Das schwache Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Algerien stimmt nicht zuversichtlich für das WM-Viertelfinale gegen Frankreich am Freitag. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt.

Porto Alegre - Per Mertesacker sieht noch immer nicht aus wie ein strahlender Sieger. Vorhin, als das Spiel gerade vorüber war, hat der sonst so ruhige Niedersachse die Zähne gebleckt und einen Fernsehreporter angefaucht. Und auch jetzt, als die Dusche sein Gemüt abgekühlt hat, ist die Laune nicht entscheidend besser geworden. In riesigen Wildlederturnschuhen stapft Mertesacker Richtung Mannschaftsbus und verspürt wenig Lust, sich mit kritischen Fragen auseinanderzusetzen. Ob es noch Verbesserungsbedarf gebe, das sei ihm „völlig latex“, sagt der Innenverteidiger, denn die Hauptsache ist: „Wir stehen unter den letzten acht Mannschaften.“

 

Der Einzug ins Viertelfinale der Weltmeisterschaft in Brasilien – das ist tatsächlich die wichtigste Nachricht aus dem herbstlich kühlen Porto Alegre. Der erste Auftritt im Maracana-Stadion von Rio de Janeiro steht damit bevor, dort trifft die deutsche Nationalmannschaft am Freitag auf Frankreich (18 Uhr). Ob im Finale ein zweiter folgen wird, ist jedoch ungewiss. Allzu viel Hoffnung jedenfalls hat er nicht gemacht, der glückliche 2:1-Sieg gegen Algerien, für den die DFB-Auswahl am Montag eine Verlängerung benötigte.

Keine Frage, es mag im Laufe eines vierwöchigen Turniers eben auch solche Zitterspiele geben, durch die man sich irgendwie durchmogeln muss. Unvergessen das 1:0 gegen zehn Tschechen im Viertelfinale der WM 1990 in Italien, als Franz Beckenbauer fuchsteufelswild am Spielfeldrand umhergesprungen war, ehe der damalige Teamchef knapp zwei Wochen später in Rom den Titel feiern durfte.

Joachim Löw in Schockstarre

In Schockstarre kauerte am Montag Joachim Löw, mit weit gemäßigterem Temperament als Beckenbauer ausgestattet, auch noch unmittelbar nach dem Schlusspfiff auf seiner Trainerbank. Viel hatte nicht gefehlt, und seine Amtszeit wäre im Falle eines Scheiterns mit großer Wahrscheinlichkeit jäh zu Ende gegangen. „Man kann nicht in allen Spielen fantastisch spielen“, sagt der Bundestrainer hinterher: „Heute waren wir nicht fantastisch, aber wir haben gewonnen. Das ist auch sehr wichtig, wenn man weit kommen will.“

Unwidersprochen auch, dass sich die deutsche Mannschaft in der zweiten Hälfte steigerte und sich einige Torgelegenheiten herausspielte. „Wenn man schlecht spielt“, bemerkt Löw, „dann hat man keine neun gute Chancen.“ Nicht unverdient war am Ende also der Sieg, auch wenn sich die deutsche Mannschaft zumindest bis zum Schluss der regulären Spielzeit in jedem Moment am Rande des Abgrunds bewegt hatte. „Das war ein Sieg der Willenskraft“, sagt der Bundestrainer.

Doch ändert all das nichts daran, dass man sich einige Sorgen um die deutsche Mannschaft machen muss. Erschütternd schlecht und konzeptlos war die Leistung in der ersten Hälfte, die man in dieser Form zuletzt allenfalls in der Schlussphase des legendären 4:4 gegen Schweden gesehen hatte. So chaotisch und verunsichert wie damals ging die deutsche Elf gegen die Algerier zu Werke, die nicht gerade zu den Großmächten des Weltfußballs zählen.

Der Halt im DFB-Team fehlte

Es gab, von dem überragenden Manuel Neuer hinten und dem nimmermüden Thomas Müller im Angriff abgesehen, niemanden, der dem DFB-Team Halt gegeben hätte. Reines Glück war es, dass der Gegner diesmal die völlige Konfusion nicht bestrafte. Keiner hätte sich beschweren dürfen, hätten die Algerier zur Pause mit zwei Toren vorne gelegen.

Manches von dem, was im Vorfeld der WM befürchtet worden war, in den ersten drei Turnierspielen aber keine entscheidende Rolle gespielt hatte, trat in dieser ersten Hälfte schonungslos zu Tage: dass Bastian Schweinsteiger die körperlichen Voraussetzungen fehlen, um mehr als nur in einem Spiel der Anführer im Mittelfeld zu sein; oder dass es den Feingeistern Mesut Özil und vor allem Mario Götze bisweilen an der Mentalität fehlt, sich gegen Widrigkeiten und robuste Abwehrspieler durchzusetzen. Völlig orientierungslos irrte der Münchner Götze bis zu seiner Auswechslung auf dem Platz umher.

Und schließlich konnte diesmal niemand übersehen, dass eine Abwehrviererkette mit vier gelernten Innenverteidigern jenseits körperlicher Vorteile auch einige Nachteile beinhaltet. Von den Algeriern wurden sie gnadenlos offengelegt. Benedikt Höwedes auf links und vor allem Shkodran Mustafi auf rechts ließen sich ein ums andere Mal überlaufen und erwiesen sich als Sicherheitsrisiko.

Shkodran Mustafi fällt aus

Überraschend ist es nicht, dass Mustafi, der mit einem Muskelfaserriss für den Rest der WM ausfällt, viel Lehrgeld bezahlen musste. Überraschend war schon eher, dass der international völlig unerfahrene Mann von Sampdoria Genua nach dem Ghana-Spiel noch einmal aufgestellt wurde.

Erst als Mustafi verletzt rausmusste, tat der Bundestrainer das, wozu ihm viele Experten schon vor der WM geraten hatten: Er stellte Philipp Lahm nach hinten rechts. Weil diese Maßnahme zu etwas Stabilität beitrug, stellt sich nun von Neuem die Frage, ob man es bei dieser Lösung nicht besser belassen sollte. Doch führt sie auch weiterhin auf direktem Wege zu der altbekannten Frage, ob bei Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira die Kräfte reichen, gemeinsam das zentrale Mittelfeld zu bilden. Nach zwei Tagen Ruhe, sagt Löw, „werden wir uns Gedanken machen“.

Schon am Mittwoch fliegt die deutsche Auswahl nach Rio, an den Sehnsuchtsort dieser WM. Mit an Bord ist nicht nur die Sorge um manch leicht angeschlagenen Spieler, sondern auch die Zuversicht, dass gegen Frankreich alles besser läuft als gegen Algerien. Allerdings speist sie sich vorerst nur aus dieser Erkenntnis von Per Mertesacker: „Das wird ein ganz anderes Spiel.“