Florian Henckel von Donnersmarck hat im Wettbewerb des Festivals in Venedig seinen neuen Film „Werk ohne Autor“ vorgestellt. Entlang der Biografie des Malerstars Gerhard Richter begibt sich der Regisseur auf eine Reise in die deutsch-deutsche Vergangenheit.

Venedig - Wenn man mit einem Vaporetto, dem Wasserbus Venedigs, über die Lagune zum Lido schippert, legt man an der Piazzale S. Maria Elisabetta an. Hier beginnt die Flaniermeile auf der ehemals luxuriösen Badeinsel des italienischen (Geld-)Adels. Rund 750 Meter erstreckt sich die Via S. Maria Elisabetta bis zum Bagno Pubblico, dem größten öffentlichen Strand des schmalen, elf Kilometer langen und rund vier Quadratkilometer großen Eilands. Bars, Pizzerien, Boutiquen und Ramschläden finden sich hier zwischen pastellfarbenen Gründerzeitvillen, an denen der Zahn der Zeit und die Meerluft nagen. Der Weg führt vorbei an der Bar Maletti, die zu später Stunde Treffpunkt der Medienleute ist, vorbei an der mit schönen Mosaiken verzierten Luxusherberge Grande Albergo Ausonia & Hungaria, an der ein Bauschild mit digitalem Zählwerk verrät, wie lange die Renovierungsarbeiten trotz laufenden Beherbergungsbetriebs noch andauern werden, und einer anachronistischen (Automaten-)Spielhalle.

 

Wendet man sich vor dem spiralförmigen Aussichtsturm am Ende der Allee nach rechts, steht man nach wenigen Schritten vor dem Hotel des Bains und wird von der Filmgeschichte eingeholt. Luchino Visconti hat vor Ort die Thomas-Mann-Adaption „Tod in Venedig“ gedreht, hier sind die Schönen und Reichen abgestiegen, im wunderschönen Garten stellten sich Filmschaffende einst den Fragen der Journalisten. Der Übernachtungsbetrieb wurde zwischenzeitlich eingestellt – nicht rentabel heißt es. Die Fließen der weitläufigen Veranda sind zerbrochen, das Unkraut wuchert, im Pool, wo unter anderem Melanie Griffith, Gina Lollobrigida und Gene Tierney die Paparazzi verzückten, türmt sich Schutt.

Dennoch hat man die Pforten kurzzeitig wieder geöffnet, noch bis zum 16. September ist eine Fotoausstellung zum 75. Geburtstag der Mostra Internazionale d’Arte Cinematografica, wie das Festival heißt, zu sehen. Das sind 86 Jahre Film und Stars in Venedig, seit 1932 das älteste Filmfestival der Welt gegründet wurde. Zwölf Mal hat es nicht stattgefunden, gegen Ende während des Zweiten Weltkriegs, dann mehrfach wegen politischer und finanzieller Querelen.

Der Stuck an der Decke bröckelt

Ziemlich lieblos, immerhin chronologisch geordnet, ist die Schau gehängt. Insgesamt zu viele Bilder, recht willkürlich ausgewählt. Im alten Ballsaal geht’s los, der Parkettboden ist stumpf und zerkratzt, der Stuck an der Decke bröckelt. Am Eingang liefert eine leuchtend rote Tafel mit weißer Schrift eine kurze Einführung. Welche Rolle Benito Mussolini bei der Gründung des Festivals spielte, wird geflissentlich vergessen; der „Duce“ war wie Adolf Hitler ein großer Filmfan. Aber man braucht nur hinzuschauen: Leni Riefenstahls „Olympia“ (1938), Veit Harlans „Die Goldene Stadt“ (1942), dazu Luis Trenkers „Der verlorene Sohn“ (1934), Gustav Ucickys „Der Postmeister“ (1940) bis hin zur unbelasteten Dokumentation „Abenteuer im Roten Meer“ (1951) von Hans Hass. Ein paar Monitore mit Ausschnitten aus Schwarzweißfilmen, alte Festivalplakate, Fotos aus den Tagen als die Filme noch unter freiem Himmel auf der Terrasse des Hotels Excelsior vorgeführt wurden, einer bis heute betriebenen Nobelherberge. Anlässlich des fünften Festivals wird 1937 der Festivalpalast eingeweiht, der in seiner Grundform heute noch so existiert. Die Ausstellung ist eine tolle Zeitreise, die trotz einiger kuratorischer Defizite Laune auf Kino macht.

Eine derart geschichtsträchtige Location ist eine ideale Stätte, um einen in der Historie verorteten Film uraufzuführen. Wie etwa „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck, der inspiriert von wahren Begebenheiten drei Epochen deutsch-deutscher Vergangenheit behandelt. Er erzählt aus dem wechselvollen Leben des Künstlers Kurt (Tom Schilling), der den großen Dresdner Maler, Bildhauer und Fotografen Gerhard Richter zum Vorbild hat. Es geht um dessen Liebe zu Elisabeth (Paula Beer) und um das folgenschwere Verhältnis zu seinem undurchsichtigen, in Nazi-Verbrechen verwickelten Schwiegervater Professor Seeband (Sebastian Koch). Noch einmal kreist das Interesse des Regisseurs um Schuld und (späte) Sühne, Täter und Opfer, Erinnern und Vergessen wie bei „Das Leben der Anderen“. Trotz der starken Konkurrenz ist ein Preis für diese hoch emotionale Achterbahnfahrt durch die Jahrzehnte, die den Wahnsinn und die Tragik des 20. Jahrhunderts am Beispiel dreier Schicksale beleuchtet, durchaus denkbar. Silke Buhr hat „Werk ohne Autor“ penibel ausgestattete und Caleb Deschanel („Die Passion Christi“) ansehnlich fotografierte.

Audiard spielt mit Western-Versatzstücken

Überzeugt hat auch Jacques Audiards in Rumänien gedrehter, im Oregon des Jahres 1851 angesiedelter Western „The Sisters Brothers“. Es geht um zwei Kopfgeldjäger, gespielt von John C. Reilly und Joaquin Phoenix, die im Auftrag des skrupellosen „Commodore“ einen wortgewandten Mann (Riz Ahmed) jagen. Dieser hat angeblich ein chemisches Mittel gefunden, das die Goldsuche leichtmacht. Geschickt spielt der französische Filmemacher („Der Geschmack von Rost und Knochen“) mit den bekannten Versatzstücken des Genres, blutig, schmerzhaft geht’s zur Sache. Interessant ist das Verhältnis der Titel gebenden Brüder, die im Verlauf der Story merken, dass sie eigentlich unterschiedliche Ziele verfolgen – mit einem Finale, in dem der Regisseur seinem Kollegen John Ford und dessen Klassiker „Der schwarze Falke“ seine Reverenz erweist.

Viel Beifall gab es für „At Eternity’s Gate“ von Julian Schnabel („Basquiat“), der sich wie schon Vincente Minnelli 1956 an ein Porträt seines Malerkollegen Vincent van Gogh gewagt hat. Überzeugend meistert Willem Dafoe den komplexen Part, in dem er trefflich zeigt, wie Van Gogh mit dem Leben ringt, seinen ureigenen Stil verteidigt und wie ein Besessener malt. Gelungen ist eine ruhige, differenzierte Persönlichkeitsstudie, bei der aus einem unerfindlichen Grund mal Französisch, mal Englisch gesprochen wird, und bei der Kameramann Benoît Delhomme („Zwei an einem Tag“) die leuchtenden, südfranzösischen Farben ebenso gekonnt einfängt wie das tragische niederländische Malergenie, das während seines Lebens nur ein einziges Gemälde verkaufte.