Die Netflix-Serie „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“ entwirft einen bizarren Kosmos – mit komplexen Puppen. Das ist sensationell altmodisch und auch brutal.

Stuttgart - Wer hält eigentlich die Geschicke der Welt in Händen? Im Falle des Planeten Thra, auf dem die neue Netflix-Serie „Der dunkle Kristall: Ära des Widerstands“ spielt, lässt sich auf diese komplexe Frage eine klare Antwort geben: eine Bande abscheulicher Monster. Skekse nennen sich die gierigen, zynischen, brutalen, auch untereinander heillos zerstrittenen Scheusale, die das Vertrauen aller Völker, Rassen und Klassen hintergehen. Sie sollen einen Kristall hüten, von dem die Harmonie der Welt ausgeht, aber sie ruinieren Frieden und Eintracht auf Thra, indem sie die Kräfte des Kristalls zur eigenen Lebensverlängerung absaugen.

 

Das ist kein nettes Porträt einer Elite, aber eines mit großen Schauwerten: Die Skekse sehen aus wie eine Mischung aus Geiern, Raubechsen und Skelettkriegern in bizarren Rittergewandungen. Jede der Hofschranzen des Skekse-Kaisers ist auf individuelle Weise faszinierend hässlich, und wenn sie ihre Schnäbel aufmachen, trieft manchmal Schleim heraus wie sichtbar gewordene Bosheit aus einem Überdruckventil. Obendrein sind die Skekse weder verkleidete Schauspieler noch Computeranimationen, sondern komplexe Puppen voller Mechanik und Elektrik: eine enorm physische, sensationell altmodische Seherfahrung im Zeitalter der Computertricks.

Erst mal die Augen reiben

Damit hat die neue Serie die gleiche Hoppla-erst-mal-Augenreiben-Wirkung wie 1982 der Kinofilm „Der dunkle Kristall“ von Frank Oz und Jim Henson, zu dem sie die Vorgeschichte liefert. Jim Henson war damals weltbekannt für seine Puppen, die in der „Sesamstraße“ und der „Muppet Show“ jede menschliche Konkurrenz an Charme übertrafen. Aber Henson ärgerte sich auch sehr über das Vorurteil, Kermit, Miss Piggy und Fozzie Bär seien das Äußerste, wozu Puppenspiel für Erwachsene fähig sei.

Er sah in der sogenannten Animatronic-Technik die beste Möglichkeit, fantastische Wesen auf die Leinwand zu bringen – und zwar als Hauptfiguren, nicht als Spezialeffekte. Das Spiel mit aufwendigen Apparaturen im Inneren einer Figur war schon älter. Henson verfeinerte es permanent, aber die Filmindustrie nutzte die Technik wie in den ersten „Star Wars“-Filmen nur, um das ein oder andere fantastische Wesen zwischen menschlichen Darstellern zu platzieren. Henson jedoch wollte die Welt vor der Kamera ganz für seine Puppen freiräumen. Ihm schwebte damals wohl vor, einen epischen Raum zu schaffen, in dem noch viele Figuren und Abenteuer auf den Startfilm folgen könnten – wie bei „Star Wars“ eben.

Manches ist übertrieben niedlich

Manche Kritiker waren von dem Experiment „Der dunkle Kristall“ damals hingerissen, manche ratlos, einige extrem verstimmt. Manchen war das Ganze zu naiv: Auf Thar kämpften Angehörige verschiedener Völker gegen die Skekse. Wer den Film nicht mochte, hatte meist aber auch einzuwenden, die an Elfen, Gnome, Trolle und andere Traditionsfantastereien angelehnten Rebellen seien viel zu niedlich geraten. Es komme keine wirkliche Spannung auf, weil das Ganze nach Schabernack in der Puppenstube aussehe.

Den Vorwurf übertriebener Niedlichkeit vieler Figuren könnte man auch gegen die Netflix-Serie der Autoren Jeffrey Addiss, Javier Grillo-Marxuach und Will Matthews vorbringen. Die allerdings hat viel mehr Zeit, die dunklen Seiten der Geschichte zu entwickeln und neben Knuffigkeit drastische Momente an Puppengewalt zu bieten.

Keine Überlebensgarantie

Der waltende Geist im Hintergrund ist Jim Hensons Tochter Lisa, die wohl zum Guten wie zum Bösen darauf geachtet hat, dass der Planet Thra und seine Bewohner nah an der einstigen Vision bleiben. Trotzdem merkt man immer wieder, dass ein paar Jahrzehnte vergangen sind, dass ein anderes Verständnis von Puppen-Action regiert: Regie führte Louis Leterrier, auf dessen Konto „The Transporter“ und „The Incredible Hulk“ gehen.

So knuffig einige Figuren auch aussehen, man darf sich ihrer Schicksale nicht gewiss sein. Es gibt hier Todesfälle auch von Figuren, die als Sympathieträger aufgebaut wurden. Für kleinere Kinder ist die übrigens gut synchronisierte, im Original aber von Genre-Stars wie Mark Hamill gesprochene Serie entschieden nichts. Der manchmal bereits gezogene Vergleich mit „Game of Thrones“ ist zwar eher verwegen. Aber wer deftige Bösewichte mag, vom Genre ganz unabhängig, der wird an einem Besuch bei den Skeksen kaum vorbeikommen.