Der Fotograf Günther Raupp aus Murr widmet sich seit 32 Jahren der Faszination Ferrari. Seine limitierten Kalender sind gefragte Sammlerstücke.

Rems-Murr: Phillip Weingand (wei)

Murr - Die Sonne brennt vom Himmel. Ihre Strahlen brechen sich im roten Lack des 335S, der vor einer leeren Zuschauertribüne steht. Bei seinem Erscheinen im Jahr 1957 war der Rennwagen der schnellste bis dahin gebaute Ferrari. Jetzt steht der Männertraum aus Blech und Chrom da, als wäre er zum Einsteigen bereit, und spiegelt sich in dem Gummiabrieb, den unzählige Reifen auf dem heißen Asphalt hinterlassen haben.

 

Diese Szene arrangiert und eingefangen hat der Fotograf Günther Raupp aus Murr im Landkreis Ludwigsburg. Raupp, mittlerweile 63, bringt seit mehr als drei Jahrzehnten den offiziellen Ferrari-Kalender heraus. „Die Aufnahme vom 335S haben wir auf einem Dragster-Pad in den Vereinigten Staaten gemacht. Das Auto war nach einer Stunde buchstäblich am Boden festgeklebt – wegen des Gummis.“ Jetzt ziert der kurvenreiche Rennwagen die Juli-Seite von Raupps jüngstem Werk.

Die Erfolgsstory des Fotografen beginnt im Jahr 1984. Der damals 32-jährige Raupp hat sich als Fotograf in der Autobranche schon einen Namen gemacht und für Firmen wie Fiat, Porsche und Opel gearbeitet. Doch Raupp will das Nonplusultra ablichten, und das ist für ihn Ferrari. Seit seiner Kindheit ist er der Marke verfallen – „alle anderen sind doch einfach nur Autos“. Einen offiziellen Auftrag hat er nicht, daher will er den Edelflitzern aus dem italienischen Maranello auf eigene Faust ein fotografisches Denkmal setzen.

Kein Kreativdirektor redet im in die Arbeit

Fehlt nur noch eines: die Autos. „Ich habe den deutschen Ferrari-Importeur angerufen und ihn um Hilfe gebeten.“ Tatsächlich stellt der ihm sieben der teuren Sportwagen zur Verfügung. Um deren Kilometerstand zu schonen, fährt Raupp sie auf einem gemieteten Laster nach Italien – einzeln. Dort, im Land ihrer Herkunft, fotografiert er seinen ersten Kalender. Ein Exemplar schickt er an den Firmengründer Enzo Ferrari. Der antwortet mit einer kurzen, aber freundlichen Notiz, Raupp hat das Schreiben mit dem Pferdewappen im Briefkopf bis heute aufgehoben. Er ist bis heute der Einzige, der offiziell einen Kalender der Edelmarke herausbringen darf.

Der Fotograf, der an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart Malerei und Kunstgeschichte studiert hat, ordnet sein Werk irgendwo zwischen Werbung und Kunst ein: „Kunst definiert sich nicht dadurch, dass sie kommerziell erfolgreich oder nicht erfolgreich ist“, sagt er. Im Jahr 2012 hingen seine Bilder im Weltkulturerbe Völklinger Hütte, großformatig zwischen den gewaltigen Maschinen des stillgelegten Eisenwerks.

Das Fotografieren, die Bildbearbeitung, die Gestaltung, die Werbung und den Vertrieb seines Kalenders übernimmt Raupp selbst. Kein Kreativdirektor redet ihm in seine Arbeit. Auch die Aufnahmeorte sucht er persönlich aus – vorzugsweise in Italien und den USA. Bei den Shootings assistiert ihm seine Frau Karin. „Wir sind ein eingespieltes Team, das ist wie beim Reifenwechsel in der Formel eins“, sagt Raupp.

Jedes seiner Fotomodelle hat eine Geschichte

Trotz aller Routine: selbst nach 32  Jahren und weit mehr als 400 abgelichteten Ferrari haben die Sportwagen für ihn nichts von ihrer Faszination verloren. Wenn er davon erzählt, wie er am Werkstor in Maranello ganz selbstverständlich die Schlüssel für ein 1000-PS-Monster überreicht bekommt, funkeln seine Augen.

Jedes seiner Fotomodelle hat eine Geschichte. Und Raupp kennt sie alle auswendig. Beim Durchblättern seiner Kalender erzählt der Fotograf von legendären Rennsiegen, von verschollenen und wiedergefundenen Autos – und sogar von einer Verbindung zwischen der Stadt Stuttgart und den weltberühmten Sportwagen. „Im Ersten Weltkrieg wurde ein Stuttgarter Pilot von dem italienischen Fliegerass Francesco Baracca abgeschossen. Der Schwabe führte das Stuttgarter Rössle auf seiner Maschine. Baracca schnitt es nach dem Abschuss als Siegestrophäe aus der Bespannung des Fliegers aus und machte es zu seinem Wappen“, sagt Raupp. Bis heute ist zwar nicht endgültig geklärt, ob das „Cavallino rampante“ tatsächlich auf diese Weise nach Italien gelangte. Doch Fakt ist: Baraccas adlige Familie überließ das Symbol im Jahr 1923 einem jungen Mann, der eine Karriere als Rennfahrer starten wollte. Sein Name lautete Enzo Ferrari. Er unterlegte es in Gelb, der offiziellen Farbe seiner Heimatstadt Modena – das Ferrari-Logo war geboren.

Die Autos, die Raupp fotografiert, sind nicht nur ein Stück Technik- und Designgeschichte, sondern nicht selten auch millionenschwer. Der Ferrari FXX K etwa, eines der neuesten Modelle, ist auf der Dezemberseite des Kalenders für 2016 abgebildet. Das futuristisch anmutende Auto wird von einem Hybridantrieb mit 1050 Pferdestärken angetrieben. Eine Straßenzulassung hat es nicht, auch bei einem Rennen wird das Luxusauto niemals antreten. Eine eigene Rennstrecke kann also nicht schaden, wenn man auch unabhängig von Ferrari-Veranstaltungen ein paar Runden mit dem Millionenflitzer drehen möchte. So ein Spielzeug können sich nur wenige leisten, Raupps Fotomodell etwa gehört dem Gründer zweier Gastronomieketten.

80 Euro für zwölf Papier-Ferrari

Multimillionäre lassen ihre Fahrzeuge eigens zu den Shootings einfliegen, oft kennt Raupp die Sammler schon von früheren Fototerminen auf der ganzen Welt. Doch im Spätsommer, wenn das Fotografieren erledigt ist, kehrt Raupp immer wieder in seinen Heimatort Murr zurück. Hier, in seinem Atelier, hängt das berühmte steigende Pferdchen, gegenüber leuchten von Dutzenden Bildern Autos in „Rosso corsa“, dem typischen Rot italienischer Rennwagen. In diesem Schrein verleiht Günther Raupp seinem Kalender den Feinschliff und genießt es, dem Trubel des Jetsets wieder entfliehen zu können. „Ich bin eben ein Tiefwurzler“, sagt er.

Seinen auf 5000 Exemplare limitierten Kalender vertreibt Günther Raupp in alle Welt. Mit 80 Euro Kaufpreis ist das Sammlerstück nicht gerade ein Schnäppchen. Doch wenn Otto Normalverbraucher sich schon keinen echten Rennwagen leisten kann, bekommt er auf diese Weise zumindest zwölf Papier-Ferrari, die er sich an die Wand hängen kann. Man(n) wird ja noch träumen dürfen von Lack, Chrom und Motorenlärm.