Der Ex-US-Präsident Barack Obama und seine Gattin Michelle werden zu TV-Produzenten und sorgen prompt für Aufregung im Netz. Hat Netflix mit der Verpflichtung des Paars einen Coup gelandet – oder einen großen Fehler begangen?

Los Gatos - Wer Empörung sucht, kann sie auf Twitter immer finden. Als diese Woche bekannt wurde, dass der länger schon avisierte Deal zwischen dem Streamingdienst Netflix und den Obamas über eine künftige Zusammenarbeit in trockenen Tüchern ist, geiferten einige Trump-Anhänger und vermutlich auch ein paar Pöbel-Bots auf Twitter verlässlich los. Nun sei es aber Zeit, das Netflix-Abonnement zu kündigen, unter den Obamas habe man lange genug gelitten. Einige Journalisten leiteten daraus die Frage ab, ob Netflix einen gravierenden Fehler begehe, ob der von Erfolg zu Erfolg eilende Branchenprimus der Streaming-Welt mit bereits rund 120 Millionen zahlenden Abonnenten nun ins Minenfeld einer extrem polarisierten Politik tappe und viele Nutzer verprelle.

 

Möglich ist alles, kann man zu amerikanischen Vorgängen nur sagen, seit es Donald Trump ins Weiße Haus geschafft hat. Aber so forsch, zupackend und frech Netflix bei seinen Eigenproduktionen im Vergleich mit den konventionellen alten TV-Sendern der USA auch wirkt – aus dem Bauch heraus haben die Lenker der im kalifornischen Los Gatos sitzenden Firma noch nie agiert. Netflix betrachtet sich noch immer als Firma in der experimentellen Aufbauphase, sammelt beständig detaillierte Daten über Sehvorlieben, Abneigungen und Wohlfühlzonen seiner Nutzer und kalkuliert bislang erfolgreich in einem Mix aus Pragmatik und Vision.

Die Frage nach dem Nutzen

Schon jetzt gibt es neben Spielserien und -filmen eine Menge Dokumentationen auf Netflix. Nicht wenige davon setzen sich kritisch mit der sozialen Wirklichkeit der USA auseinander. Obendrein könnte man auch etlichen profilbildenden fiktionalen Netflix-Angeboten wie „House of Cards“ und „Orange is the new Black“ bescheinigen, ihr Blick auf die Welt stimme nicht mit dem von Trumps Wählerschaft überein. Der Netflix-Chef Reed Hastings dürfte ein paar Hochrechnungen im Schreibtisch liegen haben, dass verschmerzbar wenige Ultrakonservative Abonnenten sind.

Die Frage ist also nicht, ob die Obamas Netflix schaden werden, sondern wie sie dem Streaming-Dienst nutzen können – über ein wenig Glamour hinaus. Noch ist gar nicht klar, was Michelle und Barack Obama als künftige Produzenten an Formaten entwickeln möchten. Möglich sei alles, heißt es großzügig. Ausgeschlossen sei nur, dass Netflix mit Hilfe von Obama-Produktionen als klarer Widerpart zu einem erzkonservativen Propagandasender wie Fox News neu ausgerichtet werde.

Dorthin, wo Trump herkam

Man kann der galligen Ironie nicht ausweichen: Trump, der vulgäre Populist, war zuvor Manegenmeister einer geistlosen Karriere-Casting-Show und schaffte es von dort ins Weiße Haus. Die für ihre Stilsicherheit, ihren Horizont und ihre Beredtheit bewunderten Obamas dagegen wechseln aus dem Weißen Haus nun ins Fernsehen.

Da stellt sich unweigerlich die Frage, ob Netflix nur eine Zwischenstation wird, ob es ein Michelle-Obama-Format geben soll, das sie als Plattform für eine Präsidentschaftskandidatur nutzen kann? Die Forderung, Michelle möge sich doch als Hoffnungsträgerin der Demokraten ins Rennen ums Weiße Haus begeben, ist längst aufgekommen. Sie sagt dazu nicht nein, wünscht sich aber eine breite, weit über Parteigrenzen hinausgehende Bewegung zur Veränderung des Landes als Basis.

Eine Spur von Kirche

Spätestens seit 1969 wissen die Amerikaner, dass Politik eine professionell gemanagte Verkaufsshow ist. Damals lieferte das Sachbuch „The Selling of the President 1968“ des Journalisten Joe McGinnis die Analyse des Wahlkampfs von Richard Nixon. Seit damals ist das Ungleichgewicht von Imagebildung hie und politischer Substanz da immer bedenklicher geworden. Zum Erfolg von Barack Obama trug die Hoffnung bei, er könne auch hier Besserung bringen, könne vorleben, dass äußerliches Auftreten und innere Haltung, Rhetorik und Gesinnung eines sein dürfen. Entzaubert wurde Obama durch die Erkenntnis, dass die Einheit von Denken und Reden wenig nützt, wenn Gesinnung an der realpolitischen Umsetzung scheitert.

Afroamerikanische Politiker greifen wie afroamerikanische Musiker auf die schwarze Gottesdienstkultur zurück. Obamas Rhetorik, seine auf Gemeinschaftsbildung bedachte Ansprache der Menschen, seine Gewissheit einer besseren Zukunft, aus der heraus man sich den Mühen der Gegenwart frohgemut stellen kann, ist eine Mischung enthusiastischer schwarzer Kirchenkultur und weißer Zurückhaltung. Vielleicht darf man von ihm und seiner ebenfalls berückend silberzüngigen Gattin keine baldige Heilung der vielen Entzündungsherde im politischen Körper der USA erwarten. Aber dass sie eine frische Idee für ein Netflix-Format haben, dass da etwas schwungvoller, aber nicht hysterischer, klüger, aber nicht strenger, menschlicher, aber nicht klebriger als gewohnt daherkommt– das könnte ja durchaus sein.