Netflix und die Zukunft des Kinos: In diese komplexe Diskussion ist am Mittwoch bei der Berlinale die spanischen Regisseurin Isabel Coixet geraten mit ihrem Drama über die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare.

Berlin - Produzentenlogos im Vorspann sind sonst keine Aufreger. Als am Mittwoch im Berlinalepalast Das rote „N“ des Streaming-Dienstes Netflix erscheint, ertönen Buhrufe und ironische „Yeahs“. 160 deutsche Kinobetreiber haben vom Festival gefordert, „Elisa & Marcela“ aus dem Wettbewerb zu nehmen, weil Netflix bisher das Kino nur in Kurzeinsätzen als Werbeplattform nutzt. Das ist vernünftig aus Sicht des Streamingdienstes, den Filmemacher mögen, weil er mit viel Geld viele Projekte ermöglicht – zugleich ist die Angst um die Kinokultur groß.

 

Die spanische Regisseurin Isabel Coixet sagt, sie sei einfach froh gewesen, ihren Film finanziert zu bekommen. Er erzählt die reale Geschichte eines lesbischen galizischen Paares im Jahr 1901, das verbotenerweise heiratete (eine der Frauen war als Mann verkleidet), aufflog, vor dem katholisch-reaktionären Volkszorn nach Portugal floh und Dank barmherziger Mitmenschen nach Argentinien auswandern konnte. Das Statement für Toleranz ist stark, das schwarzweiße Werk ein präzise ins Bild gesetztes romantisches Schwelgen, dramaturgisch unterkomplex und eine gute Stunde lang geprägt von sehr ausführlichen Zärtlichkeiten zwischen zwei sympathischen jungen Frauen.

„Als wären das Mafiosi!“

Coixet entscheidet weder über den Berlinale-Wettbewerb noch über Kinoeinsätze. Bei der Pressekonferenz zum Film ist aber sonst niemand da, den man fragen könnte, und Coixet gerät in Rage: „Ich verstehe die Frage, aber es wäre unfair, die Story dieser beiden Frauen aus dem Wettbewerb zu drängen. Das ärgert mich, das finde ich falsch. Meine Oma hat im Kino Tickets verkauft, natürlich ist dies ein Kinofilm, er wird in Spanien laufen und dann auch in anderen Ländern, es gibt bereits Interesse – zum Beispiel aus Brasilien, wo sie die Homo-Ehe jetzt verbieten wollen.“ Andererseits sieht sie die Situation sehr realistisch: „Das gute an Netflix ist, dass viele Menschen auf der ganzen Welt den Film sehen können, viel mehr als früher. Es muss um eine Koexistenz gehen. Kinofilme müssen einfach im Kino gesehen werden können. Aber diese Voreingenommenheit mag ich nicht, als wären das Mafiosi, das sind sie nicht!“

Um den Inhalt geht es dann auch noch. „Mit der Ehe habe ich nichts am Hut“, sagt Coixet, die mit Freund und Tochter in Berlin ist. „Ich war noch nie verheiratet, Urkunden unterschreiben: schrecklich!“ In Schwarzweiß habe sie gedreht, weil die Fotos der realen Frauen, auch das erhaltene Hochzeitsfoto, schwarzweiß sind. „Für manche Sender war das ein Problem, weil sie glauben dass die Leute lieber Farbe sehen. Ich konnte mir das aber nicht vorstellen in Farbe.“

Die zuständigen Politiker sind in der Pflicht

Vorerst bleibt „Alisa & Marcella“ im Rennen und mit dem Film die ästhetische Kameraarbeit von Jennifer Cox sowie die anmutigen Darstellerinnen Natalia de Molina und Greta Fernández. Coixet bekam in Berlin 2003 für „Mein Leben ohne mich“ den Preis der deutschen Filmkunsttheater, 2015 fiel ihr verqueres Grönland-Drama „Nobody wants the Night“ mit Juliette Binoche als Eröffnungsfilm durch. „Damals wollte ich in die Spree springen“, sagt sie. „Aber man rappelt sich wieder auf. Es ist wie eine Krankheit, ich muss Filme machen. Und ich liebe Berlin, das ist das einzige Festival in einer richtigen Großstadt mit einem richtig großen Publikum.“

Was die sich verändernden Produktionsbedingungen angeht, ist es höchste Zeit, dass die zuständigen Politiker die Diskussion versachlichen, am besten auf europäischer Ebene – und sich mit allen Parteien an einen Tisch setzen, um sinnvolle Regeln für ein Nebeneinander von Kino und Streaming auszuhandeln.