Bei den Testländerspielen gegen Serbien sind alle Augen auf Christian Prokop gerichtet. Axel Kromer, der Vorstand Sport des Deutschen Handballbundes (DHB), äußert sich im Interview über den Bundestrainer, die Probleme seiner Sportart, die Heim-WM und über eine Parallele zum VfB Stuttgart.

Sport: Jürgen Frey (jüf)

Stuttgart - Es sind die ersten Auftritte nach der schwachen EM in Kroatien: Bei den Testspielen der deutschen Handballer gegen Serbien am 4. April (19 Uhr/Leipzig) und am 7. April (14.30 Uhr/Dortmund) steht vor allem Bundestrainer Christian Prokop im Fokus.

 
Herr Kromer, was verbinden Sie mit dem Jahr 1994?
(überlegt). Bin ich da vielleicht deutscher C-Jugend-Handball-Meister mit dem TV Kornwestheim geworden?
Das war zwei Jahre zuvor. 1994 wurden Sie deutscher Jugendmeister im Stabhochsprung.
Oh, ja, ich erinnere mich dunkel, mit einer Bestleistung von 5,00 Metern. Das waren noch Zeiten. Top-Leichtathleten wie Danny Ecker und Björn Otto waren meine Kontrahenten. Ich habe mich dann aber schnell für den Handball entschieden.
Was konnten Sie aus der Leichtathletik mitnehmen?
Sehr viel. Sowohl für mich als Persönlichkeit und Trainer, als auch für meine aktuelle Arbeit.
Was genau?
In der Leichtathletik wird noch akribischer und intensiver an Details gearbeitet. Bei der Vermessung eines Anlaufs geht es zum Beispiel um Zentimeter, bei der Kalkulation der Zwischenzeiten um Hundertstel.
Ihr Vater war Leichtathletik-Bundestrainer.
Und ich kann mich noch gut erinnern, dass er sich ein Wochenende lang in sein Büro eingeschlossen hat, um den Trainingsplan zu erstellen – für eine einzige Athletin.
Jetzt aber zum Handball. Können Sie nachvollziehen, dass sich viele Menschen Sorgen um die Sportart machen?
Sorge ist mir zu negativ behaftet.
Aber es kam schon viel zusammen in letzter Zeit. Die Heim-WM der Frauen im Dezember 2017 war sehr enttäuschend.
Wir sind im Achtelfinale rausgeflogen. Wir haben keine gute Leistung gezeigt, aber die WM war insgesamt ein gutes Event, das wurde uns von allen Seiten bescheinigt.
Vor der WM hatte Vizepräsident Bob Hanning sinngemäß gesagt, wenn diese letzte Chance nicht genutzt wird, könne man den Laden dicht machen.
Wie man sieht, haben wir den Laden nicht dicht gemacht. Wir haben in Henk Groener einen neuen international renommierten Bundestrainer verpflichtet, dazu ein Team mit guten Perspektiven, das beim EM-Qualifikations-Spiel gegen Spanien in Stuttgart die Zuschauer begeistert hat – und wir haben viel Qualität im Nachwuchs.
Nächste Handball-Baustelle ist dieser unsägliche Terminzoff zwischen Bundesliga und europäischen Verband, weshalb die Rhein-Neckar Löwen ein Champions-League-Spiel mit ihrer zweiten Mannschaft bestritten.
Das ist natürlich wahnsinnig schlecht für unsere Sportart, das schadet dem Handball gewaltig, gar keine Frage.
Haben Sie einen Lösungsansatz?
Eine Patentlösung gibt es nicht. Man kann nur appellieren, dass sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und eben nicht nur an ihre eigenen Interessen denken. Wir sind da gerne mit von der Partie.
Und verzichten auf Länderspiele?
Von Länderspielen profitiert unsere Sportart am meisten. Wenn aber vorgeschlagen wird, weniger Qualifikationsspiele sind die Lösung, dann muss darüber im großen Rahmen diskutiert werden.
Für viele Handballfans bleiben die geänderten Bundesliga-Anwurfzeiten ein Ärgernis. Die Zuschauerzahlen, etwa bei Frisch Auf Göppingen, gehen zurück.
Ich glaube nicht, dass es nur am neuen Sky-Vertrag und den damit verbundenen geänderten Anwurfzeiten liegt. Frisch Auf etwa hinkt auch hinter den sportlichen Erwartungen zurück. Außerdem gibt es auch Clubs, bei denen die Zuschauerzahlen steigen.
Den größten Kummer bereitet aber das Aushängeschild Männer-Nationalmannschaft: Es geht mit einem stark angeschlagenen Bundestrainer in die Heim-WM 2019.
Vielleicht haben wir ja auch einen gestärkten Bundestrainer.
Ist das Ihr Ernst? Nach der schwachen EM in Kroatien und den wochenlangen öffentlichen Diskussionen um seine Person?
Wir hatten vor der EM sehr gute Auftritte unter Christian Prokop. Und auch bei der EM war nicht alles schlecht, aber klar: Sie hinterließ einen Imageschaden für den deutschen Handball. Fakt ist jedoch auch, dass wir alle, und damit auch Christian Prokop, unsere Lehren gezogen haben.
Welche sind das?
Wir haben hervorragende Spieler. Diese Kaderstärke müssen wir intensiver in unsere spieltaktische Ausrichtung einfließen lassen. Wir müssen uns mehr daran orientieren, was unsere Nationalspieler im Ligaalltag stark macht.
Im Klartext: Christian Prokop muss sein System der Mannschaft anpassen.
Ja, er wird sein System der Mannschaft anpassen, um größtmöglichen Erfolg zu erzielen.
Bob Hanning hatte ein „weiter so“ kategorisch ausgeschlossen. Nun drängt sich der Verdacht auf, als habe nur der Bundestrainer Fehler eingeräumt.
Sie können sicher sein: Auch wenn es wenig Änderungen im Kader gibt, haben wir unsere Spieler und ihr Verhalten genau analysiert. Da sind ganz, ganz viele Dinge im Hintergrund gelaufen, doch die tragen wir nicht an die Öffentlichkeit. Der VfB Stuttgart ist uns da ein gutes Vorbild.
Der VfB Stuttgart?
Ja. Sportdirektor Michael Reschke, von dem ich wirklich begeistert bin, hat nach dem Trainerentscheidung beim VfB gesagt, dass der Verein nicht auf kurzfristigen Applaus aus sei. Das sehe ich bei uns genauso. Wir machen doch nichts, nur weil es die Öffentlichkeit so erwartet, sondern weil wir davon überzeugt sind.
Wird Uwe Gensheimer sein Kapitänsamt abgeben müssen?
Nein.
Also bleibt alles beim Alten?
Es bleibt nicht alles beim Alten. Ich halte es für wertvoll, dass einige Dinge geändert werden. Dieser Prozess wird von mir gesteuert, aber das bleibt intern.
Wird Bob Hanning in der Halbzeit auch künftig in der Kabine präsent sein?
Das ist für mich kein Ansatzpunkt gewesen. Bob Hanning geht bei den Füchsen Berlin in die Kabine, er ging unter Martin Heuberger in die Kabine, er ging unter Dagur Sigurdsson in die Kabine…
Aber seit der Strukturänderung im deutschen Handball sind Sie der Vorstand Sport.
Zum einen bin ich ja auch in der Kabine. Und hätte es irgendeine Auswirkung auf die sportliche Leistung, wenn Bob Hanning nicht mehr in die Kabine gehen würde?
Also nimmt er sich in keiner Weise etwas zurück?
Wir haben sicher auch darüber gesprochen, wer welche Rolle wie interpretiert, und welche Dinge sich im Umfeld ändern könnten.
Sie und Teammanager Oliver Roggisch sind als Bindeglieder nah an der Mannschaft dran. Machen Sie sich nicht den Vorwurf, die aufkommenden atmosphärischen Störungen zwischen Mannschaft und Trainer während der EM nicht moderiert zu haben?
Während eines Turniers einzugreifen, ist schwierig. Ein Spiel jagt das andere. Wir haben uns gesagt, wir sprechen die relevanten Themen nach dem Turnier an. Im Nachhinein ist man immer schlauer.
Wie anstrengend war für Sie persönlich die Phase der Entscheidungsfindung, ob Prokop bleibt oder?
Das war schon sehr hart und anstrengend, weil ich die Rolle des Krisenmanagers übernommen habe. Ich habe mit fast allen Spielern gesprochen, ihre ehrliche Meinung eingeholt. Dieser ganze Prozess hat auch mich persönlich weitergebracht.
Der entscheidende Punkt, dass es keinen Trainerwechsel gab, war doch aber, dass Hanning gedroht hatte, zurückzutreten, wenn es mit Prokop nicht weitergeht?
Bob Hanning soll gesagt haben, dass er für einen Neuanfang nicht zur Verfügung steht. Ich weiß nicht, ob diese Aussage Auswirkungen auf die Abstimmung hatte.
Wenn der DHB finanziell besser da stehen würde, wäre dann Alfred Gislason Bundestrainer geworden, und hätten Sie mit einem solch erfahrenen Coach nicht ein besseres Gefühl mit Blick auf die Heim-WM?
Die Finanzen haben keine Rolle gespielt. Und ich habe auch so ein gutes Gefühl.
Beginnend mit den Freundschaftsspielen gegen Serbien wird nun aber jede Aktion von Prokop extrem beäugt wird?
Das brauchen wir sicher nicht wegdiskutieren: Jede Aktion von Christian Prokop kommt unters Brennglas. Wir wissen wie das Geschäft funktioniert.
Bei Auszeiten wird genau hingeschaut und zugehört.
Mimik und Gestik werden interpretiert. Wir wollen aber Charaktere, die Reaktionen und Emotionen zeigen und keine Vorzeige-Schulbuben. Es wird immer Entscheidungen von Christian Prokop geben, die dem einen oder anderen nicht gefallen werden. Wenn er das nicht machen würde, wäre er nicht der richtige Mann.
Wann ist die Heim-WM 2019 für Sie erfolgreich?
Für mich hängt eine erfolgreiche Heim-WM nicht nur vom Gewinn einer Medaille ab …
…es hieß aber es sei eine „unverhandelbare Vision“…
Wir wollen ja auch eine Medaille, das ist doch völlig klar. Aber ich werde jetzt nicht sagen, wir werden Weltmeister, nur damit es eine Schlagzeile gibt. Dafür gibt es andere Lautsprecher.
Aber am sportlichen Erfolg der Lokomotive Nationalmannschaft hängt nun mal viel.
Das wissen wir natürlich. Einige unserer heutigen Spieler sind durch den WM-Titel 2007 im eigenen Land animiert worden, ihre Handball-Ambitionen voranzutreiben. Es muss immer das Ziel sein, dass ein Sportler sagt: Ich bin stolz ein Handballer zu sein.
Im Kampf um die Mannschaftssportart Nummer zwei hinter Fußball befindet sich nach Olympia-Silber Eishockey im Aufwind.
Bei allem Respekt: Ich habe keine Angst, dass uns Eishockey die Jugendspieler wegnimmt. Aber noch einmal: eine erfolgreiche Nationalmannschaft ist der wichtigste Faktor, dass unsere Vereine Nachwuchs und Ehrenamtliche finden.
Sie stammen aus Württemberg und wohnen hier. Welche Spieler aus dem Land werden im WM-Kader stehen?
Frisch-Auf-Spielmacher Tim Kneule wurde ja für den verletzten Simon Ernst nachnominiert. Sein Vereinskollege Marcel Schiller ist sicher auch nicht weit weg. Und Jogi Bitter vom TVB Stuttgart hat ja vor Kurzem öffentlich seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt. Es kann bis Januar 2019 schon noch Bewegung in den Kader reinkommen.
Und was machen Sie, wenn es 25 Jahre nach Ihrem Stabhochsprung-Titel, zum WM-Titel 2019 reicht?

(lacht) Der Zusammenhang ist jetzt aber weit hergeholt. Aber in dem Fall würde ich vor allem mächtig stolz sein, etwas feiern und dann schauen, dass wir den Erfolg nachhaltig verstetigen. Aber bis dahin ist es noch ein sehr, sehr harter Weg.