Wegen Corona kann die deutsch-italienische Jugendbegegnung in diesem Jahr nicht an das SS-Massaker von Sant’Anna di Stazzema erinnern. Eine kleine Reise in die Vergangenheit hat nun aber doch stattgefunden.

Stuttgart/Leonberg - Eigentlich hatte Petra Quintini das Jahr 2020 schon abgeschrieben. Eine deutsch-italienische Jugendbegegnung inmitten einer weltweiten Pandemie? Für die Konstanzerin undenkbar. Das Friedenscamp im toskanischen Sant’Anna di Stazzema musste sie absagen. Ein Jahr des Stillstands sollte jedoch vermieden werden. „Wir mussten einfach ein Zeichen setzen“, sagt die Soziologin und Mitbegründerin. „Unsere Arbeit geht weiter.“ Und so bewegten sich die Teilnehmer am Samstag statt in toskanischer Hitze in der schwülen Stuttgarter Kesselluft. 16 Kilometer lang – von Leonberg über die Solitude bis zum Stuttgarter Bismarckturm – wanderte die Gruppe auf historischen Spuren, die mit Bedacht ausgesucht worden waren.

 

In dem Bergdorf wurden 560 Zivilisten ermordet

Schließlich verbirgt sich hinter dem Projekt der deutsch-italienischen Jugendbegegnung mehr als eine Freizeitfahrt. Es erinnert an Gräueltaten der Waffen-SS, die am 12. August 1944 in dem Bergdorf Sant’Anna rund 560 Zivilisten ermordete. An Wiedergutmachung mangelt es bis heute. „Vom Verhalten der deutschen Justiz war ich zutiefst beschämt“, erzählt Petra Quintini von den Anfängen ihres Engagements, das vor drei Jahren im ersten Friedenscamp gipfelte. Seitdem orchestrieren mehrere Stuttgarter Vereine die alljährliche Jugendbegegnung; beteiligt sind die Bürgerinitiative Lern- und Gedenkort Hotel Silber, Die Anstifter und die Naturfreundejugend Württemberg.

Praxisnahe Beschäftigung mit der Geschichte

Auch in diesem Jahr mischten die Träger mit, pandemiebedingt jedoch in abgespeckter Form. „Wir haben uns vor allem der Erinnerungskultur vor der eigenen Haustür verschrieben“, so Tobias Rieger, der die 20-köpfige Truppe sicher ans Ziel führte. Den Auftakt in Leonberg bildete ein Besuch in der dortigen KZ-Gedenkstätte; im Schatten des Stuttgarter Bismarckturms rückte dann die Erinnerungskultur an den ersten deutschen Reichskanzler in den Mittelpunkt. „Müssen wir wirklich mit monumentalen Türmen an ihn erinnern?“, fragte Tobias Rieger. „Eine schwierige Frage“, befand Teilnehmer Jonathan Bari, der eigens aus Frankfurt angereist war. „Erst durch die Diskussion ist mir klar geworden, mit welchen Themen man sich in der Erinnerungsarbeit beschäftigen sollte“, sagt der 17-jährige Schüler. „Im Geschichtsunterricht bleibt der Nationalsozialismus immer etwas abstrakt. Das ist hier anders.“