Wo hört Idealismus auf? Wo beginnt Verrat? Und wie lebt man damit? Darum dreht sich Andreas Dresens Film über den Liedermacher Gundermann. Im Gespräch erzählt der Regisseur, warum ihn das Leben des Mannes, der eigentlich Baggerführer war, so fasziniert.

Stuttgart - Wo hört Idealismus auf? Wo beginnt Verrat? Und wie lebt man damit? Darum dreht sich Andreas Dresens Film über den in der DDR geborenen Liedermacher Gundermann. Im Gespräch erklärt der ebenfalls in Ostdeutschland aufgewachsene Regisseur, wie er sich dem Stoff gestellt hat.

 

Herr Dresen, Gundermann ist ein Liedermacher, den im Westen kaum jemand kennt. Wie sind Sie auf ihn gekommen?

Ich weiß gar nicht, ob den im Osten alle kennen, er hat ja keinen Mainstream gemacht und war auch nicht in den Charts. Immerhin hat er mal vor Bob Dylan gespielt. Ich habe schon zu DDR-Zeiten eine Platte von ihm gekauft und dann alle weiteren. Live war er faszinierend, er war ja optisch alles andere als ein Rockstar mit dem Fleischerhemd, den Hosenträgern und dieser Brille. Aber man hat ihn sofort als glaubwürdig empfunden. Er stand ein für was er sang, und man wusste: Der arbeitet noch ganz real im Tagebau und fährt nach dem Konzert zur Schicht.

Sie verwenden viel Sorgfalt darauf, sein Leben als Baggerfahrer im Tagebau darzustellen . . .

Ich finde sehr interessant, dass Gundermann Zeit seines Lebens Geld mit seiner Hände Arbeit verdienen wollte. Und es treibt mich seit Jahren um, dass Verkäufer, Zusteller, Tagebauer, die arbeitende Mittelschicht also, die in diesem Land das Bruttosozialprodukt erwirtschaftet, in Kino und Fernsehen kaum auftaucht. Deswegen war es mir wichtig. Der Dreh im Tagebau war aufregend, für die Kumpel dort ist Gundermann auch 20 Jahre nach seinem Tod noch einer von ihnen. Sie haben Himmel und Hölle für uns in Bewegung gesetzt. Man findet dort einen Zusammenhalt, eine Solidarität, die sehr berühren.

Sie zeigen auch Parteifunktionäre, die salbungvolle Worte sprechen, sich aber nicht wirklich für die Menschen interessieren . . .

Das ist heute nicht anders bei Politikerbesuchen. Die Kolonnen landen wie Aliens in der realen Welt, man macht ein Foto, klopft auf Schultern, und schon sind sie wieder weg.

War Ihnen bewusst, dass Gundermann eine zeitlang mit der Stasi kollaboriert hat?

Das muss um 1995 herausgekommen sein. Er hat sich selbst geoutet, und ich war geschockt wie die meisten anderen. Man wusste von Ibrahim Böhme, Christa Wolf, Heiner Müller – und bei Gundermann dachte man: Och ne, nicht der auch noch.

Gundermann ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Grad der Verstrickung und die Motivationen dahinter nicht leicht zu erkennen sind. War das ein Grund, diesen Film zu machen?

Absolut. Gundermann war ein lebender Widerspruch. Er war überzeugter Kommunist, flog aber aus der Partei wegen „prinzipieller Eigenwilligkeit“. Er dachte, er könnte die DDR besser machen, bis er gemerkt hat: Die Stasi will etwas ganz anderes von mir. Da hat er aufgehört und wurde dann selbst bespitzelt. Das befreit ihn nicht von moralischer Verantwortung, aber die Sache ist sehr ambivalent. Er sollte sich ja schon zu Ostzeiten permanent entschuldigen, hat es aber immer abgelehnt, sich gegenüber Außenstehenden, Unbeteiligten zu rechtfertigen.

Dafür geht er auf die zu, über die er mit der Stasi gesprochen hat . . .

Dazu gehört eine Menge Mut, denke ich. Und es kann ja kaum versöhnlich enden. Es gibt ja nicht nur die einfachen Klischees von Opfer und Täter, sondern viel Ambivalenz dazwischen. Menschen sind verführbar, und Opportunismus und moralisches Versagen sind keine Alleinstellungsmerkmale der DDR-Bevölkerung. Man kann auch heute in moralisch verfängliche Situationen geraten. Der Weg zum Verrat ist manchmal nur ein kleiner Schritt.

Wie haben Sie Axel Prahl dazu gekriegt, einen Stasi-Mann zu spielen?

Er kommt aus dem Westen, weiß aber viel über den Osten, weil er mit offenen Augen durchs Leben geht. So einen Sympathieträger auf eine derartige Figur draufzusetzen, ist folgerichtig, im realen Leben lief das auch so. Die Stasi wusste, dass Gundermann traumatisiert war, weil er sich früh mit seinem Vater entzweit hatte. Also hat sie ihm einen väterlichen Führungsoffzier an die Seite gestellt. Die wussten, wie sie sowas machen.

Gundermann wirkt wie ein Idealist, der von den der Menschen her denkt – hatten es solche Leute in der DDR besonders schwer?

Ja. Vielen Menschen gefiel ja der Gedanke einer gerechteren Welt, nur nicht die reale Umsetzung. Wenn man die DDR kritisierte, konnte man schnell zum Feind abgestempelt werden und massive Probleme bekommen. So wurden viele Fürsprecher zu Gegnern gemacht. Sicher einer der Gründe, warum die DDR scheitern musste. Ich glaube, dass unsere Gegenwart Idealisten wie Gundi vertragen könnte. Man kann sich ja auch heute noch eine gerechtere Welt wünschen.

In „Hier bin ich geboren“ singt Gundermann: „Hier sind wir alle noch Brüder und Schwestern / Hier sind die Nullen ganz unter sich“ – war er ein Sprachrohr der Verdrossenen?

Das ist nur ein Aspekt. Manche Lieder könnten auch von Gisbert zu Knyphausen sein. Gundermanns Texte sind zeitlos schön, sie haben etwas aus der Welt gefallenes, in ihnen steckt eine tiefe Melancholie. Vielleicht hat das mit der Baggerkanzel zu tun, in der sie entstanden sind. „Der Garten bäumt sich auf ein letztes Mal / wirft seine bunten Schätze / Und jetzt bezahl“ – das greift mir direkt ans Herz, da schwingt die Endlichkeit des Lebens mit. Über seine kleine Tochter Linda singt er: „Du bist in mein Herz gefallen wie in ein verlassenes Haus / Hast die Türen und Fenster weit aufgerissen, das Licht kann rein und raus“ – ist das nicht schön?

So einen Typen zu spielen, ist nicht leicht. Wie hat Alexander Scheer sich vorbereitet?

Wenn man Gundermann so erfunden hätte, hätte es keiner geglaubt. Der war echt schräg, die Physiognomie, das Outfit, die Art zu sprechen, dieses widersprüchliche Leben – das kann man sich nicht ausdenken. Und es gibt wohl niemanden, der Gundermann besser kennt als Alexander. Er hat sich über Monate intensiv vorbereitet, sich mit Leuten getroffen und sich da voll hineingeworfen.

Alexander Scheer war einst auch die Hauptfigur in der DDR-Komödie „Sonnenalle“ – hat sich der Blick auf die DDR seither verändert?

Das ist 20 Jahre her, und so eine Komödie nimmt sich die Freiheit, zugespitzt zu erzählen. Das macht Spaß, auch heute noch, hatte aber gar nicht den Anspruch, eine DDR-Realität abzubilden – es war ein Spiel mit dem Abstrusen. Es gibt Facetten der DDR, die noch zu wenig bekannt sind, und es wird Zeit, die Klischees über Bord zu schmeißen. Wir wollen mit unserem Film versuchen, auf komplizierte Fragen keine einfachen Antworten zu geben.

Sie waren Ende der 90er Jahre einer der ersten gesamtdeutschen Regisseure. Schon 2015 haben Sie in „Als wir träumten“ Ostdeutschland wieder in den Fokus genommen. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich habe in den 90ern drei Filme über die DDR gemacht, aber schnell gemerkt, dass das Publikum das nicht interessiert hat. Die Westdeutschen wollten sich nicht differenziert mit dem Osten auseinandersetzen und dachten: Das hat nicht viel mit uns zu tun, die Ostdeutschen hatten andere Probleme und wollten nicht zurückschauen. Also habe ich die gesamtdeutsche Realität in den Blick genommen. Die Figuren hatten oft einen ostdeutschen Hintergrund, aber ich habe mich auf die Gegenwart konzentriert. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, dass doch eine genauere Betrachtung wichtig wäre – und dass sie hoffentlich wieder möglich ist.

Zur Person: 1963 geboren in Gera, studiert Andreas Dresen er von 1986 bis 1991 Filmregie in Babelsberg. Sein Ensembledrama „Nachtgestalten“ (1999) erzählt von von drei ungleichen Paaren in Berlin und lief ebenso auf der Berlinale wie das improvisierte Beziehungsstück „Halbe Treppe“ (2002). Die Tragikomödie „Sommer vorm Balkon“(2004) handelt von zwei Freundinnen, „Wolke 9“ (2008)von einer Senioren-Liebe und in „Halt auf freier Strecke“ (2011) begleitet er einen Tumor-Kranken.