Joachim Löw schlägt nach dem 1:1 gegen Spanien in Stuttgart mit Blick auf die EM 2021 Alarm. Für den Bundestrainer ist der prall gefüllte internationale Terminkalender ein großes Ärgernis.

Sport: Marco Seliger (sem)

Stuttgart - Nein, den Wüterich gibt Joachim Löw normalerweise selbst dann nicht, wenn seine Mannschaft wie nun in Stuttgart geschehen in der sechsten Minute der Nachspielzeit den Ausgleich kassiert. 14 Jahre als Bundestrainer mit allen Höhen und Tiefen hat Löw erlebt – was ist da schon so ein schnöder später Ausgleich in diesem komischen Wettbewerb namens Nations League. Unter normalen Umständen also wäre Löw da gestanden und hätte nach dem 1:1 gegen Spanien im südbadischen Dialekt wohl gesagt, dass das mit dem späten Gegentor „scho au mol passiere kann“.

 

Am Donnerstagabend aber war um kurz vor Mitternacht nichts mehr normal. Denn Löw stand plötzlich nicht mehr souverän und gelassen über den Dingen – so also, wie er das sonst gerne tut. Löw gab den Wüterich. Weil er Angst hat, dass ihm die Dinge mit Blick auf die nächsten Monate und die EM 2021 entgleiten könnten. Und er dann nicht mehr wie angedacht selbst nach Dingen wie späten Gegentoren der Souverän sein kann.

Aufgebrachter Bundestrainer

Mit schneidendem Ton also legte Löw los – und kam sofort zum Punkt. „Das regt mich auf! Einige Spieler sind auf dem Zahnfleisch gelaufen, dann passieren die Verletzungen“, sagte der aufgebrachte Bundestrainer und holte zur Generalkritik am „Hammerprogramm“ in den nächsten Monaten aus. „Der Terminkalender ist wahnsinnig voll“, sagte Löw, der wegen der Belastungen für seine Spieler langfristig sogar um die Konkurrenzfähigkeit bei der EM im nächsten Sommer bangt. „Wir können da nur etwas gewinnen, wenn die Mannschaft geistig und körperlich fit ist“, sagte Löw.

Seine Angst speist sich aus dem prall gefüllten Programm, das in den nächsten Monaten auf seine Profis zukommt. Weil die Saison aufgrund der Corona-Pandemie später angefangen hat, aber keine Liga und kein Verband auf ein einziges Spiel verzichten will, könnten die Nationalspieler, die im Europapokal zum Einsatz kommen, bis kurz vor Jahresende stets zwei Mal pro Woche ran müssen.

Die Winterpause der Bundesliga etwa dauert nur zehn Tage, am 2. Januar steigt schon der erste Spieltag des Jahres 2021. In diesem Takt geht es wahrscheinlich weiter, bis im Sommer die EM steigt. Und Löw treibt nun mehr denn je die Sorge um, dass er beim großen Turnier die große Müdigkeit bei seinen Jungs vorfinden wird.

Finanzielle Zwänge

Wer diese Gedanken verstehen will, dem reicht womöglich ein Rechenbeispiel. Topspieler vom FC Bayern etwa könnten allein auf Clubebene auf bis zu 57 Pflichtspiele in der kommenden Saison kommen, dazu gesellen von diesem Herbst an bis zur EM noch bis zu zehn Länderspiele. Und dann erst kommt das große Turnier. Einschließlich der EM-Vorrunde könnten Manuel Neuer und Kollegen dann 70 Partien binnen 278 Tagen in den Knochen haben. Es ist die Horror-Hochrechnung des Bundestrainers. „Ich habe immer gesagt, die Gesundheit der Spieler steht über allem. Ich bin da extrem sensibel und empfindlich“, sagte Löw nun: „Wenn man da nicht aufpasst, haben wir große Probleme im März, April und Mai.“

Löw ist deshalb „nicht einverstanden“ mit dem Herbstprogramm mit der Nationalelf, das für Oktober und November neben jeweils zwei Pflichtspielen in der Nations League noch zwei Tests gegen die Türkei und Tschechien vorsieht. „Da hätten jeweils zwei Spiele gereicht“, sagte Löw, der allerdings auch „Verständnis“ für die finanziellen Zwänge des DFB äußerte. Generalsekretär Friedrich Curtius hatte die Länderspiele bis zum Jahresende zuletzt als „Lebensversicherung“ für den Verband bezeichnet.

Es gibt also aktuell ein Novum in der Geschichte des deutschen Fußballs – der Bundestrainer selbst beschwert sich über angeblich zu viele Länderspiele. Das ist in der Regel nur den Clubverantwortlichen vorbehalten, die normalerweise gerne mal über angeblich unsinnige Länderspielpausen und Termine zwischen zwei Bundesligaspieltagen meckern.

Große Terminhatz

Was Joachim Löw, der sonst immer froh ist, wenn er seine Jungs um sich hat, umtreibt: Es wird ihm im Oktober und November kaum Zeit dafür bleiben, zwischen einem Abschlusstraining, einem Spiel und der Regeneration etwas zu üben oder einzustudieren. Um die Belastung zu steuern und immer mal wieder Profis schonen zu können, überlegt der Bundestrainer nun sogar, den Kader von normalerweise 23 auf 30 Profis oder mehr zu erweitern.

Wie das dann bei den abgebenden Clubs ankommt, steht auf einem anderen Papier. Fakt ist: Die Front der Mahner ist ob der sich anbahnenden Terminhatz groß und prominent, auch etliche Clubchefs wie etwa Karl-Heinz Rummenigge vom FC Bayern sprachen die Problematik klar an.

Wie krisenfest die Zusammenarbeit und die gegenseitige Rücksichtnahme sein wird, das wird sich allerdings erst noch zeigen in den nächsten Monaten.