Der Autoritätsverlust der Parteichefs und ein Versäumnis erschweren eine neuerliche große Koalition. Wir zeigen auf, woran es jetzt noch scheitern kann.

Berlin - Die CSU hat sich am Montag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen, die CDU schon am Freitag. Nur die SPD tut sich vor ihrem Parteitag am Wochenende noch schwer – einer der Gründe, warum es doch nichts mit der Wiederauflage einer großen Koalition in Berlin werden könnte.

 

SPD-Chef Schulz ist geschwächt

Der SPD-Vorsitzende hat sich in eine schwierige Situation manövriert und ist geschwächt. Er läuft Gefahr, sich auf dem Parteitag von den Groko-Gegnern als Wendehals beschimpfen lassen zu müssen. Nach der Bundestagswahl hatte er eine große Koalition zunächst ausgeschlossen, dafür heftigen Beifall geerntet und sich mit diesem Versprechen überhaupt erst die Chance erarbeitet, als Parteichef im Amt zu bleiben. Nach dem Jamaika-Aus hatte er das Nein erst noch bekräftigt. Dann aber, nachdem ihn einige Genossen auf Risiken und Nebenwirkungen von Neuwahlen aufmerksam gemacht hatten, kassierte er das Groko-Veto abrupt wieder ein.

Schulz wird außerdem Mühe haben, den Delegierten zu erklären, weshalb er, anders als zugesagt, andere Optionen als eine Koalition, etwa eine Minderheitsregierung, bei den Sondierungen offenbar gar nicht ernsthaft zur Prüfung vorlegte. Und schließlich wird man ihm unterstellen, einen Ministerposten in einem neuen Merkel-Kabinett anzustreben – was er vor der Wahl ebenfalls ins Reich der üblen Nachrede verwiesen hatte. Einzig der Umstand, dass die SPD bei einem Groko-Nein mit seinem Rücktritt rechnen müsste und dann wohl endgültig im Chaos versinken würde, stützt ihn noch und nährt die Hoffnung jener, die diese 20,5-Prozent-Partei in eine große Koalition führen wollen.

Widerwille in der SPD ist gewaltig

Keiner in der SPD-Spitze kann abschätzen, wie heftig der Widerstand ausfallen wird. Der Widerwille ist gewaltig. Vor allem der größte Landesverband NRW ist nach dem Landtagswahldebakel schwer berechenbar, und mit dem 28-jährigen Juso-Chef Kevin Kühnert hat der Protest ein neues, unverbrauchtes Gesicht. Anders als 2013 haben zwar die Verhandler solide Ergebnisse erzielt, etwa Milliardenausgaben im kommunalen Wohnungsbau, die Einführung einer Grundrente oder die Wiedereinführung der paritätischen Krankenkassen-Finanzierung. Aber Projekte mit der Strahlkraft des Mindestlohns oder der Rente mit 63 kann Schulz nicht liefern.

Deshalb werden bereits Forderungen laut, in Nachverhandlungen der Union doch noch Bürgerversicherung und Steuererhöhungen abzutrotzen. Nicht wenigen Genossen kann man getrost unterstellen, mit solchen Maximalforderungen eine Groko über den Umweg gescheiterter Verhandlungen zu verhindern, denn aus der Union wird da eine kaum überwindbare Brandmauer gezogen. Dennoch wird damit gerechnet, dass Schulz nur dann den Parteitag übersteht, wenn er weitere Zugeständnisse der Union in Aussicht stellte. Denkbar wäre die Forderung nach der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung.

Status der Sondierungsergebnisse unklar

Schwarze und Rote haben sich auf viele Dinge verständigt, nur offenbar nicht darauf, welchen Status die 28-seitigen „Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD“ besitzen. Geht es in möglichen Koalitionsverhandlungen, so die Lesart der Union, nur noch darum, die Sondierungsergebnisse im Detail auszubuchstabieren? Oder geht auch inhaltlich noch etwas, wie SPD-Vize Ralf Stegner meint: „Sondierungsgespräche sind kein Koalitionsvertrag, sie klären nur die Frage, ob es sich lohnt weiterzuverhandeln.“ Dem entgegnet Horst Seehofer, seine CSU werde nicht hinter die Sondierungsabmachungen zurückgehen: „Man kann jetzt nicht hinterher das alles wieder infrage stellen.“

Zusatzrisiko Unklarheit

Die Unklarheit über das weitere Prozedere hat die Stimmung also verschlechtert und stellt ein Zusatzrisiko für die Groko dar. Dabei ist klar, dass es Themen gibt, die gar nicht im Papier auftauchen oder nur in Überschriftenform, etwa das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ – hier können beide Parteien ohne Gesichtsverlust noch etwas für sich herausholen oder sich neu zerstreiten.

Autoritätsverlust von Angela Merkel

„Der will mich weghaben“, soll es Angela Merkel entfahren sein, unmittelbar nachdem FDP-Chef Christian Lindner Ende November die Jamaika-Verhandlungen verlassen hatte. Ihr Amt als Bundeskanzlerin hängt daran, dass sie aus dem Bundestagswahlergebnis eine Regierung formen kann. Obwohl sie früh angekündigt hat, auch im Falle von Neuwahlen wieder als Unions-Spitzenkandidatin zur Verfügung zu stehen, kann dies keinesfalls als ausgemachte Sache gelten. In der CDU gibt es zwar keine offene Opposition gegen sie, offen aber ist das Geheimnis, dass nicht alle in der Partei an ihrer Seite, sondern mit eigener Agenda kämpfen, der ambitionierte Finanzstaatssekretär Jens Spahn zum Beispiel. Und dass CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nicht nur gegen die SPD schießt, wenn er von einem sozialdemokratischen „Zwergenaufstand“ spricht, sondern auch gegen die eigene Kanzlerin, da solche Aussagen die Groko-Wahrscheinlichkeit und damit auch die einer vierten Amtszeit Merkels reduzieren, spricht ebenfalls für deren angekratzte Autorität.

Sie hat anscheinend nicht mehr genug Autorität, um solche taktisch gefährlichen Aussagen zu unterbinden – ebenso wie sie ihre Union in den Sondierungsgesprächen nicht zu noch mehr Zusagen gegenüber den Genossen bringen konnte. Auf zahlreichen Themenfeldern, etwa bei der Steuer, soll die CDU-Vorsitzende dem Vernehmen nach zu weitreichenderen Zugeständnissen bereit gewesen sein, die dem entscheidenden SPD-Parteitag als Trophäe hätten präsentiert werden können – das wurde jedoch mal CDU-intern, mal von der vor einer für sie existenziell wichtigen Landtagswahl stehenden CSU verhindert. Das könnte sich am Wochenende rächen.