Die Höchste Eisenbahn gibt sich am Donnerstagabend beim letzten Konzert in den Wagenhallen verspielt – und kriegt das Stuttgarter Publikum mit ihrem zugänglichen Deutschpop rum.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Francesco Wilking schaute länger von seinen Keyboardtasten auf der Wagenhallenbühne aus in die Weite des zu zwei Dritteln gefüllten Raums und meinte, die Publikumsanordnung erinnere ihn an die Aufstellung der römischen Soldaten, die den sogenannten Schildkrötenpanzer als Formation wählen, um sich vor Steinschlägen zu schützen. In „Asterix und Kleopatra“. Man durfte das, wenn man mit Wilking um die Ecken denken wollte, um die er nun mal dauernd denkt, auch als subtile Aufforderung verstehen, sich vielleicht etwas lockerer zu machen. Und dann sangen drei von vier Zugführern der Band Die höchste Eisenbahn einfach „Blume“, in der die Liebe zur Liebsten aufgeht wie eben diese: mit sechs U im Kleinchor – und dann war sowieso alles kein Problem mehr. Wer nicht tanzte, schwebte ein paar Zentimeter über dem Betonboden. Schön war das.

 

Lieder, in denen jemand noch selbstverständlich Räuberleiter hält, wo Rutschbahnen zur Grundausstattung gehören, Kinder, die groß werden, sowieso mal zum Background der Geschichten, und Lieder, in denen die Eltern auf dem Dach stehen und Buchstabenwunderkerzen in die Silversterwinterluft halten, hat der deutsche Indiepop nicht im Übermaß vorrätig. Die höchste Eisenbahn hat solche Stücke. Und es werden, nach dem Debüt „Schau in den Lauf Hase“, immer mehr. „Gute Leute“, wunderbar poetisch punktiert und im Fluss gespielt wie alles in Stuttgart, ist einer dieser paradigmatischen Songs vom neuen Album „Wer bringt mich jetzt zu den Anderen“. Vor oder hinter dem leisen, vibrierenden Pathos dieser gleichzeitig privat wie politisch lesbaren Songs wartet stets eine Pointe: „Ein Liter Bier sind vier Scheiben Brot /Michael und Amy sind nicht tot.“

Ob Außerirdische auftauchen („Aliens“), die Fahrt sonstwo hingeht („Raus aufs Land“) oder ganz nach innen („Wir haben so lange nachgedacht, bis wir wütend waren“): Die beiden Bandköpfe Moritz Krämer und Francesco Wilking nuscheln, schnoddern und schönsingen das mit den absolut gleichwertigen Musikanten Felix Weigt (Bass, Gitarre, Keyboards) und Max Schröder (Schlagzeug) immer so hin, wie es dann sein muss, obwohl man vorher gerade an diese Variante nicht gedacht hätte: mal im Philly-Sound, mal grundiert von Ray-Manzarek-Pattern, mal im Beach-Boys-Stil. Berührungsängste gibt es nicht. Tabus keine. Verästelt und verrätselt mitunter sind die Inhalte, absolut verspielt ist die Musik. Und, schöner Zug, wenn man das so sagen darf: Es tauchen textreferenziell sogar noch Veteranen auf wie Reinhard Mey. Und noch in der Mitternachtsstadtbahn sangen die Leute: „Blume“ – mit viel zu vielen Us. Alles geht auf.