Nach 30 Jahren Winterschlaf putzt Garmisch-Partenkirchen sich für die Ski-WM raus.

"Im Vergleich zu unserer neuen Kandahar-Abfahrt ist die Streif eine schräg gestellte Langlaufloipe!" Der Satz sitzt – das weiß Christian Neureuther und zeigt selbstbewusst strahlend auf Garmischs neuen, steil abfallenden Zielhang: "Freier Fall" heißt er, dank 92 Prozent Gefälle. Kitzbühels Streif hat "nur" 85 Prozent.

 

Zusammen mit seiner Frau Rosi Mittermaier schwingt Neureuther diese fast senkrechte Kandahar-Schneewand in perfekten Bögen runter und kriegt auch verbal beim nächsten Stopp gleich die Kurve: Schluss mit dem Gefahren-Geprotze, schließlich seien die Pisten in Garmisch ja viel sicherer geworden – auch für normale Skitouristen. "Ihr alle foahrt’ s heut viel breitere Schwüng mit die Carvingski", sagt Rosi und schaltet um auf Hochdeutsch: "Das hat Garmisch-Partenkirchen lange ignoriert, seit 1978 nahezu alle Pisten so gelassen, wie sie für die damalige WM gebaut worden waren, und auch die Lifte kaum modernisiert."

Folge dieses 30-jährigen Winterschlafs: gefährliches Gedränge auf engen Hängen und an den Liften. GaPa, wie die Einheimischen sagen, stieg ab in die zweite Liga der Skigebiete, viele Alpintouristen ließen den Ort am Fuße der Zugspitze links liegen, fuhren lieber weiter nach Tirol.

Nun sind Gondeln, Sessel und Berge für insgesamt 60 Millionen Euro erneuert. Kandahar, Gudiberg und die anderen Hänge haben nirgendwo mehr Gehweg-Breite, sondern mit 20 Metern und mehr eher Autobahnmaße. Ebenfalls alpine Spitze: fünf beschneite Talabfahrten, jeweils mit Längen von mehr als drei Kilometern. Nichts für Träumerle-Carver, sondern für Beinarbeiter mit Kondition. Beste Gelegenheit, diese zu beweisen bei einem Kandahar-Rennen gegen Rosi und Christian. Okay, die beiden herauszufordern wäre lächerlich. Aber heimlich mal checken, ob man vielleicht mithalten kann – warum nicht? Fix den selbst genehmigten Flachlandtiroler-Bonus nutzen und schon mal losbretteln, während Deutschlands Alpin-Paar Nummer eins noch plaudert. Unter den Skiern knirscht bestens präparierter, griffiger Schnee, keine Buckel und nur wenig Eisplatten behindern die Beinah-Schussfahrt in Ideallinie zum ersten Sieg eines Nordlichts über Rosi und Christian. Doch dann diese Staubwolke. Sie saust vorbei und materialisiert sich im Ziel als Christian Neureuther. "Darfst net so jungfräulich foahrn", sagt er grinsend, "du presst die Beine zammen, nimm sie mehr auseinander."

Dann eben Riesenslalom. Gegen die Topzeit unserer Doppel-Olympiasiegerin Maria Riesch soll man fahren, auf der lila Piste – Marias Schoko-Sponsor lässt unübersehbar grüßen. Allerdings im Vergleich zu Tempostrecken anderer Skigebiete mit einer sehr professionellen Gaudi: Von allen Fahrern werden im Starthäuschen die Liftkartennummern gespeichert, eine Videokamera verfolgt den Lauf. Jeder kann ihn hinterher im Internet sehen. Genau das ist nun des Flachlandtirolers Problem: Wo bitte ist die Löschtaste für diese holprige Schlangenlinienfahrt mit Gleichgewichtsstörungen, die laut Website gerade mal für Platz 2374 reichte? Und wo sind Nachhilfevideos von Maria Riesch und Streif-Sieger Felix Neureuther? Beide sind in Garmisch-Partenkirchen geboren und werden 2011 als Lokalhelden der WM starten.

Mit guten Titelchancen, meint Heinz Mohr. Er muss es wissen, als Patenonkel von Felix Neureuther und Konditionstrainer des Damen-WM-Teams 1978. Hier in Garmisch holte Maria Epple damals Gold, ihre Schwester Irene Silber. Vielleicht auch aufgrund eines speziellen Heimvorteils: Mohr ließ seine Läuferinnen per Hubschrauber einfliegen und heimlich auf dem Kurs trainieren – eine gute Woche vor der WM. Das ist fast so streng verboten wie Doping, weshalb er sein Foul auch erst 20 Jahre später beichtete.

Gewohnt haben Mohr und seine Madeln damals abgeschieden vom Medienrummel im Forsthaus Graseck – bis heute erreichbar nur in der sehenswerten, an einem fingerdicken Seil hängenden Stehgondelbahn von 1954 (die Mohr abschalten ließ) oder per halbstündigem Fußmarsch durch die wintermärchenhaft schöne, in meterhohen Eisvorhängen erstarrte Schlucht namens Partnachklamm. Heute ist im Forsthaus ebenso wie in vielen Garmischer Hotels die Zeitlupe das Maß der Veränderung. Ja, freundlich getünchte Frühstücksräume gibt es hier und da, außerdem "Alm-Yurveda" und andere, nicht nur wortspielerisch bemühte Wellnessangebote, aber auch noch reichlich renovierungsbedürftige Zimmer. "Was wir bei Pisten und Liften schon geschafft haben, das müssen wir in Hotels, Pensionen und auf den Skihütten noch aufholen", sagt Christian Neureuther.

Atemberaubende Perspektiven bietet GaPa aber am Olympiahaus von 1936: Die monumentalen, denkmalgeschützten Tribünen der damaligen Winterspiele, ergänzt durch weitere moderne Ränge, werden Kulisse der WM-Eröffnung, der Slalomwettbewerbe und des Skispringens sein.

Bei einem Besuch ist die besondere Statik der frei tragenden Schanze zu spüren: Bis zu einem Meter Schwankungsbreite rechts und links haben die Architekten eingebaut, damit sie allen Stürmen trotzt. Tatsächlich: Die Schanze schunkelt.

Garmisch-Partenkirchen

Ski-WM
Die 41. Ski-WM findet statt vom 7. bis 20. Februar, www.gapa.de, www.gap2011.com.

Anreise
Etwa mit Tuifly von Hamburg, Berlin-Tegel oder Köln-Bonn nach Innsbruck ab 29 Euro oder mit Lufthansa nach München. Von den Flughäfen pendeln Shuttles nach Garmisch. Die Bahn bietet ebenfalls günstige Verbindungen an. Autofahrer nehmen die A9 und A95, die restlichen zwölf Kilometer sind Bundesstraße. Achtung: Staugefahr!

Unterkunft
Hotel Zugspitze, www.hotel-zugspitze.de, wenige Meter von der Fußgängerzone entfernt, Doppelzimmer ab 75 Euro pro Person/Nacht mit Frühstück. Drei-Sterne-Hotel Garmischer Hof, ebenfalls zentral gelegen, Doppelzimmer ab 48 Euro pro Person/Nacht mit Frühstück. Alternativen sind die etwa 6000 Betten in Pensionen und Ferienwohnungen ab 20 Euro pro Wohnung am Tag, www.fremdenverkehrsverein-garmisch-partenkirchen.de.

Attraktionen
Riesenslalom gegen die Referenzzeit von Olympiasiegerin Maria Riesch auf der Lila Piste. Besichtigen kann man seinen Lauf noch am selben Abend unter www.zugspitze.de unter dem Stichwort "Aktuell". Rodeln wie Hackl-Schorsch: Eine von nur noch vier Naturrodelbahnen liegt in Garmisch-Partenkirchen und steht auch mutigen Hobby-Schlittenflitzern offen. Oder die 3,9 Kilometer lange Rodelstrecke am Hausberg mit Nachtrodeln unter Flutlicht.