Das Konzert der Beginner ist Party ohne Ende. Und am Ende stehen alle auf der Bühne, Jan Delay und seine Buddys, Advanced Chemistry, Samy Deluxe und Megaloh – sinnbildlich für eine bunte Republik, für das Selbstverständnis eines deutschen Hip-Hops, der mehr zu bieten hat als Gangsterattituden.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Rund eine halbe Stunde ist das Konzert der Beginner am Mittwochabend alt, als das Hamburger Trio zwei Gäste auf der Bühne willkommen heißt. Es sind die Herren Toni Landomini und Frederik Hahn, sie stehen für eine lange Tradition. Unter den Künstlernamen Toni-L und Torch gründeten die beiden Heidelberger 1987 das Kollektiv Advanced Chemistry, das zu den Pionieren des deutschsprachigen Hip-Hops zählte. Zu ahnen war seinerzeit nicht, dass sich dieses Genre zu einer erfolgreichen musikalischen Gattung entwickeln sollte; so wenig wie zu ahnen war, dass ihr größter Erfolg, das Stück „Fremd im eigenen Land“, bald dreißig Jahre später noch immer von Relevanz ist. Die beiden Rapper, der eine mit italienischen, der andere mit haitianischen Wurzeln, thematisieren darin das Gefühl vieler Migrantenkinder, weder hier noch dort eine Heimat gefunden zu haben.

 

Möglich gemacht haben sie damit den politischen Sprechgesang in Deutschland, möglich gemacht haben sie als Impulsgeber zudem jene Initialzündung, die in Hamburg Anfang der Neunziger zur Gründung des Rapkollektivs Absolute Beginners führte. „Ohne die wären wir nicht hier“, skandieren die längst zu Beginner umgetauften Hamburger Jungs eindringlich von der Bühne der Schleyerhalle, so gesehen ist’s ein feiner Zug, nicht nur das aktuelle Beginner-Album „Advanced Chemistry“ genannt zu haben, sondern die Herrschaften als Gäste auch mit auf die jetzige Tournee zu nehmen, die durch die größten Hallen der Republik führt und somit auch davon kündet, wo dieser deutschsprachige Rap bald drei Dekaden später angekommen ist.

Große Geburtstagssause

Eine Variante von „Fremd im eigenen Land“ bringen sie gemeinsam bei ihrem Stuttgarter Auftritt, allein weil das Politische angenehmerweise immer auch Bestandteil der Texte und Denkweise der Beginner war. Daneben lebt der Hip-Hop der Beginner allerdings auch von der scherzhaften Note. DVD- und Albumtitel wie „Die derbste Band der Welt“ oder „Wir waren jung und brauchten kein Geld“ künden von der feinen Ironie, die vielen Beginner-Texten innewohnt, Songs wie „Hammerhart“ ebenfalls, wenngleich wie oft im Leben der Grat zwischen Komik und Klamauk auch bei den Beginnern bisweilen schmal ist.

„Hammerhart“ servieren die Beginner gleich zu Beginn ihres Auftritts, ein Mensch im Hühnchenkostüm betritt bald darauf die Bühne, die Samples von Nenas Gassenhauer „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ kommen, das biboartige Wesen nimmt am Ende ein Bad in der Menge und wird genauso bejubelt wie so vieles an diesem Abend. Der nämlich dient auch zur Feier des Daseins und des Dagewesenen. Zelebriert wird mit weiteren Gästen auf der Bühne, die für den heutigen – Megaloh – und den Old-School-Hip-Hop – Samy Deluxe – stehen, gewürdigt wird so gesehen auch das Überleben dieses Genres im Allgemeinen. Sowie im Speziellen: zu Recht hocherfreut begehen die Beginner am Mittwochabend den 25. „Geburtstag“ ihrer ersten Songs, die sie just vor einem Vierteljahrhundert geschrieben haben. Zwischenzeitlich haben sich die Herren Auszeiten gegönnt, welche die beiden Rapper – Denyo und insbesondere Jan Delay – für künstlerisch sehr erfolgreiche Soloprojekte genutzt haben. Und im August erschien nun ihr erst viertes Album, das allerdings prompt wieder auf Platz Eins der deutschen Charts landete.

Jugenderinnerungen und Hedonismus

Eine schöne Erfolgsgeschichte also. Das Publikum dankt es entsprechend, die Schleyerhalle ist mit neuntausend Besuchern zwar längst nicht ausverkauft, aber doch gut besucht. Das Publikum erlebt dort Delay und Denyo nebst dem Dritten im Bunde, DJ Mad, der auf einem hübsch illuminierten pyramidenartigen Podest thront und den Sound beisteuert. Sowie zwei Begleiterinnen, die mit der Bezeichnung Backgroundsängerinnen unzureichend charakterisiert wären: Sie prägen den Gesang und Sprechgesang deutlich mit, und zwar sehr vorteilhaft. Auf die bei Veranstaltungen dieser Größe eigentlich üblichen Videoleinwände wird leider verzichtet, auf jegliche Musiker ebenfalls – alles kommt aus dem Computer, was zwar bei Hip-Hop-Auftritten übliches Ritual ist, aber dennoch wie üblich eher den Eindruck einer Show denn eines Konzerts erweckt.

Der Sound in der Schleyerhalle kann den Erwartungen nicht standhalten, insbesondere zum Ende des neunzigminütigen Auftritts gerät er fast schon peinigend laut, und auch die Stimmen der zwei Hauptprotagonisten könnten klarer akzentuiert gemischt sein. Der Partystimmung tut das allerdings keinen Abbruch. Gefeiert wird hier ein Wiedersehen, viele Jugenderinnerungen und auch eine hübsche Prise Hedonismus. Am Ende stehen dann alle gemeinsam auf der Bühne, der Hamburger Soulbrother Jan Delay und seine Buddys, die beiden Politrapper von Advanced Chemistry, der engagierte Hip-Hopper Samy Deluxe und der niederländisch-nigerianischstämmige Berliner Megaloh – sinnbildlich vielleicht auch für eine bunte Republik, auf jeden Fall für das Selbstverständnis eines deutschen Hip-Hops, der weit mehr zu bieten hat als dämliche Dicke-Hosen- und Gangsterattituden.