Der neue Elster-Radweg ist zwar noch nicht ganz fertig - umso erlebnisreicher ist es, ihn zu befahren. Auf 250 Kilometern bietet er viel Natur.

Plauen - Im kleinsten Gang geht es den Waldweg hinauf. Der Puls hat sich auf hohem Niveau eingependelt, der Kopf ist angenehm leer und die Einsamkeit kein Wunder. Das Vogtland gehört nämlich zu den weißen Flecken auf der Landkarte des Deutschlandradlers. Wer in Bad Brambach, im südwestlichsten Zipfel Sachsens, aus dem Zug steigt, kann nicht einfach den Vorderleuten hinterherfahren. Und hier oben, im Schönberger Forst, hält man es für wahrscheinlicher, als Nächstes auf ein Rudel Wölfe zu treffen als auf eine Gruppe Zweibeiner in Freizeitkleidung. Wie vergessene Soldaten stehen am Wegrand hüfthohe Exemplare des roten Fingerhuts.

 

Ersatz für das Wachpersonal des Bundesgrenzschutzes, das es so nah an der tschechischen Grenze einmal gegeben hat? Ein paar zirpende Grillen, ein paar zwitschernde Vögel, ansonsten atemberaubende Stille. Nach zwei Pedaldrehungen ist man dann plötzlich in Tschechien und wenig später am eigentlichen Ausgangspunkt der Tour - dort, wo ein munteres Bächlein das Licht der Welt erblickt. „Elsterquelle“ lautet die Inschrift auf der opulenten Steinfassung - ein Überbleibsel jener Zeiten, in denen das Egerland noch zum Kaiserreich gehörte. Eindeutiger ist der tschechische Name Bily Halstrov, der auf den Wegweisern steht: Das vorangestellte Eigenschaftswort zeigt an, dass man es mit der Weißen Elster zu tun hat, dem längeren der beiden sächsischen Flussgeschwister. Bei der Abfahrt ins Tal kommt es einem vor, als rolle man ins 19. Jahrhundert zurück.

Sensationell preiswert essen

Der Märchenwald hat sich zu einer pastoralen Kulturlandschaft geöffnet, wie man sie hierzulande kaum noch findet. Wiesen und Weiden so weit das Auge reicht, am Horizont schwebt ein Kirchturm im Gegenlicht, die moderne Zivilisation scheint Lichtjahre entfernt. In einem anderen Sternensystem fühlt man sich auch in Sachen Preisniveau: In der Böhmischen Provinz einzukehren heißt nicht nur gut, sondern auch sensationell preiswert zu essen. Eine deftige Portion Gulasch mit Hefeknödeln kostet nicht einmal vier Euro, und den Palatschinken bekommt man fast dazu geschenkt. Das köstliche tschechische Bier ist ebenfalls viel zu günstig, als dass man der Versuchung widerstehen könnte. Das Landschaftsbild der nächsten Kilometer hat eine nicht minder berauschende Wirkung: Klein Bily mäandert durch ein wild verwachsenes Tal, in dem es lediglich staubige Naturstraßen gibt.

Das Verkehrsaufkommen ist minimal, die Leute sitzen alle vor ihren Datschas und genießen den milden Herbstsonntag. Es sind einfache Ferienhäuser inmitten der ungebändigten Natur, oftmals aus Holz, aber auch aus unverputztem Bruchstein - Symbole des einfachen Lebens. Dem architektonischen Gegenentwurf begegnet man in Bad Elster, dem ersten Ort auf deutschem Boden. Belle-Époque-Villen reihen sich hier aneinander und werden als Privatdomizile, Hotels oder Pensionen genutzt. Die breite Flussaue ist schon vor 150 Jahren zum Landschaftsgarten umgewandelt worden - nach der Devise, wo Natur war, soll (Gartenbau-)Kunst werden.

Damals hatten Mitglieder des sächsischen Königshauses hier gebadet und gekurt - und beeindruckende Baudenkmäler hinterlassen: das Albertbad im Jugendstil, das alte König-Albert-Theater und zwei schmuckvolle Tempel, in denen das Heilwasser sprudelt. Das renommierteste sächsische Staatsbad scheint noch nicht in der Gegenwart angekommen. Moderne Aktivurlauber liegen jedenfalls unter der Nachweisgrenze, das Fahrrad scheint noch gar nicht erfunden. Die meist aus Thüringen und Sachsen stammenden Gäste flanieren ein bisschen durch den Kurpark und kehren dann zu Kaffee und Kuchen ein. Nur wenige folgen den rustikalen Wanderwegtäfelchen in die weitere Umgebung - hinauf zu schönen Aussichtspunkten auf den waldigen Höhen. Zwischen Bad Elster und Oelsnitz wird der Radweg gerade ausgebaut. Das ist auch nötig, denn allzu oft hat man nur die Wahl, sich fern des Flusses über die Berge führen zu lassen oder auf der Landstraße zu bleiben - was beides nicht sehr vergnüglich ist.

Frei von Siedlungen und Autostraßen

Das urbane Zentrum des Vogtlandes ist Plauen - eine durch Textilindustrie und Maschinenbau reich gewordene Großstadt, in der vor dem Ersten Weltkrieg noch 120 000 Menschen lebten. Die Hälfte der Einwohner ist seither abgewandert, auch das Stadtbild kam nicht ungeschoren davon - bei insgesamt 14 Bombenangriffen wurden in den Jahren 1944 und 1945 drei Viertel aller Häuser zerstört oder wenigstens beschädigt. Trotzdem sind atmosphärische Altstadtviertel erhalten geblieben, in denen man gerne länger verweilt, allen voran der Altmarkt mit seinen beiden opulenten Rathäusern. Nach Plauen taucht der Radler immer wieder in intakte Naturlandschaften ein, die man im Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht mehr erwartet würde. Kilometerlang geht es dem unbegradigten Fluss entlang durch ein enges Tal, das frei geblieben ist von Siedlungen und Autostraßen.

Besonders idyllisch sind die letzten Kilometer vor Weischlitz, die weltferne Strecke von Berga nach Wünschendorf und die Passage zwischen Plauen und Elsterberg - letztere aber nur, wenn man es wagt, direkt am Fluss zu bleiben, statt sich von der Markierung ins Vogtländer Hügelland schicken zu lassen. Zwar muss man sich nun über das eine oder andere steinige Wegstück quälen und gelegentlich sogar absteigen, dafür wird man aber durch die Begegnung mit der gewaltigen Elstertalbrücke belohnt. Sie ist die kleinere Schwester der Göltzschtalbrücke, zu der man unbedingt einen Abstecher machen sollte. Hierzulande kennt man das höchste Ziegelsteinviadukt Europas allenfalls von der Briefmarke.

Nach dem thüringischen Gera nehmen die technischen Schwierigkeiten ab. Oftmals geht es jetzt kilometerlang auf dem Damm entlang, besonders im Schlussteil zwischen Leipzig und Halle. Die eher eintönige Passage ruft einem in Erinnerung, wie abwechslungsreich die Route am Oberlauf war. Nach vier einsamen und schweißtreibenden Tagen erreicht man einen letzten Aussichtspunkt am Stadtrand von Halle. Laut Karte liegt einem hier die Mündung in die Saale direkt zu Füßen. Doch die Natur hat sich den Hang bereits zurückgeholt - der Blick fällt auf einen grünen Dschungel, in den nur kleine Pfade hinunterführen.

Ein schönes Sinnbild für das Abenteuer Elsterradweg: Auf seinen 250 Kilometern bietet er sehr viel ursprüngliche Natur, fast keine modernen Gewerbegebiete und Straßengeflechte und erfüllt dabei nur hin und wieder internationale Standards. Wer breit ausgebaute Rollbahnen erwartet, täglich mindestens 100 Kilometer schaffen und sich sein Rad nicht schmutzig machen will, sollte um das Niemandsland zwischen Thüringer Wald und Erzgebirge einen weiten Bogen machen. Reiseradler, die sich auf die meditative Stille einer ins Abseits geratenen Region einlassen wollen, werden hingegen begeistert sein.

Infos zum Elsterradweg

Anreise
Der günstigste Ausgangspunkt Bad Brambach ist leicht mit der Bahn zu erreichen, www.bahn.de . Die Fahrstrecke geht von Nürnberg direkt über Hof nach Plauen. Dort umsteigen auf die komfortable und im Stundentakt verkehrende Vogtlandbahn. Die Mitnahme der Räder ist erlaubt, für den IC oder EC braucht man eine Reservierung.

Elsterradweg
Der Elsterradweg ist trotz seines Wechsels zwischen drei Bundesländern durchgängig markiert, hier und da muss man aber gut aufpassen. Auf jeden Fall braucht man den aktualisierten Spiralführer „Elster Radfernweg“ von Lutz Gebhardt, Grünes- Herz-Verlag Ilmenau. Wichtig ist dieser für den tschechischen Teil der Strecke. Denn dort ist der Weg nur mit wechselnden Nummern markiert; www.elsterradweg.de , Tel. 03 65 / 8 30 44 80.

Ausrüstung: Mountainbikes braucht es nicht unbedingt, keinesfalls aber Renn- oder Tourenräder mit schmalen Reifen. Ideal: grobstollige Trekkingräder.

Unterkunft
Altes Handelshaus/Romantikpension in Plauen, Straßberger Str. 17, ÜF im DZ ab 35 Euro pro Person, www.altes-handelshaus.de .

Kurhotel Goldner Anker in Bad Elster, Walter-Rathenau-Str. 9, www.anker-badelster.de , ÜF im DZ 35 Euro pro Person.

Pentahotel Gera, Gutenbergstr. 2a, www.pentahotels.com , ÜF im DZ ab 29 Euro pro Person.

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