller Reda Kateb vor der Presse. Die anderen Musiker seien Profis, erklärt Comar, und er habe das Rosenberg-Trio mit Biréli Lagrène vorab den Soundtrack aufnehmen lassen: „Ich wollte, das man die Energie der Musik hört und sieht und spürt.“ Bei einem Ball, den Nazi-Offiziere als Ablenkung vom Krieg veranstalten, breiten Django und seine Musiker die Magie des Swing aus, und selbst die steifsten Maßregler und Mörder geraten in Wallung und tanzen so ausgelassen, dass die Wachtposten draußen angesichts so einer wilden Leidenschaft mit offenem Mund in den Saal starren. Nur der schärfste Hund widersteht der Verführung und beendet die „Affenmusik“.

Auf der Flucht vor den Nazis

Django lässt wenig an sich heran vom Krieg, und Kateb gelingt es ganz wunderbar, dem Starmusiker den überheblichen Gestus eines scheinbar Unantastbaren zu verleihen, der sich von niemandem etwas sagen lässt – sein Talent wird ihn schon schützen. Als er aber eine Deutschland-Tournee machen und in Berlin vor Goebbels spielen soll, gerät er in einen Zwiespalt und entschließt sich zur Flucht.

Der Haken dabei: Dieser Django ist und bleibt ein Eskapist. Als er den Satz übers Kino sagt, hat Louise ihm gerade eröffnet, dass die Nazis massenweise Sinti und Roma deportieren und umbringen. Django aber verharrt, entwickelt sich kaum – der von Eliasson formulierte Anspruch bleibt da in Teilen auf der Strecke. Ständig muss Django gedrängt und angetrieben werden von Louise (mit energischem Charme: Cécile de France) oder von seiner Mutter (großartig als liebevolle Tyrannin: Bimbam Merstein).

Ergreifend sind die Szenen in einem Wagenlager an der Schweizer Grenze, die Comar mit echten Sinti gedreht hat. In voller Wucht zeigt er die Flammenwerfer, mit denen die Deutschen alles in Schutt und Asche legen – und erinnert im Licht der aktuellen Flüchtlingskrise daran, dass auch im reichen Europa von heute Sinti und Roma vielerorts keinen Platz haben.

Inspirierende Musik

Zum Schluss darf der Film-Django mit Orgel, Chor und Streichern sein Requiem für die Ermordeten aufführen, dessen Partitur allerdings bis auf wenige Takte verschwunden ist. Comar konnte den australischen Multiinstrumentalisten und Komponisten Warren Ellis, einen wichtigen Mitstreiter von Nick Cave, dafür gewinnen, eine von diesen wenigen Takten inspirierte, zutiefst ergreifende Musik zu komponieren – und sie wird dem Anlass gerecht.

Für einen gelungenen Berlinale-Auftakt hat „Django“ auf jeden Fall gesorgt. Reda Kateb und Cécile de France geben ein schönes, europäisches Paar auf dem roten Teppich ab, und Glamour ist bei diesem Festival öfter als andernorts mit künstlerischem Anspruch verknüpft. „In meiner Wahrnehmung ist die Berlinale ein aufgeschossenes Festival der Vielfalt“, hat der Juror Eliasson noch am Morgen gesagt. „Und die Berlinale hat sich sehr bemüht, nicht vom Markt verschluckt zu werden. Das ist eine Riesenchance, hier haben Künstler eine gewisse Macht, Einfluss zu nehmen. Die müssen sie wahrnehmen und sorgfältig damit umgehen.“

Dem gab es eigentlich nichts hinzuzufügen. Wäre da nicht die US-Schauspielerin Maggie Gyllenhaal gewesen, die als Jurorin eines unbedingt loswerden wollte, ohne Namen zu nennen: „Es ist in diesen Zeiten unglaublich, als Amerikanerin hier zu sein. Und glauben Sie mir: Es gibt bei uns sehr viele, die Widerstand leisten!“