Oberstufenschüler können künftig mehr Schwerpunkte wählen. Deutsch und Mathematik müssen nicht mehr beide schriftlich geprüft werden. Die Opposition ist nicht unzufrieden mit dem Regierungsbeschluss.

Stuttgart - Die gymnasiale Oberstufe im Land wird reformiert. So will Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) zahlreiche Fliegen mit einer Klappe schlagen. Sie will Schülern ermöglichen, stärker Schwerpunkte zu setzen und hofft, dass sie das vor allem in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern tun werden. Sie hat vor, die Allgemeinbildung der Gymnasiasten zu fördern, das Gymnasium „konsequent qualitativ zu stärken“ und die Vergleichbarkeit des Abiturs zwischen den Bundesländern zu erhöhen.

 

Künftig können Schüler drei Leistungsfächer wählen, davon verspricht sich Eisenmann „neue Möglichkeiten zur Förderung im Spitzenbereich“. Für die Abiturprüfung kommen mündliche Prüfungen in zwei Basisfächern hinzu. Allerdings, so Eisenmann, „bleiben Deutsch, Mathematik und die Fremdsprachen unverändert der Wissenskern des Gymnasiums“. Die Allgemeinbildung will Baden-Württemberg dadurch stärken, dass Deutsch und Mathematik im Abitur mündlich oder schriftlich geprüft werden. Bisher sind allerdings im Südwesten Deutsch und Mathematik verpflichtende Kernfächer, in denen die Abiturienten eine Klausur schreiben müssen. Künftig kann eines der Fächer nur als Basisfach mit mündlicher Prüfung gewählt werden. Dennoch betonte Eisenmann bei der Präsentation ihres Konzepts: „Ohne Goethe geht es nicht, auch wenn der Schwerpunkt die Naturwissenschaften sind“.

Vergleichbarkeit des Abiturs

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) nannte die Reform „einen wichtigen Beitrag für die Qualität des Gymnasiums“, das inzwischen die beliebteste Schulart in Baden-Württemberg sei.

Mit der Festlegung, dass Deutsch und Mathematik Prüfungsfächer bleiben, gehe Baden-Württemberg über die Anforderungen der Kultusministerkonferenz (KMK) hinaus, betonte Eisenmann. Die KMK verlangt nur, dass zwei der drei Fächer Deutsch, Fremdsprache oder Mathematik in der Abiturprüfung vorkommen.

Die Reform geht auf einen Beschluss der KMK zurück. Danach soll es nur höchstens vier Leistungsfächer geben, in Baden-Württemberg sind es derzeit fünf. Die Veränderungen sollen die Vergleichbarkeit des Abiturs zwischen den Bundesländern erhöhen. Mehr als 40 Prozent der Schüler eines Jahrgangs besuchen in Baden-Württemberg das Gymnasium. Dass die Gymnasiasten mit fünf Schwerpunktfächern überfordert sein könnten, ließ Eisenmann nicht gelten. Sie unterstrich, das Land wolle der Heterogenität gerecht werden, aber: „Wir haben uns in Baden-Württemberg entschieden, das Niveau des Abiturs nicht abzusenken.“

SPD reagiert zurückhaltend

Die Reformpläne fallen auf fruchtbaren Boden. Stefan Küpper, Geschäftsführer Bildung beim Arbeitgeberverband Baden-Württemberg lobt „größere Wahlfreiheit und Fokussierung auf die Stärken der Schülerinnen und Schüler“. Davon versprechen sich die Arbeitgeber „einen wichtigen Beitrag zur Verringerung von Studienabbrüchen“. Er befürwortet auch, dass die naturwissenschaftlichen Fächer in Zukunft alle dreistündig unterrichtet werden.

Zurückhaltender reagiert die oppositionelle SPD. Der Beschluss trage zwar den Vorgaben der KMK zur besseren Vergleichbarkeit Rechnung. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Andreas Stoch vermisst aber stärkere Impulse zur qualitativen Neuausrichtung des Gymnasiums. Den „Spagat zwischen mehr Vertiefung und Profilbildung bei gleichzeitiger Gewährleistung der Allgemeinbildung“ betrachtet Stoch als „durchaus gelungen“. Jedoch dürfe die Stärkung der Naturwissenschaften nicht zu Lasten der Gesellschaftswissenschaften gehen. Auch müsse die neue Wahlfreiheit überall umsetzbar sein. An allen Schulen müssten genügend Lehrer und Räume vorhanden sein. Kultusministerin Eisenmann rechnet damit, dass für die Reform 65 zusätzliche Lehrerstellen notwendig werden.

Vergleichbarkeit mit anderen Bundesländern

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zeigt sich ebenfalls zufrieden. Die Schwerpunktbildungen durch drei Leistungsfächer würden die Vergleichbarkeit mit anderen Bundesländern erhöhen, sie kämen auch „den Interessen Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrkräfte entgegen“, erklärt die GEW-Landesvorsitzende Doro Moritz.

Timm Kern, der bildungspolitische Sprecher der FDP erinnert daran, dass die FDP seit der Abschaffung der Grund- und Leistungskurse im Jahre 2001 nach mehr individueller Schwerpunktsetzung verlange. Allerdings bedauert er, dass bei den fünf Prüfungsfächern nicht zwei gesellschaftswissenschaftliche Fächer gewählt werden können. Das stehe „in merkwürdigem Gegensatz zur allgemein als notwendig angesehenen Stärkung der politischen und ökonomischen Bildung“.

Die AfD bezeichnet das Vorhaben der Landesregierung als „Reförmchen“, das einer verstärkten Leistungsorientierung entgegenkomme, aber angesichts der heterogenen Schülerschaft und den ständig wachsenden Anforderungen der Wissenschaft „bei weitem nicht“ ausreiche.

Gesellschaftswissenschaften nur zweistündig

Leistungsfächer

Vom Schuljahr 2019/20 an können Oberstufenschüler frei Leistungsfächer wählen, die fünfstündig unterrichtet und im Abitur schriftlich geprüft werden. Das erste und zweite Fach wählen die Schüler aus Deutsch, Mathematik, Fremdsprache und Naturwissenschaft. Das dritte Fach ist frei wählbar.

Basisfächer

Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und Naturwissenschaften werden als Basisfächer dreistündig unterrichtet. Die übrigen Basisfächer bleiben zweistündig. Zwei Basisfächer werden im Abitur mündlich geprüft. Wer in einem der fünf Prüfungsteile null Punkte hat, ist durchgefallen. Wird eine Klausur mit null Punkten bewertet, kann sich der Schüler freiwillig mündlich prüfen lassen.