In der Netflix-Serie „Dear White People“ erleben wir die täglichen kleinen Provokationen gegen schwarze Studierende an einem Elite-College. Und vielleicht auch manche Überreaktion. Da lässt sich manches lernen über ein Land voller Misstrauen.

Stuttgart - In einer großen Zeitung haben all die kleinen Nickligkeiten und Fehlgriffe des Alltags eigentlich nichts zu suchen. Trotzdem berichtet die „New York Times“, die führende Tageszeitung der USA, derzeit oft über das, man vor kurzem noch für die winzige Lokalnachricht eines Stadtteilblättchens gehalten hätte. An der Uni Yale etwa findet eine Studentin eine Kommilitonin nachts schlafend in einem Gemeinschaftsraum vor, wo die über ihren Arbeitspapieren eingenickt ist. Sie stellt die Dösende nicht nur zur Rede – „Du hast kein Recht, hier zu schlafen“ -, sie ruft die Polizei. Und die nimmt eine halbstündige Personenkontrolle vor, die von der Kontrollierten mit dem Smartphone gefilmt und dann ins Netz gestellt wird.

 

Zum Nachrichtenthema wird das, weil die eine Studentin weiße und die andere, die Kontrollierte, schwarze Hautfarbe hat – und weil das kein Einzelfall ist, weil jeden Tag ähnliche Aufreger im Netz landen. Die Angestellten eines Klamottenladens beäugen misstrauisch junge Leute, die sich für den Abschlussball einkleiden wollen, die Polizei wird gerufen, obwohl die dunkelhäutigen Kunden alles ordentlich bezahlen. Eine Gruppe schwarzer Frauen bewegt sich angeblich auf dem Golfplatz nicht schnell genug voran, die weißen Klubmanager versuchen, die Beschuldigten vom Grün zu verdrängen, die Polizei wird gerufen. Im Café einer Megakette sitzen den Angestellten schwarze Gäste zu lange, die Polizei wird gerufen.

Alltag der kleinen Aggressionen

Mikroaggression lautet das nun in weiten Umlauf kommende Stichwort, das zuvor in soziologischen Seminaren beheimatet war. Jenseits jener drastischen Konfrontationen mit tödlichem Ausgang, die zu weltweiten Schlagzeilen führen, werde ihr Alltag, klagen viele Afroamerikaner, von beständigen Nadelstichen durch eine latente rassistische Gesinnung geprägt.

Genau hier setzt die Serie „Dear White People“ an, deren zweite Staffel nun beim Streamingdienst Netflix vorliegt. Sie erzählt vom Alltag schwarzer Studierender an einem Elite-College, von den diversen Reibereien gerade dort, wo die meisten Weißen brüsk von sich weisen würden, auch nur den Anhauch rassistischer Gesinnung in sich zu tragen.

Aber es gibt eben auch hier boshafte Rempler, die schwarze Studierende im Netz und per Kurznachrichten provozieren – nur rhetorisch wendiger und intellektuell gewiefter als das ein paar biersuffdumpfe Schwartenvisagen in irgendeiner Eckkneipe tun würden. Diese Attacken aber sind wenigstens leicht als Aggression auszumachen.

Zweifel und Gereiztheiten

Was die hellwach auf Beiläufiges reagierenden Figuren wie Samantha (Logan Browning) und Joelle (Ashley Blaine Featherson) umtreibt, sind auch die Verquältheiten der liberalen Weißen, die Freundlichkeiten und Rücksichtnahmen, die herablassend sein könnten. Immer wieder kommen Zweifel auf, welche Art Kommunikation die korrekte ist. Selbst in Liebesbeziehungen mischen sich politische Gereiztheiten. „Dear White People“ zeigt die vielfältigen Situationswahrnehmungen, Reaktionen, Überreaktionen und das Selbstverständnis im schwarzen Amerika.

2014 hat der Regisseur und Autor Justin Simien, Jahrgang 1983, das als Film ins Kino gebracht, Netflix hat clever zugegriffen, Simien konnte daraus eine Serie machen. Zugegeben, die witzelt nicht so flott wie „Modern Family“ die weißen Mittelstandsbefindlichkeiten auf die Schippe nahm. Sie hat neben ihrer politischen Agenda auch einen Seifenopern-Zug. Aber sie liefert Einblicke in ein Land, in dem hinter jedem Handschlag wieder Misstrauen steckt.

Anbieter: Netflix, zwei Staffeln sind komplett abrufbar