Schmier, Salze oder Eingemachtes? Im Schwäbischen gibt es unzählige Arten, das Wort Marmelade auszusprechen. Um die Vielfalt des Dialekts zu wahren, unterstützt Ministerpräsident Kretschmann einen Sprachatlas der besonderen Art.

Stuttgart - Spätestens seit der Dialekttagung vergangenen Dezember im Neuen Schloss in Stuttgart steht der Erhalt der Dialektvielfalt in Baden-Württemberg auf der Agenda von Winfried Kretschmann weit oben. Bekanntlich parliert der Ministerpräsident selbst mit gepflegtem oberschwäbischem Zungenschlag, was ihn zweifellos zu einem glaubhaften Streiter im Kampf gegen die dialektale Sprachverkümmerung und die grassierende Mundartdiskriminierung macht.

 

Forschungsarbeit für den Dialekt

Kein Wunder also, dass die Vorstellung des kürzlich an der Universität Tübingen nach jahrelanger Forschungsarbeit fertig gestellten Sprachatlas für Nord Baden-Württemberg am Donnerstagnachmittag im Staatsministerium stattfand. Für Kretschmann war das ein guter Anlass, erneut auf den drohenden Dialektverfall im Land hinzuweisen: „Es geht wirklich um den Erhalt einer kulturellen Vielfalt“, betonte der Ministerpräsident anlässlich der Präsentation des Sprachatlas. Dabei seien die Sprachatlanten und Dialektwörterbücher eine wunderbare Hilfe: „Wo schwätzt man wie?“.

Projekt der Universität Tübingen

Der Sprachatlas von Nord Baden-Württemberg, der durch das Wissenschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg und den Förderverein Schwäbischer Dialekt e.V. gefördert wurde, ist ein Projekt der Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland, die ganz bewusst sprach- und kulturwissenschaftliche Ansätze miteinander verbindet. Die Arbeitsstelle ist auch an das Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaften der Eberhard Karls Universität in Tübingen angebunden.

Mit der Fertigstellung des Sprachatlas von Nord Baden-Württemberg wird eine bislang klaffende Lücke in der Erforschung der Dialekte des süddeutschen Raumes geschlossen. 30 Jahre lang fehlte bei der Erforschung der Dialekte das Gebiet zwischen Mannheim und Wertheim, Karlsruhe und Ulm. „Dieses Loch in der Mundartlandschaft haben wir jetzt nach zehnjähriger Arbeit geschlossen“, sagte Professor Hubert Klausmann, der das Projekt federführend leitet. Der Sprachatlas ermögliche es Wissenschaftlern und Laien, anhand von 485 online zur Verfügung stehenden Karten sowohl zu erkennen, was schwäbisch oder was fränkisch sei als auch wie stark sich die verschiedenen schwäbischen und fränkischen Räume unterscheiden. „Dazu wurden innerhalb von drei Jahren Dialektsprecher in 171 Ortschaften befragt“, so Klausmann.

Sechs Arten Marmelade zu sagen

Um die wissenschaftliche Vergleichbarkeit zwischen den Dialekten zu gewährleisten, waren der Fragenkatalog, mit denen die Sprachwissenschaftler vor allem Vokabeln der alten, bäuerlichen Welt ermittelten, sowohl im jetzt erschlossenen Sprachraum als auch in seinen angrenzenden Gebieten identisch. „Die fünf nun vorliegenden Bände dokumentieren einerseits den alten Sprachzustand, andererseits aber auch neue Entwicklungen“, betonte der Dialektwissenschaftler. So zeigt eine Karte beispielsweise, dass es für das Wort „Marmelade“ allein im Main-Tauber-Kreis sechs verschiedene Bezeichnungen gibt: Schmier, Eingemachtes, Süß, Gelee, Streiche oder Salze.

Der Ministerpräsident kündigte in diesem Zusammenhang an, dass in einem Jahr eine Fortsetzung der Dialekttagung stattfinden soll. Demnach seien auch erste Gespräche mit der Kultusministerin Susanne Eisenmann geführt worden, um sie für das Thema zu gewinnen. „Wir müssen in den Kindergärten, Schulen und im Rundfunk in dieser Hinsicht etwas unternehmen, ohne im strengeren Sinn Sprachpolitik zu betreiben“, sagte Kretschmann.