Die DFB-Elf offenbart beim 2:3 gegen Belgien wieder fundamentale Defensivschwächen – was auch zu der Trainerarbeit von Hansi Flick führt.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Die Erschaffer der Fifa-Rangliste können das nicht gut finden. Schließlich hatte man sich beim Weltverband ein ausgeklügeltes System erdacht, um die wahre Stärke der Nationalmannschaften auf diesem Planeten zu dokumentieren – und dann das: Domenico Tedesco hatte vor dem Test-Länderspiel in Köln nicht gewusst, dass Deutschland in dieser Tabelle nur auf dem 14. Platz liegt. Der belgische Nationalcoach schätzte die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) schlichtweg höher ein – gefühlt mindestens unter den Top Ten. Bundestrainer Hansi Flick wiederum war nach der 2:3-Niederlage sehr bewusst, dass Belgien als Vierter auf dieser Liste rangiert – gefühlt an diesem Abend aber wie ein Top-Drei-Team aufgetreten war, mindestens.

 

Lange waren die Roten Teufel im Fifa-Ranking ja Erster (aktuell Brasilien), weil ihr früherer Trainer dies im Blick hatte. Roberto Martinez, Nationaltrainer Belgiens von 2016 bis 2022, wählte oft vermeintlich schwache Gegner aus, um Ranglistenpunkte zu sammeln, heißt es. Seit der verpatzten WM in Katar hat Martinez jedoch ausgedient und in Belgien ein Umdenken stattgefunden. Gute Gegner müssen her, um titelfähig zu sein.

Ernüchterung statt Euphorie

Eine Ansicht, die Flick teilt. Der Unterschied ist nur, dass die Belgier mit Tedesco nach Siegen gegen die DFB-Elf und zuvor in der EM-Qualifikation in Schweden (3:0) geschafft haben, was sich die Deutschen nach ihrem ebenfalls verkorksten WM-Auftritt in der Wüste unter Flick vorgenommen hatten: eine Aufbruchstimmung zu erzeugen.

Stattdessen herrscht im DFB-Team Ernüchterung. Kapitän Joshua Kimmich und Co. bekamen eine Lektion erteilt. Erneut offenbarte sich die fundamentale Defensivschwäche. „Wir waren zu passiv“, sagt Flick. Mit ihren präzisen Pässen durchschnitten Kevin de Bruyne (zweifacher Vorbereiter und Torschütze zum 3:1/78.) und Orel Mangala im Mittelfeld die DFB-Reihen wie ein heißes Messer die Butter. Die Torschützen Yannick Carrasco (6.) und Romelu Lukaku (9.) profitierten, weil hinten Marius Wolf, David Raum und Thilo Kehrer überfordert waren.

Mehrfach prallte der Innenverteidiger Kehrer am zugegeben bulligen Körper Lukakus einfach ab – Szenen, die zeigten, wie schmalbrüstig die Versuche der Deutschen in dieser Phase wirkten, sich den belgischen Angriffen entgegenzustemmen. Vielleicht hätte da ein Antonio Rüdiger mit seiner Wucht geholfen oder ein Niklas Süle, der ähnlich robust gebaut ist. Beide Innenverteidiger erhielten diesmal jedoch eine Pause.

Flick weist gerne darauf hin, dass es für eine stabile Defensive nicht nur standfeste Abwehrspieler braucht. Der zentrale Bereich davor gehört dazu – Einsatzgebiet von Kimmich und Goretzka. Wieder eröffneten sich im Reich der Sechser aber große Räume – die die brillanten Belgier ausnutzten. „Nach der Systemumstellung und den zwei Auswechslungen wurde es besser“, sagte Flick.

Wandel mit Emre Can

Das hatte mit Emre Can zu tun. Der Dortmunder kam für Florian Wirtz. Goretzka schied angeschlagen aus. Seinen Platz nahm Felix Nmecha ein, ein Wolfsburger Neuling, der wie später auch Josha Vagnoman vom VfB Stuttgart zu seinem ersten Länderspieleinsatz kam. Damit erhöht sich die Zahl der Debütanten unter Flick auf 14, in den vorausgegangenen Länderspielen im März waren es mit Marius Wolf, Kevin Schade und Mergim Berisha fünf.

Schlüpft der Bundestrainer damit schon in die Rolle des Erneuerers? Flick, ein Mann der ruhigen und sachlichen Töne, tut sich offenbar schwer damit, in der Mannschaft ein Feuer zu entfachen. Das regelte dann Can mit seiner Positionierung auf dem Feld und seiner Körperlichkeit. „Can war der aggressive Leader. Er hat die Mannschaft wachgerüttelt. Die Verantwortung für die Defensive war da“, sagt Flick.

Auch Kimmich lässt sich nicht absprechen, dass er Verantwortung übernimmt. Eher macht der Münchner zu viel – und fehlt öfters dort, wo er als defensiver Mittelfeldspieler stehen sollte, wenn die Gegner mit Tempo und Finesse anstürmen. Ein klarer Sechser gibt da Halt. „Ich habe versucht, das zu tun, was ich am besten kann“, sagt Can, und das ist: dazwischenhauen und ordnen.

Leidenschaftlich kämpfte sich die DFB-Elf zurück durch die Tore von Niclas Füllkrug (44./Handelfmeter) und Serge Gnabry (87.). Flick will deshalb die positiven Ansätze herausstreichen. Auch, um sich den Neustart Richtung Heim-EM 2024 nicht schlechtmachen zu lassen. „Solche 25 Minuten wollen wir nicht mehr sehen“, sagt der Bundestrainer, „60, 65 Minuten lang haben wir gut gespielt.“ Eine Einschätzung, die an die WM-Analyse erinnert. Laut dieser lag das enttäuschende Vorrunden-Aus in erster Linie an schwachen 20 Minuten gegen Japan. Realität und Ranglisten sagen jedoch etwas anderes.