Aufstieg! Noch nie war der Auftrag an einen Trainer der Stuttgarter Kickers so eindeutig wie vor der am 11. August beginnenden Oberliga-Saison. Tobias Flitsch kennt diese Erwartungshaltung. Ist er auch dem Druck gewachsen?

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Eine Konstante bei den Stuttgarter Kickers ist die im Sommer zur Mittagszeit stets gut besuchte Clubhaus-Terrasse. Auf diese schaut Tobias Flitsch von seinem Büro aus. Dort herrschte zuletzt bei weitem nicht die Kontinuität wie im Gastronomiebereich. Die Trainer gaben sich die Klinke in die Hand. Keiner konnte den Absturz in die Niederungen der Fußball-Oberliga aufhalten. Von daher mutet es fast schon etwas komisch an, wenn der neue Chefcoach gleich zu Beginn des Gesprächs feststellt: „Die Voraussetzungen sind der Wahnsinn. Es ist ein angenehmes Arbeiten hier.“

 

Noch, mag man ihm entgegenhalten. Denn: Noch hat die Saison nicht begonnen. Die Saison, in der die Kickers in jedem Spiel die Gejagten sein werden. Die Saison, in der es für den Mann auf der Trainerbank nur den einen und einzigen Auftrag zu erfüllen gibt: Aufstieg. Tobias Flitsch weiß das. Er kennt die Erwartungshaltung vor dem Start am 11. August gegen den FC Nöttingen. Kennt er auch den Druck?

„Das Schlimmste ist, wenn ich keinen Druck habe“

„Druck?“ fragt er und faltet geschäftsmäßig die Hände, als wisse er ganz genau, was ihn erwartet. „Druck finde ich sehr gut. Den brauche ich sogar. Der ist förderlich. Das Schlimmste ist, wenn ich keinen Druck habe“, sagt Flitsch. Deshalb mag er auch keine Testspiele. Bester Beweis: Unter der Woche finden in der diesjährigen Vorbereitung erst gar keine statt. Der neue Trainer braucht das Adrenalin. „Ich freue mich auf jeden Wettkampf“, versichert Flitsch.

Damit kein falscher Verdacht aufkommt: Der Mann ist kein Dampfplauderer. Flitsch redet überlegt, unerschrocken, selbstbewusst. Er benutzt keine Fachbegriffe, die jeder hört, aber nicht jeder versteht. Er spricht nicht von polyvalenten Spielern, bei ihm blutet nicht die Schnittstelle. Klartext ist eines seiner Markenzeichen – das wird schnell deutlich.

Defizite in Sachen Härte, Schnellkraft und Sprintfähigkeit

„Die körperlichen Voraussetzungen einiger Spieler sind ein Debakel. Manche sind auch viel zu weich“, stellt er ohne mit der Wimper zu zucken klar. Die Grundlagenausdauer sei nicht das Problem, aber Härte, Schnellkraft und Sprintfähigkeit müssten dringend verbessert werden. Noch ist Zeit dafür. Die individuelle Betreuung wird intensiviert. Speziell Athletik-Coach Desmond Thompson kümmert sich darum. „Das Warmmach- oder Stretching-Programm können auch andere leiten“, erklärt Flitsch.

Für das fußball-taktische ist er zuständig. Dafür schlägt er sich mit akribischen Analysen schon mal die Nächte um die Ohren. Flitsch ist ein Tüftler ohne Schnörkel. Laufstark, bissig, giftig, aggressiv, aber auch schlau – so erwartet Flitsch sein Team auf dem Platz. Wer nicht mitzieht, bekommt ein Problem. Die Mitgliedschaft im diplomatischen Corps überlässt er anderen. Speziell außerhalb des Feldes legt er Wert auf ein entspanntes Miteinander. „Die Mischung im Training und in seiner Ansprache zwischen Spaß und Ernst passt optimal“, lobt Neuzugang Patrick Auracher seinen Chef.

Von Ex-Kickers-Profi Uwe Igler viel gelernt

Flitsch strahlt eine natürliche Autorität aus. Er ist zwar erst 38 Jahre alt, aber schon 18 Jahre im Trainergeschäft. Mit 20 beendete er seine Spielerkarriere (1. FC Eislingen, SC Geislingen) wegen eines Knorpelschadens und stieg ins Trainergeschäft ein. Schnell machte er sich einen Namen als Meister-Macher. Mit dem SV Ebersbach stieg er in die Bezirksliga auf. Den FC Donzdorf führte er im Trainerteam mit Ex-Kickers-Profi Uwe Igler (Flitsch: „Von ihm habe ich am meisten gelernt“) in die Verbandsliga. Und mit dem1. FC Heiningengelang innerhalb weniger Jahre der Durchmarsch von der Kreisliga A in die Verbandsliga. Dass er auch höherklassig etwas bewegen kann, bewies er beim SSV Ulm 1846: Souverän gelang in der vergangenen Saison der Klassenverbleib in der Regionalliga, seinen Abschied von den Spatzen krönte er mit dem WFV-Pokal-Sieg und dem damit verbundenen Einzug in den DFB-Pokal.

Warum er die Ulmer überhaupt verließ? Der Hauptgrund war, dass der SSV einen hauptamtlichen Fußball-Lehrer wollte. A-Lizenz-Inhaber Flitsch möchte aber nicht komplett auf die Karte Fußball setzen. Er ist Inhaber eines Sportartikelgeschäfts in Verbindung mit einer Werbeagentur an seinem Wohnort in Göppingen-Jebenhausen. Darum kümmert sich der Familienvater (die Kinder sind vier und zwölf) entweder vormittags oder – wenn zweimal am Tag trainiert wird – abends. Erfolgreich schon seit 15 Jahren. Für eine ähnliche Kontinuität will er nun bei den Kickers sorgen – ganz nach dem Vorbild der gut besuchten Clubhaus-Terrasse in der Mittagszeit.