Seltsame Welten mit bizarren Abgründen, Gewalt und Perversionen sind David Lynchs Leidenschaft. Mit der Mysteryserie „Twin Peaks“ setzte der Regisseur neue Maßstäbe.

Stuttgart - Mal kniet Frank Booth (Dennis Hopper) vor seiner Gefangenen, saugt röchelnd Luft aus einer Atemmaske und stammelt wirre Sätze – dann wieder unterwirft er sie mit dem Gestus eines brutalen Vergewaltigers. Dieser Psychopath in David Lynchs surrealistischem Thriller „Blue Velvet“ (1986) gehört zu den beunruhigendsten Figuren des Kinos – und er steht exemplarisch für das Spiel des Regisseurs mit dem Unbewussten, dem Albtraumhaften, dem Abgründigen. Industrielles Grundrauschen untermalt eine Welt ohne Natur im Zukunftshorror von „Eraserhead“ (1977), Lynchs Debüt. Sein Drama „Der Elefantenmensch“ (1980) handelt von der gesellschaftlichen Ächtung eines Missgebildeten, im bizarren Roadmovie „Wild at Heart“ (1990) durchleben zwei Liebende eine irrwitzige Romanze zwischen Gewalt und Elvis-Presley-Schmelz.

 

Die Traumfabrik wird zum Albtraum

Mysteriösen Krimigrusel paarte Lynch mit Seifenopersatire in „Twin Peaks“ (1990/91, 2017), der ersten cineastisch durchkomponierten Serie, die als Mutter aller Qualitätsserien gilt. In „Mulholland Drive“ (2001) bebilderte Lynch den Albtraum, zu dem die Traumfabrik für viele wird – und das derart genial verrätselt, dass er zehn Hinweise zur Entschlüsselung veröffentlichte. Einmal ist Lynch, der an diesem Mittwoch 75 Jahre alt wird, ausgebrochen für eine flammende Liebeserklärung an Amerika: In „Straight Story“ (1999) fährt ein alter Mann auf einem Aufsitzmäher 400 Kilometer zu seinem kranken Bruder und hat wunderbare menschliche Begegnungen. Da wurde klar: Es muss ihn geben, diesen viel beschworenen Traum.