Er hat Diane Kruger, Claudia Schiffer und Iman angezogen. Später verhalf er als Chefdesigner der Traditionsmarke Etienne Aigner zu neuem Chic. Jetzt ist der Oberbayer Johann Stockhammer Modeprofessor in Pforzheim.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Pforzheim - Manchmal, wenn ich so in einem Straßencafé sitze und die Leute anschaue, frage ich mich: Verdammt noch mal, das ist doch nur ein Anzug, warum sieht der so cool und heutig aus? Es ist sehr, sehr viel Arbeit, Sie müssen sich das immer bewusst machen. Es ist die Schnittführung: Wo genau sitzt die Taille? Ist die Schulter leicht aufgesetzt, gerade oder fast schon hängend?“

 

Johann Stockhammer, 54, trägt einen locker fallenden dunkelblauen Maßanzug, Viskosequalität mit leichtem Elasthananteil, und weiße Füßlinge in weiß-grünen Adidas-Turnschuhen. „Sie müssen sich immer fragen: Wie baue ich die Silhouette? Will sich da einer weich bewegen oder ist ihm Bequemlichkeit völlig wurst, solange er nur scharf aussieht?“ Seine Stimme klingt freundlich, die Jahre als internationaler Topdesigner haben seinen oberbayrischen Akzent kaum abgeschliffen. „Yves Saint Laurent sagte sich irgendwann: besser geht es nicht, ich ändere den Schnitt jetzt nie mehr. Damit hatte er aber nicht ganz recht. Denn wir sind immer in Bewegung. Deswegen machen wir Mode.“

Der Professor steht vor Pforzheimer Modedesign-Studenten im dritten Semester. 15 Frauen und ein Mann. Sie präsentieren ihre Ideen für eine Kollektion und machen eigentlich alle einen recht normalen Eindruck – „obwohl die Technikstudenten hier im Haus immer ein bisschen Angst vor uns haben“, sagt Johann Sockhammer.

Eine Studentin hat das Foto einer gepflückten Kleeblüte in einer Holzvase gewählt, um das innere Wesen ihrer Kollektion zu beschreiben. Ganz schlicht, aber ästhetisch ausbalanciert, so soll auch der Look sein. Wer kauft das dann? Sie hat einen starken Kerl vom Land im Sinn, einen, der der sich in seine Umgebung immer neu verlieben will, der Wind und Wetter trotzt, einen freien Mann, der aus dem Herzen heraus lebt und durch seine innere Reinheit außergewöhnlich wirkt.

Heu und Stahlwolle

Die Materialien: eine junge Frau möchte mit Heu arbeiten – „nur bröselt das wahrscheinlich schnell“, sagt Stockhammer. Bei mit Stoff umnähter Noppenfolie besteht die Gefahr, dass man sich das Kleid kaputt knipst – weil es immer so schön knallt. Die Idee mit Schlitzen in einer Lammwolldecke für das Winterbeet gefällt Stockhammer. Akopads-Stahlwolle findet er auch cool – „könnte aber kratzig werden“. Mit einer Strickwickeljacke ist es so eine Sache: „Sie funktioniert hier nicht, für Deutsche ist das zu anstrengend mit der Wickelei.“

Schon als Zehnjähriger will Stockhammer Schneider werden. Er wächst auf in einem Sechs-Häuser-Dorf im Chiemgau, die Mutter Hutmacherin, der Vater Schuster, Johann ein Modefreak. Als 14-Jähriger fährt er mit dem Zug nach Freilassing, um sich am Bahnhof das „Collezioni“-Magazin zu kaufen. Da sind die Trends aus Mailand, Paris, London drin. „Früher musste man ja Monate warten, bis man endlich die Bilder von den Fashionshows sehen konnte.“

Er wird groß mit der 70er und 80er-Mode. Frauen tragen bodenlange Kleider, Faltenröcke, Hemdblusen: transparent, mit Volants oder Stehkrägelchen. Häkelmode schafft es auf die internationalen Laufstege, Stockhammer verbreitet seinen Chic in Fridolfing-Eberding und Umgebung. Marken wie Ufo und Man kann er sich nicht leisten, da schneidert er sich eben eine grüne Rundhose, die von Ufo sein könnte: „unten weit ausgestellt, oben ganz eng mit winzigen Taschen, damit ja nichts aufträgt“.

Die Discozeit: Leggings, Stulpen, Catsuits aus grellem Lurex, schöne, bunte Pullunder für den Mann, schmale Lederkrawatten, Karottenjeans und Bommelslipper. Stockhammer hat jetzt eine Dauerwelle. Neben der Schule kreiert er Jeansmützen für seine Kumpel, arbeitet mit Schulterpolstern, fertigt Batikshirts und Neon-Tops für Klassenkameradinnen. Oder warum nicht mal einen Hosenanzug in senfgelbem Cord? „Gürtel von Aigner waren ein Must-have“, sagt Johann Stockhammer. Seine selbst gemachten sehen genauso aus.

Ein pinkfarbenes Etuikleid für Claudia Schiffer

Er wird Schneiderlehrling, ungewöhnlich für einen Mann damals. Dann die Fachakademie, Jobs bei der Topmarke Chamara und dem Münchener Designer Manfred Schneider. Seine Kunden sind Ingrid Steeger, Senta Berger, Prinzessin Jasmin Aga Khan. Stockhammer wird in die überspannte Modeszene geworfen: Nach zwei Stunden Nachtschlaf wieder arbeiten, danach wieder feiern. Sex and Drugs und scharfe Schnitte. Für den jungen Eberdinger ein fremdes Terrain. „Bei meiner ersten Party in Mailand dachte ich mir: komisch, bei uns stellt man immer Paprikachips für die Gäste hin, warum sind hier alle Schalen voll mit Traubenzucker?“

Er wird Chefdesigner bei Schneider, hüllt Claudia Schiffer für die Vogue in ein pinkfarbenes Etuikleid, macht die großen Shows mit den Stars. Violetta Sanchez, die Helmut-Newton-Muse. Iman, das erste schwarze Supermodel. Was macht Models zu Supermodels? „Die Haltung, die sie mitbringen“, sagt Stockhammer. „Sie können in die Produktwelt schlüpfen, Kleidungsstücke annehmen wie ein Chamäleon.“

Mit dem Hausmodel fährt er regelmäßig zur Anprobe nach Italien, wo die Strickfabriken stehen. Das Hausmodel ist der heimliche Star, wertvoller als jede Topdiva. An ihr wird die Kollektion geschneidert. Keiner kennt sie, aber ein Wechsel des Hausmodels kann Firmen ruinieren. Stimmt die Passform nicht mehr haargenau, merken Stammkundinnen das sofort.

1993 gründet er sein eigenes Label, zeigt seine Kollektion in Düsseldorf, Paris, Tokio und kann sich gleich international positionieren. Barneys in New York, der Imagestore schlechthin, ordert Stockhammer. Japan springt auch auf. Die Fachpresse feiert ihn, er hat eine Vogue-Seite nach der anderen: Diane Kruger im hochroten Cocktailspitzenkleid aus Schweizer Tüllspitzenbordüre. Liv Tyler im doppelt gelayerten, semitransparenten Jerseywickelkleid, Milla Jovovich im Stockhammer-Hängerkleid in Pfauenaugenoptik, schilfgrün und paillettenbestickt. „Aber irgendwann heißt es bei Magazinen halt: Jetzt zeigen wir mal Kleider von Marken, die auch inserieren.“

Die Suche nach Streifen

60 000 Mark für eine Doppelseite ist nicht drin. Denn volle Auftragsbücher bedeuten noch nicht, dass auch die Finanzierung steht. Die Banken trauen der Modebranche nicht mehr, nachdem sich im 80er-Boom viele Label übernommen haben. Bei Stockhammer geht es auf und ab, alles dreht sich um Investoren, Vor- und Zwischenfinanzierungen. Kreativ sein ist nur noch ein kleiner Teil seiner Arbeit. 2000 hört er auf mit seinem eigenen Label.

„Sie müssen unterwegs sein. Gehen Sie mal raus nach Berlin oder London“, sagt er seinen Studenten. „Beobachten Sie Menschen. Was sie tragen. Wie sie es tragen. Und lassen Sie sich nicht nur von Kleidern inspirieren. Wenn Sie Streifen suchen, schauen Sie die Heizung an oder das Rollo hier, das sind auch Streifen, und schon haben Sie ganz neue Ideen für Streifen.“

Eine Studentin will angesichts der Situation in Syrien für ihre Abschlussarbeit eine Flüchtlingskollektion designen. Herzstück: ein Rucksack mit Platz für Wasserflaschen, Wertgegenstände, Erinnerungsstücke und bestickt mit Hoffnungssprüchen auf Arabisch. „Eine Kollektion funktioniert nur, wenn sie einen Adressanten hat“, sagt Johann Stockhammer. „Die Idee ist schön, aber mich würde nicht wundern, wenn das für Flüchtlinge nachrangig ist.“

Archaische Trommelschläge, Models in Nude-Tönen, Orange, Kupfer, Gold. „Wüste“ heißt Stockhammers Thema für Aigner auf der Milano Moda Donna 2008. Verwegen und klassisch, sehr glamourös und sehr cool, die Models hochgeschlossen und barbusig. Eine atemberaubende Show. Und am Ende: er selbst auf dem Catwalk.

Als Chefdesigner von Aigner gibt er nach der Jahrtausendwende der Traditionsmarke eine neue Linie, bringt sie auf die Mailänder Bühne, auf die Uferpromenade in Schanghai, die Cavenagh Bridge von Singapur, in die Golden Hall von Peking. „Aigner war spießig geworden“, sagt Stockhammer. Er schneidert den visionären Touch zurück, den er als Junge mit dem Label verband – „positive Vibrations and the Feeling of the Seventies“, wie er damals bei einem Backstageinterview sagt. Aigner bleibt rustikal, wird frech: mit Flechtwerk und Spitze, tiefen Dekolletés und Hotpants für den Einkaufsbummel, mit Models wie der extravaganten Alissa, der exotischen Anne aus Tokio, der 18-jährigen Russin Olga.

Mode im Himalaya

Stockhammers Studentinnen in Pforzheim sind nicht viel älter. Sein Ziel: das Individuelle aus jedem rausholen. Nicht wie Vivienne Westwood in Berlin alle auf den eigenen Kurs führen, sodass jedes Jahr 20 kleine Westwoods die Hochschule verlassen. „Und sollte sich hier herausstellen, dass jemand eher für Modemarketing als für Design geeignet ist, dann ist das auch gut.“ Aus bis zu sechs Mal so vielen Bewerbern, fast nur Frauen, werden jährlich 15 bis 20 Studenten neu aufgenommen.

Er hat ihnen was mitgebracht vom Himalaja, wo er jetzt ein Semester lang die Mode erforschte. Dass man dort ein paar Mal im Jahr sein Festtagsgewand rausholt, war nicht neu, das kennt er aus Oberbayern. Doch bei den asiatischen Bergvölkern hängt oft die ganze Altersvorsorge dran – Perlen und Silbermünzen. Männer sind dort die schillernden Figuren: ihr Kopfschmuck, der an Kakadus erinnert, die Stehplissees, die bunten Bommeln am Ohr, die auch gut als Deko für einen Amarena-Becher passen würden. „Trotzdem wirken sie niemals unmännlich.“

Alte Frauen tragen ihre dunkle Alltagstracht, dazu Turnschuhe mit lila Schnürsenkeln. Sehr cool und sehr heutig. Die Mönche in Ladakh haben ihre roten Kutten, „aber jeder schafft sich einen ganz persönlichen stylischen Look“. Mit einem New-York-Yankees-Basecap, einer nicht ganz echten Versace-Spiegelsonnenbrille oder einer North-Face-Daunenjacke im passenden Farbton. Oder sei es nur durch die eigenwillige Art, den Schal zu binden. Westliche Hairextensions sind geradezu lächerlich gegen die meterlange, schwere asiatische Version aus Yakwolle, die zu einem Art Spinnennetz verwoben wird. Dazu passen gut hellgrüne Crogs.

„In den Bergen habe ich Typen gesehen, da war modisch alles falsch, was man falsch machen kann. Trotzdem sah es total cool aus. „Bei einem Europäer würde das nie funktionieren“, sagt Stockhammer. Das ist natürliche Lässigkeit ein paar Tausend Meter über dem Meeresspiegel. Schönheit ohne Mode, das funktioniert im Himalaya.