Sechzig Jahre Bühnenkarriere liegen hinter der Rockband The Lords“. Nun nehmen die „deutschen Beatles“ Abschied – unter anderem mit einem Auftritt in Reutlingen.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Reutlingen - Für manche Musiker mag’s der Lebenstraum schlechthin sein, für andere ein einziger Albtraum: auf der Bühne zu sterben. Dieses rare Künstlerschicksal widerfuhr „Lord“ Ulli Günther vor ziemlich genau zwanzig Jahren. Im Herbst 1999 brach der Sänger mitten während eines Konzerts der Lords in Potsdam auf offener Bühne zusammen und verstarb kurz darauf in einem dortigen Krankenhaus.

 

Zwanzig Jahre ist das auch schon wieder her, doch die Lords gab es zu diesem Zeitpunkt bereits vierzig Jahre. 1959 starteten sie ihre Karriere als Skiffle-Band im damaligen Westberlin. Mit teils selbst gebauten Instrumenten traten sie bald darauf bei etwas an, was man heutzutage Lookalike-Contest nennen würde, einem Beatles-Ähnlichkeitswettbewerb. Den gewannen sie zunächst regional in Berlin, bald triumphierten sie auch beim nationalen Endausscheid im legendären Hamburger Star Club, so dass sie sich bald „Deutschlands Beatband Nummer eins“ nennen durften. Dass bei dem Wettbewerb nur Beatles-Songs gespielt werden durften und der Bassist Knud Kuntze daraufhin die Lords-Nummer „Shakin’ all over“ kess als Lied ankündigte, „das nur die wenigsten von den Beatles kennen“, bleibt als schöne Anekdote aus einer Unterhaltungsbranche, in der schon damals oft Frechheit siegte.

Auf Sieg folgt Plattenvertrag

Den weiteren Gesetzen dieser Branche zufolge bekamen sie einen Plattenvertrag, um als die „deutschen Beatles“ vermarktet werden zu können, und das klappte auch ganz gut. Zwölf Songs, gesungen von Ulli Günther, zumeist nachgespielte britische oder amerikanische und ihnen auf den Leib produzierte Stücke, landeten in den Hitparaden. Tourneen mit den Kinks und The Who folgten, schließlich Auftritte in Polen und Jugoslawien als erste westliche Band in einem Ostblockland.

Ihre unverkennbaren Markenzeichen von einst – weiße Rüschenhemden und vor allem die Prinz-Eisenherz-Frisuren – haben sie segensreicherweise längst abgelegt, neben Ulli Günther gingen einige weitere Musiker wie auch Knud Kuntze, zwischenzeitlich gab es auch einmal eine Auszeit. Doch aktiv sind die Lords auch sechzig Jahre nach ihrer Gründung und mit dem verbliebenen Veteranen Klaus-Peter „Leo“ Lietz an der Gitarre noch immer.

Ein letzter Gruß

Jetzt allerdings soll Feierabend sein; seit April befinden sich die Lords auf ihrer Abschiedstournee. Die „dienstälteste Rockband der Welt“, wie sie sich selbst bezeichnen, die laut ihrer selbst verfassten Vita „authentische und anspruchsvolle Rockband mit nach wie vor großer Fangemeinde“ tritt dabei nicht mehr wie noch einst vor 25 000 Menschen in Warschau auf. Die aktuellen Stationen der Abschiedstournee lauten Haldensleben, Barsinghausen oder Pößneck, ehe schließlich zu Silvester im Veranstaltungszentrum Wind in Zwönitz der allerletzte Vorhang fallen soll.

Davor steht noch ein Konzert im Naturtheater in Reutlingen am kommenden Donnerstag an, und dann wird der Stab übergeben an dienstalte Bands wie die 1964 gegründeten The Who oder Musiker mit 69-jähriger Bühnenerfahrung wie John Mayall.

Aber Scherz und Bissigkeit beiseite: Natürlich kamen die Lords nie an die Beatles heran (wer kam das schon?), einen glänzenden Ruf auch über die deutschen Grenzen hinaus hatten sich die Lords dennoch erarbeitet. Sechzig Jahre im deutschen Rockmusikzirkus unterwegs gewesen zu sein, unzählige musikalische Strömungen und Haarmoden kommen und gehen gesehen zu haben sowie Hits wie „Shakin’ all over“ oder „Poor Boy“ hinterlassen zu haben, ist überdies eine feine Leistung.