Experten sind sich sicher, dass landesweit noch Sprengkörper in sechstelliger Zahl im Boden ruhen. Für den Räumdienst gibt es noch viel zu tun.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Stuttgart - So viel steht fest: Die Arbeit wird den 33 Mitarbeitern beim Kampfmittelbeseitigungsdienst des Landes auf absehbare Zeit nicht ausgehen. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dürften nach Expertenschätzungen noch tonnenweise Sprengkörper im baden-württembergischen Untergrund schlummern. Allein über Stuttgart haben die Alliierten etwa 25 000 Sprengbomben abgeworfen. Hinzu kamen Phosphorbomben in noch höherer Zahl. Bei einem einzigen Angriff auf Stuttgart-Vaihingen seien 10 000 vom Himmel gefallen.

 

Die Zahl der Abwürfe über den Städten im Südwesten habe Millionenhöhe erreicht, ist sich Michael Hagmann sicher, der Leiter des Referats für Polizeirecht, Feuerwehr und Katastrophenschutz beim Regierungspräsidium in Stuttgart. Den Anteil der Blindgänger schätzt er auf bis zu 20 Prozent. „Für die Kriegsproduktion musste schnell und billig gearbeitet werden. Das ging auf die Qualität“, erklärt Hagmann.

Am Anfang hat niemand mitgezählt

Legt man diese Schätzungen zugrunde, dürfte die Zahl der Blindgänger im 100 000er Bereich liegen, sagt Hagmann. Wie viele davon bereits gehoben wurden, lasse sich kaum abschätzen. Gerade in den ersten Jahren nach dem Krieg, als mutmaßlich die höchste Zahl an Bomben beseitigt worden sei, habe niemand darüber Buch geführt.

Eine Luftbildauswertung zeigt, wo die Briten und Amerikaner die Schwerpunkte ihres Bombenkriegs gesetzt haben. Nach jeder Angriffswelle wurden die betroffenen Gebiete bei Aufklärungsflügen fotografiert. Diese Fotos liegen dem Kampfmittelbeseitigungdienst heute vor. „Je mehr Luftbilder, desto mehr Bombardierungen gab es“, sagt Hagmann. In der daraus entstehenden Karte lässt sich erkennen, dass landesweit Bombardierungen stattfanden, dass sie sich aber auf die Industriezentren, die großen Städte und die Infrastruktur wie Bahnlinien und Flugplätze konzentrierten.

Das geheimnisvolle Unternehmen Wüste

Mannheim, Pforzheim, Stuttgart, Heilbronn, Friedrichshafen und die Rheinlinie waren demnach besonders stark vom Bombenkrieg betroffen. Unklar bleibt, warum sich die alliierten Aufklärungsflieger so sehr für den Raum zwischen Tübingen und Balingen interessierten. Dort sind viele Überflüge anhand von Luftbildern dokumentiert, obwohl kaum Bombenangriffe geflogen wurden – eine Ausnahme von der Regel. „Möglicherweise ging es um das Unternehmen Wüste“, mutmaßt Hagmann. Unter diesem Decknamen versuchten die Nazis in den letzten Kriegsjahren, auf der Zollernalb Öl aus Schiefergestein zu gewinnen. Das Verfahren blieb aber derart ineffektiv, dass die Alliierten eine Bombardierung offenbar nicht für nötig hielten.