Der Hautarzt muss sich bei der Dia­gnose auf sein Auge und seine Erfahrung bei der Unterscheidung zwischen harmlosem Muttermal und bösartigem Melanom verlassen – Algorithmen könnten ihm bald die Diagnose abnehmen.

Stuttgart - Das maligne Melanom, auch Schwarzer Hautkrebs genannt, ist eine der aggressivsten Krebsarten. Bereits in einem sehr frühen Stadium kann es Metastasen bilden. Für eine vollständige Heilung muss der Krebs möglichst frühzeitig entdeckt und entfernt werden. 22 000 Menschen, darunter immer jüngere, bekommen in Deutschland jedes Jahr die Diagnose.

 

Die Zahl der Hautoperationen geht jedes Jahr in die Hunderttausende. Anschließend bei der histologischen Untersuchung stellt sich aber lediglich bei einer von fünf Operationen heraus, dass es sich tatsächlich um den gefürchteten Hautkrebs handelte. Der Grund: Der Hautarzt muss sich bei der Diagnose auf sein gutes Auge und seine Erfahrung bei der Unterscheidung zwischen harmlosem Muttermal und bösartigem Melanom verlassen. Ist er sich unsicher, entscheidet er sich eher für ein Herausschneiden, statt das Risiko einzugehen, eine möglicherweise fatal verlaufende Erkrankung zu übersehen.

Holger Hänßle vom Universitätsklinikum Heidelberg hat mit seiner Forschungsgruppe jetzt eine Künstliche Intelligenz entwickelt, die Hautärzte bei der bildlichen Erkennung von Hautkrebs erstmals überflügelt. „Der von uns verwendete Algorithmus stammt von Google und wurde ursprünglich zur Gesichtserkennung programmiert“, erklärt Hänßle. „Wir haben ihn mit etwa 100 000 Bildern von gut- oder bösartigen pigmentierten Hautarealen trainiert und dann gegen 58 Dermatologen antreten lassen.“ In der internationalen Studie erzielten die Ärzte bei der korrekten Erkennung gutartiger Muttermale eine Rate von 71 Prozent, während die KI 83 Prozent erreichte.

Unnötige Operationen sollen vermieden werden

Darüber hinaus wird sie durch das Füttern mit weiteren Bildern diagnostizierter Hautläsionen kontinuierlich besser. „Wir hoffen natürlich, dass der Einsatz der Künstlichen Intelligenz die Ärzte bei der Diagnose unterstützt und so die Rate der Fehlalarme, die zu unnötigen Operationen führen, gesenkt wird“, so Hänßle. Die Künstliche Intelligenz ist mittlerweile europaweit zugelassen und wird bereits von etwa 100 dermatologischen Praxen und Kliniken angewendet – Tendenz steigend.

Für Hochrisikopatienten wie Chantal Kauf macht ein solches Assistenzsystem einen großen Unterschied. Die Kaiserslauterin hat die Prozedur nach einem Verdachtsfall bereits einmal durchlebt. Bei einer Früherkennungsuntersuchung war bei der 23-jährigen Physiotherapeutin ein auffälliges Muttermal entdeckt worden. Der Arzt operierte sie und ließ das Gewebestück histologisch untersuchen. „Es dauerte zwei Wochen, bis ich das endgültige Ergebnis bekam“, erzählt uns Chantal Kauf. „Diese Wartezeit war sehr schwer für mich.“ Bei ihr war der Befund positiv, das heißt, dass es sich bei ihr tatsächlich um ein Melanom gehandelt hat. Durch das schnelle Herausschneiden konnte ein schlimmer Verlauf der Krankheit verhindert werden. Jetzt wird sie engmaschig überwacht. Ein anderes ihrer Muttermale zeigt ebenfalls Auffälligkeiten, und wegen ihrer Vorgeschichte ist sie nervös. Der Hautarzt ist zwar der Meinung, dass es sich um ein gutartiges Mal handelt, aber sie möchte lieber sichergehen. Sie lässt daher die Stelle zusätzlich im Heidelberger Universitätsklinikum bei Holger Hänßle von der intelligenten Bildanalyse abklären. Diese gibt Entwarnung. Sie ordnet die Pigmentstelle als negativ ein: kein Hautkrebs. „Das ist gut, wenn man so schnell ein Ergebnis hat. Jetzt kann ich erleichtert nach Hause gehen“, sagt Chantal Kauf lächelnd.

Analyse-Genauigkeit von 89 Prozent

Dieses Bildanalyseverfahren erreicht eine hohe Genauigkeit, verbleibt jedoch, wie auch das Auge des Arztes, im sichtbaren Bereich und an der Hautoberfläche. Das Start-up Magnosco in Berlin hat nun eine Methode entwickelt, die auf Molekülebene und in tieferen Hautschichten Tumorzellen aufspüren kann. Dr. Lukasz Scyz, wissenschaftlicher Leiter des Unternehmens, erklärt: „Sichtbares Licht dringt etwa zehn Mikrometer in die Haut ein. Unsere Diagnostik reicht jedoch bis in Tiefen von 200 Mikrometer. Wir können Melanome so schon in einem sehr frühen Stadium erkennen, wenn sie noch nicht an der Oberfläche auftreten.“

Mittels eines pulsierenden Laserstrahls wird das Melanin bei diesem Verfahren zum Fluoreszieren angeregt. Haut strahlt mit ganz typischen Fluoreszenzspektren, je nachdem ob sie gesund ist oder sich ein wucherndes Gewebe in ihr befindet. Die Messung erreicht so eine hohe Spezifität, wie bei einem Fingerabdruck. Zur Auswertung wird wiederum Künstliche Intelligenz herangezogen, die gelernt hat, die Spektren voneinander zu unterscheiden. Mit dem sogenannten Dermatofluoroskop wird beim Patienten ein definiertes Hautareal eingescannt, und nach fünf Minuten teilt ein Score mit, ob eine Operation notwendig ist oder nicht.

Die Methode erreicht eine hohe Genauigkeit von 89 Prozent bei der Erkennung von Melanomen. Das Gerät ist lizenziert und wird in drei Praxen in Deutschland angewandt. Für den breiten Einsatz in der klinischen Praxis arbeiten die Wissenschaftler noch daran, es schneller und leichter handhabbar zu machen.