In einer denkwürdigen Preisverleihung im Kaisersaal des Frankfurter Römer ist „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden.

Kultur: Stefan Kister (kir)

Es gab einmal eine Zeit, in der der Deutsche Buchpreis unter dem Verdacht stand, bei seinen Entscheidungen mehr auf das Weihnachtsgeschäft des Buchhandels zu schielen, als auf die Herausforderungen und Zumutungen einer Literatur, die sich gängigen Mustern widersetzt. Diese Zeiten sind endgültig vorbei. Die Auszeichnung erhält in diesem Jahr ein Roman, der sich in seiner Schreibweise wie seiner Geschichte einen Weg jenseits aller vorgezeichneten Bahnen sucht.

 

„Blutbuch“ von Kim de l’Horizon erzählt von einer Mutterbeziehung, die in die Krise gerät, nachdem sich der Körper meldet. Auf den Spuren unterdrückter Merkmale der eigenen Familiengeschichte macht sich die non-binäre Hauptfigur des Romans auf die Suche nach einer Identität, in der Gegensätze so zwanglos zusammenfinden wie im Habitus, in dem die schreibende Person Kim de l’Horizon die Auszeichnung im Kaisersaal des Frankfurter Römer entgegennimmt: mit Bart und Glitzerrock, überwältigt von einem Glück, in dem der Schmerz durchscheint, mit dem es errungen wurde. Auf Berndeutsch bedankt sich Kim de l’Horizon bei der Mutter, weint und stimmt schließlich den Song „Nightcall“ von Kavinsky an, in dem es an einer Stelle heißt: „There is something inside you, it’s hard to explain“ – „Da ist etwas in dir, es ist schwer zu erklären“.

So singulär das Buch, so denkwürdig die Performance, mit der Kim de l’Horizon alle Preisverleihungsroutinen unterläuft, sich zuletzt die Haare abrasiert und mit den Worten schließt: „Das ist ein Zeichen gegen den Hass für die Liebe und den Kampf aller Menschen, die wegen ihres Körpers unterdrückt werden, ein Preis für die Frauen im Iran, wohin wir alle schauen.“

Doch die politische Relevanz geht mit der ästhetischen Hand in Hand. Sich aus den Zwängen des Entweder-Oder zu befreien, ist ein schöpferischer Akt. In der Verflüssigung starrer Schemen fließt der Sprache ein Leben zu, das zutiefst mit dem wandelbaren Wesen der Literatur korrespondiert.