Die Französischen Filmtage sind in Stuttgart eröffnet worden mit der Groteske „Ma loute“ – einem Film, der das Publikum spaltet

Stuttgart - Die Französischen Filmtage Tübingen/Stuttgart sind eine Konsensveranstaltung: Freunde des frankofonen Kinos freuen sich über Impressionen aus Frankreich und Begegnungen mit Nachbarn. Bei der Festival-Eröffnung im vollen Stuttgarter Kino Delphr an diesem Donnerstag nun geschah, was bei diesem Festival rar ist: Bruno Dumonts Groteske „Ma Loute“ sorgte für eine Kontrovers – „Zumutung!“, riefen einige.

 

In einer nordfranzösischen Bucht im Jahr 1910 verschwinden Menschen. Ein fetter Kommissar ermittelt, nicht ahnend, dass arm Fischer Sommerfrischler verspeisen. Die degenerierten Großbürger in der Villa auf dem Hügel (Juliette Binoche, Fabrice Lucchini) hegen keinen Verdacht, sehen aber mit Argwohn, wie ein Fischerssohn mit einer ihrer Töchter anbandelt.

Dumont bedient sich der Stilmittel der Komödie, überzeichnet Figuren extrem, spielt mit Slapstick und kreiert eine absurde Szenerie – in der die Liebenden, ein Kannibale und ein Transgender-Mädchen, noch am wenigsten entrückt wirken. Eine Komödie aber ist das nicht, sondern eine Farce, die nur so tut. Wenn die Fischerskinder in einer expliziten Szene mit blutroten Mündern an Fingern nagen, kann einem schon anders werden. Und weil einige Zuschauer den Film nicht lustig fanden, das befreinde Lachen also ausblieb, waren sie hinterher geladen.

Der Regisseu reagiert gelassen

„Das ist Geschmacksache, ich habe Tränen gelacht“, sagte der Festival-Leiter Christopher Buchholz und war damit nicht allein. Er war im einleitenden Clip zu sehen, wie er den Film aus Cannes holt, wo dieser im Mai beim Festival lief. Dumont reagierte gelassen auf die Kritik und erklärte: „Ich wollte nicht die guten, armen Fischer zeigen und die böse, reiche Bourgeoisie. Mir geht es um die menschliche Natur, und der aktuelle Zustand der Welt zeigt: Im Innern sind wir immer noch Wilde.“ Ein halbdebiler Cousin im Film wiederholt beständig sein Mantra: „Wir wissen, was zu tun ist, aber wir tun es nicht.“

Man kann nur hoffen, dass dieser kleine Eröffnungsschock nicht zu viele Zuschauer abschreckt – denn bis zum kommenden Mittwoch laufen im Delphi noch viele zauberhafte französische Filme, die es in Stuttgart nur bei diesem Festival zu sehen gibt.

Nicht kontrovers, aber zumindest ambivalent ging es am Freitag weiter. Olivier Assayas hat wie für „Die Wolken von Sils Maria“ (2014) erneut US-Filmstar Kristen Stewart engagiert und sie spielt erneut eine Frau, die für einen Star arbeitet – diesmal eine, die ständig neue Kleider, Schuhe und Schmuck besorgen muss. Dabei verfolgen sie ein unbekannter Smartphone-Stalker und ihr toter Zwillingsbruder, was bis hin zu Geisterscheinungen führt – und zu der Frage, was real ist und was traumatisch.

Kristen Stewart beweist sich erneut im Charakterfach

Stewart, die mit „Twilight“ berühmt wurde, beweist sich zwischen Paris, Mailand und London einmal mehr im Charakterfach, der sensible Filmkünstler Assayas aber gibt den Geistern viel Raum und gerät in die Genre-Zwickmühle – Mystery-Geschichten kann Hollywood viel opulenter erzählen.

Einer immerhin bleibt ganz bei sich: der belgische Filmemacher Bouli Lanners („Eldorado“). Sein Road-Movie „Les premiers les derniers“ („Die ersten die letzten“) handelt von zwei Söldnern (Lanners und Albert Dupontel), die das Handy eines Gangsters wiederbeschaffen sollen, auf dem Videos böser Gewaltexzesse gespeichert sind. Das aber hat der minderbemittelte Willy, der mit seiner Liebsten deren Tochter sucht.

Lanners und Dupontel haben grandiose Auftritte als Gauner mit Ehre, Michael Lonsdale und Max von Sydow als alte Hasen. Philipp Rebbot spielt einen abgehalfterten Jesus, der helfen will und resigniert sagt: „Ich tue, was ich kann.“ Gott in Frankreich stellt man sich anders vor, irrwitzige frankofone Tragikomödien an wüsten Unorten aber genau so.