Sie klettert im Himalaja und in den Anden, sie radelt von Garmisch zum Gardasee und sie läuft quer durch die Alpen – Laura Dahlmeier genießt ihr neues Leben nach der Karriere, weil sie viel Unbekanntes entdeckt.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Bormio/Stuttgart - Sie ist nicht auf der Suche. Aber sie findet. Und zwar immer wieder spannende Herausforderungen, immer wieder großartige Eindrücke, immer wieder interessante Menschen. Laura Dahlmeier ist in ihrem Leben nach ihrer medaillenreichen Biathlon-Karriere aktiver als in den Jahren, als sie um Sekunden und Treffer, um Olympische Ehren und WM-Titel kämpfte. „Ich entdecke stets neue sportliche Aktivitäten, bei denen ich mich ans Limit bringen kann“, sagt die 27 Jahre alte Bayerin, „dabei geht es aber nicht nur um die körperlichen Leistungen, ich entdecke auch viel Unbekanntes.“

 

Wie beim Alpfronttrail, an dem die kleine Frau aus Partenkirchen teilnimmt. Am Dienstag vergangene Woche startete sie in Grado an der italienischen Adria, an diesem Dienstag endete der Extremlauf nach 850 Kilometern auf der Passhöhe des Stilfser Jochs – in acht Tagen überwanden die Kilometerfresser 55 000 Höhenmeter, während sie die Frontlinie des Ersten Weltkriegs nachzogen, an der Soldaten aus Italien und Österreich-Ungarn aufeinander schossen.

850 Kilometer mit 55 000 Höhenmetern in acht Tagen

„Sport mit Geschichte zu verbinden“, sagt Laura Dahlmeier, „ist eine tolle Idee, den Blick nach hinten zu werfen: Hier herrschte mal grausamer Krieg, wir genießen heute die Freiheit beim Laufen.“ Die Idee, den Alpfronttrail 100 Jahre nach der Annexion Südtirols durch Italien zu organisieren, hatten der Bayer Philipp Reiter und der Südtiroler Harald Wisthaler, die zahlreiche Extremläufer anlockten. Und die mussten sich extremen Bedingungen stellen, nicht nur, dass die Etappen um 4.30 Uhr gestartet wurden. Dem Urlaubsambiente in Grado folgten Sprühregen und Nebel auf dem Weg in die Dolomiten, dort scheinte die Sonne, doch auf dem Weg nach Riva del Garda rannte der Tross durch dichtes Schneegestöber. „Das war heftig“, sagte Dahlmeier, „aber alle sind am Gardasee angekommen.“ Auf dem vorletzten Teilstück nach Bormio war wieder die Sonne mit von der Partie.

Was früher bei Dahlmeiers Aktivitäten das Wichtigste gewesen ist, spielt heute eine untergeordnete Rolle: die Zeit. „Der Spaß an der Bewegung und der Herausforderung ist das Wichtigste“, sagt die siebenmalige Weltmeisterin, „ich gebe natürlich alles, aber wichtig ist die Gaudi.“ Wie die erhabenen Eindrücke in der Bergwelt, die ein Naturmädel wie sie liebt, sowie die Begegnung mit Menschen, die oft massiv erstaunt sind, wenn sie die einstige Biathlon-Königin im Starterfeld ausmachen. Dann hört sie Worte wie „cool, dass du dabei bist“ oder „dich hätte ich nicht erwartet“. War die Biathletin gegenüber Medien und Fans eher scheu und versuchte dem Rummel aus dem Weg zu gehen, so ist die Bergläuferin nahbar – sie unterhält sich mit Konkurrenten und lässt bereitwillig Selfies mit sich zu. „Sie würden sich sonst wahrscheinlich nicht trauen, mich anzusprechen“, erzählt die zweimalige Olympiasiegerin, „aber wenn wir alle eine Startnummer tragen, fällt die Hemmschwelle.“ Sie wehrt sich nicht gegen ihren Promistatus, wenngleich sie energisch darauf hinweist, dass es im Feld „einige Leute gibt, die im Traillauf mehr erreicht haben als ich“.

Klettern im Himalaja und in den Anden

Seit ihrem Rücktritt im Mai 2019 hat sich Laura Dahlmeier in viele Herausforderungen gestürzt. Als Läuferin stellte sie beim Karwendellauf einen Rekord auf, nahm an der Berglauf-WM und am Zugspitz-Ultratrail teil, als Bergsteigerin stand sie im Himalaja auf dem Ama Dablam (6812 m), in den Anden auf dem Tocllaraju (6034 m) und dem Damavand (5610 m) im Iran, auf dem Rad strampelte sie in 15 Stunden 375 Kilometer von Garmisch an den Gardasee. „Ich bin dankbar“, sagt sie, „dass ich die körperlichen Fähigkeiten besitze, das unternehmen zu können. So kann ich in Dinge eintauchen, die ich nicht kenne.“ Fast nebenbei hat sie die Trainer-B-Lizenz gemacht und studiert Sport an der TU München. Laura Dahlmeier genießt ihr Leben, auch wenn es manchmal hart zugeht. Oder gerade deswegen.