Siegfried Mauser war lange Zeit Musikhochschuldirektor in München und lange Zeit auch Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Mittlerweile ist er wegen sexueller Übergriffe rechtskräftig verurteilt. Münchner Intellektuellenkreise versuchen, zwischen Mausers Kunst und seiner Vita zu trennen. Geht das?

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Kurze Rekapitulation der Ereignisse: Am 9. Oktober dieses Jahres wird der Niederbayer Siegfried Mauser, geboren am 3. November 1954, vom Bundesgerichtshof zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Bestätigung des Urteils des Landgerichts München I betrifft die dreifache sexuelle Nötigung einer Sängerin, die sich an der Münchner Musikhochschule beworben hatte.

 

Sexuelle Nötigung in einem anderen Fall hatte Mauser schon zuvor eine Verurteilung eingetragen. Er war von 2002 bis 2014 Rektor an der Musikhochschule. Zwei Jahre länger noch amtierte er als Direktor der Musikabteilung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Mausers Verteidiger, Alexander Stevens, der im Piper-Verlag für das kommende Jahr einen Band mit dem Titel „Aussage gegen Aussage – Urteile ohne Beweise“ ankündigt, hat mittlerweile Verfassungsbeschwerde gegen das BGH-Urteil eingelegt, da er der Opferzeugin ein „erhebliches Falschbelastungsmotiv“ unterstellt.

Vor kurzem ist Mauser aus der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ausgetreten – nachdem diese nach langen internen Querelen am 17. Oktober doch beschlossen hatte, ein Ausschlussverfahren gegen ihn einzuleiten. Ob er seine Gefängnisstrafe noch in diesem Jahr antreten muss, ist ungewiss. Mitglieder der Bayerischen Akademie der Schönen Künste sind auftragsgemäß verpflichtet, die „Entwicklung der Künste ständig zu beobachten“ sowie für die „Würde der Kunst einzutreten“. Sie meinten, in diesem Sinne zu handeln, als im Mai 2016 erstmals massive Vorwürfe gegen Mauser aufkamen (Gerüchte gab es schon viel länger).

Diffiziles Betriebsklima

Während die Musikhochschule intern bald eine Klärung des in der Kunstproduktion ja tendenziell immer diffizilen Betriebsklimas anstrebte, Frauenbeauftragte einsetzte und strukturell durchgriff, um machtgeschützte Übergriffe in Zukunft zu verhindern, startete die Akademie eine Leserbriefaktion in der „Süddeutschen Zeitung“: Zwei heute ehemalige Präsidenten, Dieter Borchmeyer und Michael Krüger, flankierten dabei den Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, der mephistophelisch zu bedenken gab: „Damen, deren Avancen zurückgewiesen werden, gleichen tückischen Tellerminen. Ihre Rachsucht sollte man nie unterschätzen. Sie wissen sich der überforderten Justiz virtuos zu bedienen“.

Am Ende wurde also der Staat abgewatscht, der dafür sorgt, dass ein stark männerdominierter Club wie die Akademie sich behaglich im Vorurteil einrichtet.

Vision und Drang

Im Rückblick gewinnt dieser Leserbrief noch einmal eine neue Negativqualität, weil jetzt, pünktlich zu Mausers 65. Geburtstag in ein paar Tagen, eine privat organisierte Festschrift erscheint („Musik verstehen – Musik interpretieren“, Könighausen & Neumann, 468 Seiten). Einer der Herausgeber ist Dieter Borchmeyer, und im Vorwort steht über Mauser, im Folgenden von Beiträgern „unser Sigi“ genannt: „Seine Visionen und sein unbändiger Tatendrang, die ansteckende Spontaneität und begeisternde Vitalität haben ihm manche Kritik eingetragen – und sein bisweilen die Grenzen der ,bienséance‘ überschreitender weltumspannender Eros hat für ihn schwerwiegende rechtliche Folgen gehabt.“

So kann man es natürlich auch sagen als Kunstbeobachter: Mauser hat demnach nur die „Etikette“ verletzt, wobei… Mei! Ein Künstler halt, oder?

Taktgefühl? Eher nicht

Zufall oder nicht: Der geschickte Hans Magnus Enzensberger, als Igel wie im Märchen den Hasen oft schon eine Furche voraus, ist diesmal nicht beteiligt an der Huldigungshäufung in Sachen Mauser. Dafür aber genug andere Prominente: Wolfgang Rihm zum Beispiel steuert nicht nur Dialogisches, sondern auch die Komposition „Solitudo“ (Einsamkeit, Stille, Menschenleere) als „Intermezzo für Sigi“ bei – ebenfalls erheblich jenseits der „Bienséance“, was auch Taktgefühl heißt. Nike Wagner, die besser umzugehen wissen müsste mit dem ambivalenten Begriff der mittelhochdeutschen „triuwe“, den ihr Urgroßvater im „Ring“ durchdeklinierte, versteht die „Nibelungentreue“ miss, wenn sie ausdrücklich betont, man solle Franz Liszt (lies: Mauser), dessen Ururenkelin sie ist, nicht „als guten Menschen, sondern als Musiker“ würdigen.

Kann man das einfach so trennen? Immerhin wurde die öffentliche Präsentation des Jubel-Bands in Karlsruhe abgesagt, wo sich wieder andere Kreise schließen: Rihm und Peter Sloterdijk, auch Letzterer ist unter den Gratulanten, unterrichten an der Hochschule für Gestaltung.

Mausers Fall, der eine befremdliche Klebrigkeit von Teilen Münchner intellektueller Kreise aufzeigt, ist noch nicht abgeschlossen. Erbittert streiten zum Beispiel im Netz (Bad Blog of Musick) der Komponist Moritz Eggert und der ehemalige BR-Redakteur Max Nyffeler, wer sich wann und warum noch einen Freund Mausers nennen dürfe. Max Nyffeler äußert den bizarren Gedanken, man könne sich nicht einfach „wie auf Facebook defrienden“. Warum nicht? Eggert tut das sichtlich angegriffen, aber er tut es.

Zudem wirft Nyffeler Eggert vor, dieser habe Mitglieder der Akademie angegriffen, was illoyal und „ein No Go“ sei. Das ist interessant: Demnach funktionierte die Akademie wie in der bayerischen politischen Sphäre früher die „Eisbärenfamilie“ Strauß. Öffentliche Distanzierung durfte nicht stattfinden. Nyffeler empfiehlt, Mauser habe jetzt eine „Auszeit“ verdient. Teile der Bayerischen Akademie der Schönen Künste vielleicht auch.