Es ist der Hype des Jahres. Warum lässt das Album „Random Access Memories“ der Elektroband Daft Punk die Popwelt kollektiv ausrasten? Ein Erklärungsversuch von Carolin Leins und Ingmar Volkmann.

Stuttgart – „We’re up all Night to geht lucky“: keine Clubnacht ohne die neue Daft-Punk-Single, keine iTunes-Hipster-Playlist ohne das neue Werk der behelmten Franzosen. Ihr erstes Studioalbum seit acht Jahren, „Random Access Memories“, wurde schon vor Erscheinen gefeiert. Warum? Ein Deutungsversuch.

 

Unterm Helm „Random Access Memories“ heißt das am Freitag erschienene Album der beiden Franzosen Thomas Bangalter (38) und Guy-Manuel de Homem-Christo (39). Die Elektropopfrickler treten in der Öffentlichkeit stets stilecht gekleidet auf – mit roboterartigen Helmen auf dem werten Haupthaar. So wurde das Duo zur „bekanntesten unbekannten Popband der Welt“ („Die Zeit“), die mit einer fast schon beängstigenden Lässigkeit in schöner Regelmäßigkeit den Clubhit der Saison produzieren. Los ging der Tanz 1997 mit der Single „Around the World“, es folgte drei Jahre später das ähnlich lebensbejahende „One more Time“, mit vier Millionen Einheiten der kommerziell erfolgreichste Hit der Band. In den Nullerjahren arbeitete Daft Punk nachhaltig am eigenen Künstler-Mythos. Die Helmträger brachten das Anime-Musical „Interstella 5555 – The 5tory of the 5ecret 5tar 5ystem“ in die japanischen (!) Kinos, ließen sich von anderen Popstars covern und produzierten schließlich den Soundtrack zum Film „Tron: Legacy“. Kurz: Daft Punk avancierten zu helm- und fleischgewordenem Hipstertum. Cooler, als die Musikpolizei eigentlich erlaubt.

Hype Verblüffenderweise war sich die Musikpolizei dann aber so einig wie selten: Ob Fachzeitschrift, Blog oder DJ – Popschaffende aller Couleur begannen bereits vor Monaten, den 17. Mai zu preisen, den Tag des Herrn. Verzeihung, den Tag der Herren.

Anerkannte Popkultur-Botschafter wie der Berliner DJ Jean-Christoph „Schowi“ Ritter posteten auf Facebook emotionale Verbeugungen der Vorfreude. Daft Punk selbst streuten geschickt erste Soundschnipsel, erste Gastsänger des Albums wurden bekannt gegeben (der Rapper und Produzent Pharrell Williams!), erste Gastmusiker (der Chic-Frontmann Nile Rodgers!!) verkündet, von einer vertonten Biografie des 73-jährigen Discopioniers Giorgio Moroder (!!!) war die Rede.

Allein die Gästeliste liest sich wie das Who is Who des Cool. Um noch eins draufzusetzen, ließen Daft Punk in einer sogenannten Collaborators Series alle Gastmusiker in kurzen Videos erklären, welchen Spezialauftrag ihr Beitrag jeweils darstellt. Diese Form des unbescheidenen Selbstmarketings wird wahrscheinlich bald Teil des Lehrplans an der Popakademie.

Namhafte Musikjournalisten ließen sich als Multiplikatoren der frohen Botschaft vor den Karren spannen, gaben Wasserstandsmeldungen. Als Mitte April die erste Single „Get lucky“ erschien, gab es gar kein Halten mehr. Fans in aller Welt überboten sich darin, das Video als erstes zu posten. Musikredaktionen druckten Vorabhymnen, obwohl sie die 13 Tracks des Albums nur punktuell gehört hatten. Sonst eher zurückhaltende Kollegen der „Süddeutschen Zeitung“ oder der FAZ druckten keine Rezensionen, sondern Elogen. Die Musikzeitschrift „Intro“ stellte vorvergangene Nacht ein Video ins Netz, das die Redakteure bei der Heftabgabe zeigte. Der Soundtrack zum Stress war natürlich: die neue Daft-Punk-Platte.

Bei so viel Konsens sollte man eigentlich vorsichtig sein. Tatsächlich ist Daft Punk aber wirklich ein großer Wurf gelungen. Die Single „Get lucky“ dürfte als Clubhit des Jahres schon jetzt nicht mehr zu toppen sein. Der Abba-eske Schmelz brennt sich bereits nach erstem Hören ins Gehirn, wohlwissend, dass es einen Moment geben wird, ab dem man diesen Song hassen wird. Bis dahin ist das Stück aber musikgewordene Leichtigkeit.

Sound Daft Punk haben den Funk zurück in die Disco gebracht, die Gitarre von Nile Rodgers in „Get lucky“ hat der Himmel geschickt, der Refrain „We’re up all Night to get lucky“ ist die Losung, die durch trübe Tage rettet. Die Musiker, die „Random Access Memories“ veredeln, bereichern den klassischen Daft-Punk-Sound. Dem verzerrten, gezogenen Vocoder-Gesang auf einem zwischen Retro und Avantgarde changierenden Discosound werden verschiedene weitere Nuancen hinzugefügt. Der kanadische Jazzmusiker und bekennende Kiffer Chilly Gonzales erzählt in seinem Clip der „Collaborators Series“ etwa, dass er für den Tonartwechsel von A-Moll, der Tonart der ersten drei Songs, zu B-Moll, der Tonart des vierten Songs, am Piano zuständig war.

Botschaft Nicht nur ihr Sound, auch Daft Punks Texte sind das Gegenteil von Weltschmerz. Störender intellektueller Ballast findet von vornherein nicht statt. Der Text ihres Dancehits „Around the World“ von 1997 ist ausgedruckt fast eineinhalb Seiten lang – und ganz schön frech. Er besteht ausschließlich aus den drei Wörtern „Around the World“, 144-mal nacheinander. Wichtiges muss man mitunter eben mehrmals sagen.

Im Daft-Punk-Kosmos ist das Leben eine einzige Party. „One more Time/ We’re gonna celebrate/ Oh yeah, all right/ Don’t stop dancing“ heißt es in der Single „One more Time“ aus dem Jahr 2000. Hier schließt sich der Kreis wieder. Die Songzeile des Sommers, ach was, des Jahres lautet schon jetzt „We’re up all Night to get lucky“. Wir sehen uns auf der Tanzfläche.