Die Klinik Schillerhöhe steht vor großen Veränderungen. Anlass für einen Blick in das Haus und seine Umgebung, auf Operationen, Choreografen – und leere Tische.

Gerlingen - Es gab eine Zeit, da konnten sich die Ärzte der Klinik Schillerhöhe ihres Platzes in einer der örtlichen Gastwirtschaften sicher sein. Sie musste sich nur ein weniger lauter über ihre Profession und ihren Arbeitsplatz in der Lungenheilklinik in Gerlingen unterhalten. Dazu hüstelten sie ein wenig – so schnell konnten sie nicht schauen, wie die Plätze frei wurden. So groß war die Angst der Menschen vor Tuberkulose, dass sie gar auf Distanz zum Klinikpersonal gingen. Die Ärzte nahmen es mit Humor, die Geschichte von den leeren Tischen im Wirtshaus, wie sie sich vor 30, 40 Jahren zugetragen hat, wird heute noch erzählt.

 

Das Image der „Hustenburg“, wie sie auch genannt wurde, hat das einstige Sanatorium längst nicht mehr. Heute ist die Lungenfachklinik unter dem Dach des Robert-Bosch-Krankenhauses (RBK) ein zertifiziertes Lungenzentrum, das deutschlandweit anerkannt ist. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass ein Kernstück des Klinikbetriebs, die Thoraxchirurgie ins RBK nach Stuttgart verlegt werden soll. Wie die frei werdenden Flächen benutzt werden, ob sie zur Rehaklinik werden, ist offen.

Definitiv vorbei sind die Zeiten, in denen die Abgeschiedenheit der Klinik im Wald ganz gut die Distanz Gerlingens und seiner Bürger zu Arzt und Patienten beschrieb. Die Klinik liegt zwar immer noch abgeschieden. Die Lage gereichte den Medizinern wohl aber auch zum Vorteil. Sie verstanden sich als großes Team. 450 Mitarbeiter zählt die Klinik nach eigenen Angaben heute. Sie versorgen jährlich rund 9000 stationäre Patienten.

Gebäude für andere Zwecke gebaut

Dabei war das Gebäude einst gar nicht für medizinische Zwecke gebaut worden. 1938 sollte dort eine Nazi-Kaderschmiede entstehen, eine Gebietsführerschule. Die Gerlinger willigten einer Schenkung des Geländes auf ihrer Gemarkung ein. Der damalige Bürgermeister soll nachweislich eines Gemeinderatsprotokolls von einem „herrlichen Bau“ geschwärmt haben, „der nach seiner Fertigstellung einer der schönsten Grossbauten des Dritten Reiches in Süddeutschland sein werde“. Geplant war die ständige Belegung mit bis zu 250 Führern der Hitlerjugend. Drei Jahre später, 1942, wurde das Gelände nebst Schloss Solitude nach Stuttgart eingemeindet. Das kleine Gerlingen könne die Infrastruktur nicht finanzieren, hieß es offiziell.

Dass die Solitude – der Dichter Friedrich Schiller besuchte im 18. Jahrhundert dort die Militärakademie – ein Prestigeobjekt war und Bedienstete in Stuttgart mehr verdienten als in Gerlingen, dürfte auch eine Rolle gespielt haben. Soweit kam es freilich nicht. Der nationalsozialistischen Regierung ging das Geld aus, der Bau blieb im Rohbau stehen. Nach dem Krieg forderte Gerlingen Schloss und Gemarkung zurück. 1951 bekam Gerlingen zwar die einst geschenkte Gemarkung zurück, das Schloss blieb aber bei Stuttgart. Heute ist es ein Ausflugsziel. Mehr noch: Auf dem kleinen Friedhof in unmittelbarer Nähe liegen die Eltern und einer der Brüder des ehemaligen und mittlerweile verstorbenen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Auch der Choreograf John Cranko und Robert Bosch Junior liegen dort.

Der Rohbau liegt brach

Der Rohbau indes lag viele Jahre brach – bis es die Landesversicherungsanstalt (LVA) Anfang der 1950er Jahre kaufte. Tuberkulose war nach dem Zweiten Weltkrieg zur hoch ansteckenden Volkskrankheit geworden. Die wenigen Lungenheilstätten im Land reichten nicht aus, deshalb wurde 1953 ein weiteres auf der Schillerhöhe eingerichtet. Der Widerstand des Haus- und Grundbesitzervereins Schillerhöhe war erfolglos geblieben. Die Presse hatte ihm einen „leidenschaftlicher Propagandafeldzug“ vorgeworfen. Die Tuberkulose wurde mit der steigenden Lebensqualität immer seltener. Das Sanatorium entwickelte sich weiter, die Thoraxchirurgie wurde etabliert. Sie brachte der Klinik zwar großes Renommee. Aber die Abteilung stand in den 1970er Jahren dennoch auf der Kippe, weil sich die LVA zwar die Rehabilitation, nicht aber die Behandlung akuter Erkrankungen wie etwa Lungenkrebs zur Aufgabe gemacht hatte. Die Stadt Stuttgart pachtete die Abteilung, um deren Fortbestand zu sichern.

Offen für Innovationen

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich, dass sich die Klinik längst gelöst hatte von ihrem Image, ein Sanatorium zu sein. Dazu trug sicher bei, dass Leitende Ärzte offensiv den medizinischen Fortschritt nutzten, anstatt zurückhaltend abzuwarten, wie es Zeitzeugen beschreiben. Mit Rainer Dierkesmann etwa kam die Schlafmedizin und vor allem die Lasertherapie auf die Schillerhöhe. Er etablierte die Behandlung der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose, und Diagnose und Therapie von Lungenkrebs gewannen an Bedeutung. Das hatte Folgen: Die Klinik Schillerhöhe, offiziell immer noch eine Tuberkuloseheilstätte, wurde zu einem Zentrum für Lungen- und Bronchialkranke. 1987 machte die Klinik dann weltweit Schlagzeilen. Am 29. August 1987 transplantierten die Ärzte erstmals in Europa einen einzelnen Lungenflügel. Verantwortlich war seinerzeit der Chefarzt Heikki Toomes. Er habe die Innovationen gefördert, indem er seine Ärzte nach Toronto, Montreal und New York mitnahm, um zu lernen, sagt der langjährige Chefarzt Godehard Friedel. Dies sei die Basis gewesen, dass die Operation überhaupt möglich war. Friedel ging vor wenigen Wochen in Ruhestand. Sein Nachfolger ist Gerhard Preißler. Er wird die Veränderung auf der Schillerhöhe zu realisieren haben.