Seit seinem ersten Ritt ins Abenteuer im Jahr 1946 hat Lucky Luke schon einiges erlebt. Im Comic „Ein Cowboy in Paris“ aber kommt er so weit wie nie zuvor. Er lernt berühmte Menschen kennen und rettet die transatlantische Freundschaft.

Paris - Moment mal, irgendwas stimmt hier doch nicht? Wieder mal reitet Lucky Luke auf seinem treuen, allerdings zum Sarkasmus neigenden Pferd Jolly Jumper dem Horizont entgegen. Wieder mal hat er die berufskriminellen Dalton-Brüder im Schlepptau, die er zurück ins Gefängnis bringen muss. Und mit jenem tiefenentspannten Lächeln, das er seit seinem ersten Comicauftritt im Jahr 1946 im Wilden Westen leuchten lässt, kommentiert er: „So endet ein weiteres schönes Abenteuer.“ Aber das alles geschieht ja auf der ersten Seite seines neuen Abenteuers „Ein Cowboy in Paris“. Ist da etwa ein peinliches Malheur passiert? Hat die Druckerei die Seiten falsch angeordnet?

 

Nein, alle Beteiligten haben ordentlich gearbeitet. Die Daltons murren jetzt vor sich hin, und Luke stichelt: „Euer Problem ist, dass alles, was ihr tut und sagt, so vorhersehbar ist.“ Dass dieses Comicalbum gleich mit dem Standard-Ende eines Lucky-Luke-Abenteuers loslegt, ist also Teil eines großen ironischen Spiels.

Alles schon mal dageweseb?

Kann der Mann, der schneller zieht als sein Schatten, noch etwas Neues erleben? War er nicht, so groß der Westen auch sein mag, überall längst zweimal? Hat er nicht schon jeden getroffen, der sich zwischen San Francisco und New York einen Namen machen konnte, Jesse James, Billy the Kid, Buffalo Bill und Calamity Jane vornweg? Weil der Meister der Lässigkeit schon 1983 die geliebte Kippe im Mund durch einen sehr viel gesünderen Grashalm ersetzt hat, darf man angesichts des 97. Bands der deutschen Lucky-Luke-Ausgabe gar fragen: Hat er nicht schon den Bisons die halbe Prärie weggekaut?

Man darf. Und all diese Skepsis entfaltet sich auf gar nicht eitle, sondern vorwissend schmunzelnde Weise auf der ersten Seite des Albums. Skepsis können der Autor Jul (alias Julien Berjeaut) und der Zeichner Achdé (alias Hervé Darmenton) sich entspannt leisten. Denn bereits am Ende der ersten Seite bieten sie Lucky Luke – und den Daltons – doch wieder etwas Neues.

Der Geist der Freiheit

Ein gerade in arger Bedrängnis befindlicher Franzose namens Auguste Bartholdi transportiert da eine riesige, eine Fackel haltende Hand aus Kupfer und Stahl durch Indianerland. Der Bildhauer Bartholdi befindet sich auf Spendensammeltour für sein Projekt, mit einer riesigen Statue die französisch-amerikanische Freundschaft und den Geist der Freiheit zu feiern.

Das führt zum für Luke zwar nicht ungewohnten, aber frisch, locker und witzig erzählten Aufpasser-Job. Doch wie der Titel verrät, muss der Westmann bald erstmals nach Europa reisen. Der US-Vizepräsident bittet ihn darum und lästert auf seine Weise über die Vitalität des Comicklassikers. „Reisen bildet die Jugend“, ermuntert er Luke. Und fragt nach: „Wie alt sind Sie überhaupt?“

Die falschen Metzgereien

So besucht der stets sattelfeste, dafür aber bald sehr seekranke Amerikaner endlich jenen Kontinent, auf dem er einst erfunden wurde, als sehnsüchtige Parodie auf populäre amerikanische Westernmythologien. Er begegnet Victor Hugo, aber auch Madame Bovary und deren Ehemann. Und Jolly Jumper muss einigermaßen misstrauisch zur Kenntnis nehmen, dass es in Paris Pferdemetzgereien gibt.

Jul, der hier seine zweite Lucky-Luke-Geschichte vorlegt, und Achdé, der den Zeichenstift 2003 direkt vom Luke-Erfinder Morris übernommen hat, streben nicht aufdringlich danach, Tiefsinn und Bedeutsamkeit in ihr Album zu packen. Aber jede ihrer Seiten vibriert wieder vor guter Laune. Man spürt das Vergnügen der beiden daran, dass Lucky Luke und sein Westen wie alle guten Fantasiewelten vermeintlich ein Eigenleben führen, das nur noch beobachtet werden muss.

Eine Mauer bauen

So fällt ihnen scheinbar anstrengungslos als Gegenspieler der Gefängnisdirektor Locker ein, der das Wegschließen liebt und das Volk der Franzosen schon deshalb verachtet, weil es „die Zerstörung eines Gefängnisses zum Nationalfeiertag erklärt“. Locker ist bald so erbost, dass er grummelt: „Eines Tages sollte man wirklich eine Mauer zwischen unseren Ländern bauen.“ So findet sich Lucky Luke plötzlich doch in jenem Spannungsfeld zwischen amerikanischem Abriegelungswahn und westeuropäischer Liberalität, das die Ära Trump prägt.

Zum Glück sind die Comicmacher klug genug, Locker nicht wie Trump aussehen zu lassen und die politische Satire nicht zu übertreiben. Wer will, kann aber Hoffnung mitnehmen: Die Freiheitsstatue übersteht alle Anschläge, sie wird schließlich als mächtiges Symbol in den Himmel ragen und Lucky Luke singend in den Sonnenuntergang reiten. Am Ende wird im Westen, auch im wilden, immer alles gut.

Achdé/Jul: „Lucky Luke – Ein Cowboy in Paris“. Egmont Publishing. 48 Seiten. Als Softcover 6,90 Euro, als Hardcover 12 Euro.