Anfangs schienen die Vorwürfe gegen Dustin Hoffman eine unappetitliche Anekdote. Aber dies schien keiner der ganz großen Fälle in der Skandalserie um sexuelle Übergriffigkeiten zu werden. Nun aber richten neue Anschudligungen nicht nur Schaden an Hoffmans Image an.

Hollywood - Seine zwei Hauptrollen-Oscars für „Kramer gegen Kramer“ (1980) und „Rain Man“ (1988) kann ihm niemand mehr nehmen, aber der gute Ruf von Dustin Hoffmann ist schon jetzt schwer angekratzt. In der Enthüllungswelle sexueller Belästiger in der Film- und Medienindustrie könnte der Fall des heute 80-Jährigen nach den jüngsten Vorwürfen sogar einer der besonders schmerzhaften werden. Das nicht nur, weil man Hoffmans Filme so gerne gesehen hat, und man künftig Meisterwerke wie Mike Nichols’ „Die Reifeprüfung“ (1967) oder John Schlesingers „Asphalt Cowboy“ (1969) und „Der Marathon-Mann“ (1976) nicht mehr ohne miesen Beigeschmack wird genießen können.

 

Seitdem aufwändige Recherchen der „New York Times“ und des „New Yorker“ die Übergriffigkeiten und Vergehen des US-Filmproduzenten Harvey Weinstein enthüllten, hat sich das Reaktionsmuster radikal gewandelt. Hatten sexuelle Belästiger früher wenig zu fürchten, konnten sie sich auf die Angst und Scham der Opfer verlassen, die selten mal öffentlich werdenden Anschuldigungen aussitzen, scheinen derzeit Vorwürfe sofortige empfindliche Konsequenzen zu haben, knicken Karrieren reihenweise, werden eventuelle Dementis oder Einschränkungen Beschuldigter nur noch angewidert oder höhnisch zur Kenntnis genommen. Und manchmal wird im Schwung der#metoo-Bewegung, die Frauen ermutigt, über Belästigung zu sprechen, alles eins: der missglückte, unerwünschte Flirt, die geschmacksarme Zote, der zynische Sex-gegen-Karriere-Mechanismus und brutale Vergewaltigungen.

Zoten und Gewaltakte

Die ersten Vorwürfe gegen Hoffman Anfang November in der Branchenzeitschrift „Hollywood Reporter“ schienen da ein Musterbeispiel für die Notwendigkeit, den Einzelfall erst einmal zu prüfen. In einem Gastbeitrag erinnerte sich da die Autorin Anna Graham Hunter an ihre Zeit als Praktikantin am Set von Volker Schlöndorffs Film „Der Tod des Handlungsreisenden“, in dem Hoffman einen seiner glanzvollsten Broadway-Auftritte auch noch vor die Kamera brachte. Was Hunter, gestützt auf Aufzeichnungen von damals, an zweideutigen Bemerkungen, Zoten und Schlüpfrigkeiten aufzählte, las sich nicht schön. Aber man konnte noch den Verdacht haben, Hoffman habe da eine Praktikantin in einem gut gemeinten, aber schlecht umgesetzten Versuch des Für-Voll-Nehmens in jenen derben, sexualisierten Ton mit einbeziehen wollen, der nicht nur an Filmsets vorkommt. In diese Richtung gingen jedenfalls die Erinnerungen von Schlöndorff, der Hoffman sofort in Schutz nahm.

Nun aber liegen die Aussagen von fünf weiteren Frauen vor, die Hoffman teils bei der Arbeit, teils außerhalb massiv belästigt haben soll. Kathryn Rossetter etwa beschuldigt Hoffman, sie während der Arbeit am Broadway an „Tod eines Handlungsreisenden“ hinter der Bühne hinterrücks und gewaltsam mit den Fingern penetriert zu haben. Eine der anderen Frauen, die er damals in Vier-Augen-Situationen gelockt haben soll, war zum Zeitpunkt der geschilderten Übergriffe 16 Jahre, eine sogar erst 15 Jahre alt.

Die Unschuldsvermutung gerät unter Druck

Die Vorwürfe sind deshalb so verheerend, weil einige der üblichen Verdachtsszenarien nicht greifen: weder kann es den Betroffenen Jahrzehnte später um Schmerzensgelder gehen noch um Eigenmarketing noch um Rache für das Scheitern einer wie auch immer gearteten Beziehung. Man ist geneigt, das jetzt öffentlich Werdende zu glauben. Will heißen, man verwirft nun im Rückblick allzu leicht die anfänglichen Bedenken gegen eine Ruckzuckverurteilung von Hoffman als unnötig. Dieser prominente Fall scheint also jenen Recht zu geben, die gerade propagieren, mit der Unschuldsvermutung dürfe man sich in einer festgefressenen Kultur männlicher sexueller Aggressivität nicht weiter aufhalten. Und dieser Schaden an einem mühsam erkämpften Rechtsverständnis wäre weit schlimmer als das mögliche Gefühl vieler Menschen, nun keinen rechten Spaß an Hoffman-Filmen mehr zu haben.