Im Oktober 1993 ging es los: das ZDF strahlte den ersten Rosamunde-Pilcher-Film aus. Seitdem kann nichts den Erfolg der Reihe bremsen. Am 7. Oktober läuft die neueste Schnulze. Zeit für ein kleines Gespräch in der Redaktion über Romantik, Kerzenlicht und Männerbilder.

Stuttgart - Viele lieben sie, einige laufen schreiend davon, jeder weiß, wovon die Rede ist: Rosamunde-Pilcher-Filme sind regelmäßig Quotenhits fürs ZDF. Und das seit einem Vierteljahrhundert. Am 7. Oktober um 20.15 Uhr läuft mit „Wo Dein Herz wohnt“ bereits der 142. Film der Reihe. Widerstand ist zwecklos, aber wegschauen auch erlaubt. Unsere Medienredakteure Ariane Holzhausen und Thomas Klingenmaier haben sich wie zufällig über das Phänomen unterhalten, und das Tonband lief mit.

 

Ein Dialog

Ariane Holzhausen: An diesem Wochenende startet die große Rosamunde-Pilcher-Jubiläums-Saison. Wirst Du „Wo dein Herz wohnt“ gucken?

Thomas Klingenmaier: Nein. Ich habe zwar schon Pilcher-Filme komplett gesehen, aber das ist für mich wie Karussellfahren ohne Abschaltknopf: eindeutig zu viel des Guten. Mir reichen die Versatzstücke, die ich beim Durchzappen aufschnappe. Die werden ja immer nur anders montiert. Ich bleibe dem Jubiläum fern.

AH: Aber so ein bisschen Urlaub vom Sofa aus zu machen, hat doch noch keinem geschadet, Du Muffel?

TK: Wo Du ein bisschen recht hast … Stimmt schon. Das heile provinzielle England spricht mich durchaus an, dieser gutbürgerliche Wohlstand mit seinen landadligen Traditionen, Müßiggang, gekoppelt an Handfestes: Falken, Pferde, Klippen. Diese Guckkastenmomente sind schon rührend. Vor allem, wenn meine Wunschimmobilie gezeigt wird.

Keine Köttel, aber Männer

AH: Dafür müssen die Kameraleute aber auch ganze Arbeit leisten. Das musst Du respektieren. Kein Strommast darf im Bild stehen, keine Schnellstraße die Idylle zerschneiden, Neubauviertel und Industriegürtel sind tabu. Schafe gibt es gern mal zu sehen, aber Köttel hinterlassen die wohl nie.

TK: Das ist wohl das Anziehende dieser Quotenhit-Reihe. Hier werden Orte gezeigt, die du nicht mal mit viel Suchen im Urlaub findest.

AH: Und vor allem: Männer, die Du nicht einmal mit viel Suchen zuhause findest.

TK: Wie bitte? Diese Mischungen aus Marzipanschwein, Klamottenständer und Schmachtdackel findest Du anziehend? Ist das wirklich beglückend für Dich, dass jede Folge völlig überraschungsfrei im Hafen der Ehe landet?

Leidenschaft und Cola

AH: Einer der Produzenten hat einmal gesagt, dass Pilcher-Filme wie Cola sind...

TK: Bei Cola wird am Ende geheiratet?

AH: Sehr witzig. Die Leute wollen Cola – und erwarten, dass sich am Rezept nie etwas ändert. Und ja, die Männer in der Realität sind so schlimm - zumindest der Alltag mit ihnen ist es – dass man gerne mal den immer aufmerksamen, immer gefühlsintensiven Pilcher-Helden hinterher träumt. Die sieben Millionen Zuschauer genießen es, Leidenschaft vorgelebt zu bekommen, wenn der eigene Partner nur heimkommt, um das nächste Bier aufzumachen.

TK: Früher kamen Männer heim und ließen sich das Bier aufmachen. Das ist doch schon mal ein kleiner Fortschritt, oder? Und Leidenschaft? Wo? Die angebliche Liebe wird doch in Pilcher-Figuren hineingespritzt wie Marmelade in Berliner: batsch, ist sie da, und quillt beim Hineinbeißen aufs Hemd. Es geht um Menschen, die selbst im Wohlstand nicht dauerhaft glücklich sind, wenn sie nicht an diesen einen anderen Menschen geschmiedet sind. Seitensprünge werden nicht mit prickelnder Freude, sondern mit schuldbewusster Sauerampfermiene vollzogen. Immerhin, inzwischen kommt wenigstens vorehelicher Sex andeutungsweise hingetupft auch mal vor.

Kerzenschein und Heteros

AH: Du bist einfach kein Romantiker.

TK: Ich? Hallo? Mein Herz ist ein einziges Poesiealbum. Romantik heißt, dass für zwei Menschen ihre Gefühle füreinander wichtiger sind als alles andere. Ein Abendessen bei Kerzenschein im Lokal ist ja deshalb romantisch, weil die Kerzen signalisieren, dass der elektrische Alltag draußen bleibt, dass die Signalleitungen zu allem anderen gekappt sind, dass nur das Hier und Jetzt und das Gegenüber wichtig sind.

AH: Wunderbar. So funktioniert ein Pilcher-Film. Er ist Romantik pur. Er kappt alle Leitungen zum deprimierenden Alltag.

TK: Aber diese speziell Romantikkerze kokelt mir zu miefig. Liebe folgt hier immer den alten Rollenklischees. Es gibt ja meist ein bessergestelltes Pärchen, das zueinander findet, und parallel eines aus der Bedientenschicht. Könnte da nicht mal einer was anderes als hetero sein? Oder passiert das und ich bekomme es nicht mit?

Liebe und Verliebtsein

AH: Immerhin dürfen die Frauen inzwischen Hosen tragen.

TK: Aber sie wirken dabei verkleidet, aus den Klamotten lugt das Korsett heraus. Die Figuren haben Schnüre wie alte Puppen, wenn man an denen zieht, sagen sie simple Sätze auf. Die Frauen schauen sehnsuchtsvoll. Die Männer sind die Weltenlenker und Problemlöser.

AH: Klar, das ist sehr kurz gedacht und bedient die alten Rollenklischees. Aber das ist eben das Problem mit dieser Art Romantik: Sie ist ganz reduziert auf ein paar Gefühle. Glaub bloß nicht, dass ich das mit Liebe verwechsle. Liebe braucht kein Kerzenlicht-Dinner. Liebe ist das, was man auch spürt, wenn’s prosaisch wird. Und kleinlich, fies und ungemütlich. Wenn man zusammen Kotze aufwischt, statt auf den Mond zu schauen. Verliebtsein ist ganz einfach. Liebe ist ganz arg schwer. Die sind immer nur verliebt.

TK: Und wie hältst Du das dann aus?

AH: Ganz einfach: Romantik ist ja trotz allem ein nettes Zwischendurch. Eines, das aus unserer Welt verschwindet. Weil uns Älteren 1000 andere Dinge wichtiger geworden sind. Und bei den Jüngeren, fürchte ich, entwickelt sich Romantik gar nicht mehr. Beziehungen werden dank sozialer Netzwerke ganz anders definiert. Die Pilcher-Figuren im Film nehmen sich die Zeit, die man sich selbst nicht mehr nimmt. Obwohl man weiß: es wäre eigentlich schlauer, man würde das tun.

Achtung, der Krimi naht

TK: Dann ruht die ganze Pilcher-Faszination auf diesem einen Punkt?

AH: Du missverstehst mich permanent. Natürlich geht es den Filmen auch ums große Ganze. Hier wird in schöner, in Sicherheit wiegender Regelmäßigkeit Chaos bewältigt. Es gibt immer eine Lösung. Wo erlebt man das denn noch? Im „Tatort“ etwa?

TK: Krimis sind immerhin näher dran an der Realität.

AH: Aber wer will das denn? Die Realität soll doch draußen bleiben. Darf das bisschen Träumen nicht sein? Wohl nicht. Selbst die Pilcher-Filme kommen einer Modernisierung nicht davon. Mehr Action soll rein - und mehr Crime. Aua.

TK: Um Himmels willen. Verbrechen gab‘s bislang ab und an in der Reihe. Die Polizeiarbeit war dann etwas, sagen wir mal, weltfremd. Und härtere Töne würden echt alles ruinieren. Dann wäre das ja kein „Anti-Tatort“ mehr. Was haben die denn mit ihrem Markenartikel vor?

Einfach mal wegträumen

AH: Dir kann man es aber auch nicht recht machen. Vielleicht solltest Du einfach mehr Pilcher-Filme gucken. Dich einfach mal wegträumen. Ist das denn so verachtenswert?

TK: Überhaupt nicht. Ich rate nur, sich ein bisschen umzuschauen im TV-Programm, bei den Streamingdiensten und vor allem auf dem DVD-Markt: Es gibt so viele schöne romantische Filme und Komödien, denen man Herz und Träume auch anvertrauen kann.

AH: Das ist doch mal ein nettes Schlusswort – irgendwie ein bisschen romantisch. Das mit dem Herzen hast Du bestimmt aus einem Pilcher-Film geklaut.

Info:

Die Autorin Rosamunde Pilcher wurde 1924 im ländlichen Cornwall geboren, dem Schauplatz ihrer Romane. Sie absolvierte eine Sekretärinnenausbildung, wurde Hausfrau und Mutter und veröffentlichte 1949 unter dem Pseudonym Jane Fraser den ersten ihrer Herz-Schmerz-Romane. Ihr Durchbruch kam aber erst 1987 mit „Die Muschelsucher“. Am 30. Oktober 1993 strahlte das ZDF den erste von mittlerweile 142 Pilcher-Filmen aus, „Stürmische Begegnung“.

Im Jahr 2000 hörte Rosamunde Pilcher altershalber zu schreiben auf. Etliche Drehbücher für die ZDF-Reihe stammen von Christiane Sadlo, die auch für „Der Bergdoktor“ und „In aller Freundschaft“ Skripts lieferte und unter dem Pseudonym Inga Lindström selbst am Buchmarkt erfolgreich ist.