Bei „Toleranz und Tollerei“ setzen fette Beats die Theaterrituale außer Kraft: Dexter, Majan und BRKN verwandeln die Bühne des ausverkauften Schauspielhauses in einen Hip-Hop-Dancefloor.

Stuttgart - Wann darf man schon auf einer Theaterbühne zu fetten Hip-Hop-Beats tanzen, Liveacts erleben und sich wie im Club fühlen? Vielleicht dann, wenn die Zeit reif dafür ist? In der Nacht von Samstag auf Sonntag öffnete das Schauspielhaus seine Türen für die Freunde des Raps, Traps und Sprechgesangs. Unter dem Motto „Toleranz und Tollerei“ bewegte sich die Veranstaltung, eine Kooperation mit dem 0711 Büro, von 22 Uhr bis 4 Uhr morgens zwischen Hoch- und Subkultur. Im Foyer legten DJs Oldschool-Stücke auf, auf Bannern war der Slogan „Die Kunst ist frei“ zu lesen, in einer Ecke gab es die Möglichkeit, in eine andere Rolle zu schlüpfen, sich eine Federboa umzulegen und ein Selfie zu machen. Nicht nur Fasching, sondern Theater, Theater, Theater!

 

Um 23 Uhr ging die Sause im Theatersaal los, wo das Parkett abgesperrt, die Bühne zu einer Tanzfläche umfunktioniert und ein Podest für die Musiker aufgebaut war. Dort traten die Stuttgarter Dexter und Majan sowie der Berliner BRKN auf, außerdem kam bei Dexters Auftritt überraschend der Münchner Rapper und Schauspieler Fatoni auf die Bühne, der ordentlich Energie abzugeben hatte. Es gab eine Bar mit Sekt und clubtauglichen Longdrinks. Die Rapper waren begeistert davon, im Theater aufzutreten und wurden ergänzt von Schauspielern des Hauses mit Texten aus Virginie Despentes’ „King Kong Theorie“, Teil der „Sieben Todsünden“ mit Peaches, und Georg Büchners „Leonce und Lena“.

BRKN ruft zur Schweigeminute auf

„Toleranz und Tollerei“ habe auch eine politische Botschaft, so die Intendanz des Hauses, „die Veranstaltung soll ein Zeichen für Offenheit und gegen rechts sein“. Nicht nur die Auswahl der Tracks der Künstler richtete sich danach. Während seines Auftritts rieft BRKN zu einer Schweigeminute für die Opfer des Anschlags von Hanau auf.

450 Gäste tummelten sich im ausverkauften Theater und gingen rein und raus, wie es ihnen gefiel. Auch Taschenkontrollen und Sicherheitspersonal gibt es an einem normalen Theaterabend nicht. Angst vor Hip-Hop-Rabauken habe man allerdings keine, hieß es. Der ein oder andere Gast war beim Wogen zu den Beats zwar versucht, sich drinnen eine Zigarette anzustecken, tat es aber nicht – und das Konzept, den Ort einem jüngeren Publikum zugänglich zu machen, ist aufgegangen sein. Einige der Gäste mögen bereits zuvor theateraffin gewesen sein, andere hat es schlicht wegen des „coolen Angebots“ dorthin verschlagen – und natürlich passt die Sprech- und Sprachkunst des Hip-Hops ideal ins Theaterumfeld. Angesichts des Mottos „Toleranz und Tollerei“ hätte eine weibliche Rapperin sicherlich für Abwechslung gesorgt, aber nach dem Event ist vor dem Event.