Die Orsons sind die derzeit spannendste Band aus Stuttgart. Sie sind textlich um Längen besser besser als Cro und musikalisch um einiges vielseitiger. Für den ganz großen Erfolg sind sie aber leider zu schlau.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Am Pullover von Rapper Bartek Nikodemski hätte jeder Ornithologe seine helle Freude: Nikodemski, den Hip-Hop-Deutschland nur mit seinem Vornamen Bartek ruft, hat wahrscheinlich alle Vogelarten der Welt auf seinem Oberteil abgebildet. Bartek sitzt vor dem Café Bohème in der Einzelhandelszwischennutzung Fluxus am Stuttgarter Rote-bühlplatz. In diesem Café verkehrt – um es in der Sprache des Pop zu sagen – ein Stuttgarter 2015er Remix der Bohème. Menschen, die mindestens in einer Agentur arbeiten, irgendwas mit Medien machen oder einen anderen guten Grund haben, nach dem Mittagessen einen Sekt aus Esslingen zu zwitschern. Bartek sitzt vor dem Café, um die ersten Sonnenstrahlen des Jahres einzufangen. Ständig muss das Bandmitglied der Gruppe Die Orsons einen anderen Vertreter der Stuttgarter Popkultur begrüßen, einen Clubbetreiber hier, einen Blogger dort. Geduldig genießt er die Huldigungen.

 

Und das mit gutem Grund: mit ihrem Album „What’s goes“, das jetzt erschienen ist, haben die Orsons den Zenit ihres Schaffens erreicht. Das Album taugt als Einstieg auch für Menschen, die bisher mit Hip-Hop nichts am Hut haben. Die Orsons zeigen, dass die Kunst des Samplens, diese postmoderne Herangehensweise, Musik zu erneuern, noch immer eine Wucht entfalten kann, bei der es anderen populären Musikströmungen ganz schwindelig werden muss. Die Band bastelt aus Günther Oettingers Englisch-Ausrutscher, Jahrmarkt-Einpeitscher sowie Biene-Maja-Textpassagen Musik, die zugleich eingängig und hintersinnig ist.

Oettingers Schwänglisch steht Pate für die neue Single

Die Stuttgarter Band, die lange vor Cro bei der Plattenfirma Chimperator unter Vertrag war, steht bis heute im kommerziellen Schatten des Panda-Rappers. Ob mit dem neuen Album der verdiente Durchbruch erfolgt? Wohl eher nicht, dafür sind die vier zu schlau für die ganz große Masse. Die erste Single, das titelgebende Stück „What’s goes“ ist eine herrliche Verballhornung eines berufsjugendlichen „Was geht?“, hat das Zeug, in der Tradition des Haftbefehlschens „Babo“ zum Jugendwort des Jahres zu mutieren und basiert auf der legendären Rede von Günther Oettinger, der bei seinen unbeholfenen englischen Gehversuchen kurzerhand eine neue Sprache erfand, das Schwänglisch. Oettinger philosophierte bei einer Konferenz der New Yorker Columbia-Universität in Berlin Ende 2009 in seiner unnachahmlichen Art über die Eigenheiten seines Heimatlandes Baden-Württemberg. Die Orsons haben aus dieser Sternstunde der Linguistik den Satz „In my homeland Baden-Württemberg, everybody does as he pleases“ gesampelt und nehmen die Zeile als Gerüst für eine phänomenale Single.

Das hat sich bis nach Brüssel herumgesprochen. Oettinger selbst feiert die Orsons in seinen Worten: „Ich freue mich, dass meine Rede die Orsons dazu inspirieren konnte, diese großartige Single zu veröffentlichen. Nichts freut einen Politiker mehr, als wenn seine Äußerungen ständig einprägsam wiederholt werden. Dass die Hip-Hop-Musiker aus meinem Homeländle kommen, finde ich besonders sympathisch.“ Das passt in mehrerlei Hinsicht, schließlich ist Oettinger eine Art Orson des Politikbetriebs. Unabhängig davon, ob man die politischen Positionen des ehemaligen Landesvaters teilt, muss man anerkennen, dass er sich vom restlichen Politikbetrieb abhebt.

Die Orsons nehmen nichts und niemanden ernst

So wie die Orsons in Bezug auf die engen Grenzen des Genres Hip-Hop: eine Verhaltensweise, die im Hip-Hop ausgeprägter ist als in anderen populärmusikalischen Genres, ist das Sich-selbst-ernst-Nehmen. Hip-Hop ist im schlimmsten Fall eine niemals endende Pubertät, in der männliche Rapper darüber sinnieren, wer über das längste Geschlechtsteil im sogenannten Game verfügt. Die Orsons verfolgen den kompletten Gegenentwurf. „Wir haben uns selbst noch nie ernst genommen“, sagt Bartek.

Stattdessen wird alles auf die Schippe genommen, was nicht bei drei auf dem Baum ist. Der finanzielle Erfolg der Cro-Firma Chimperator, bei dem die Orsons nicht mithalten können („Immer noch keinen Benz vor der Tür wie jeder bei Chimperator“, heißt es in „What’s goes“) genauso wie die lyrischen Höchstleistungen anderer Rapper. „Viele Rap-Kollegen denken, sie hätten einen Lyriknobelpreis ertextet, dabei haben sie noch nie ein Buch gelesen“, sagt Bartek, der Max Frisch oder Botho Strauß zu seinen Lieblingsautoren zählt.

Bartek sieht sich in der Tradition von Otto Waalkes

Im Hip-Hop durchaus überraschend: die Bandmitglieder verfolgen Interessen abseits der engen Rap-Welt. Dazu sind die vier Künstler auch noch grundverschiedene Typen: Maeckes malt und trat im vergangenen Jahr mit seiner Akustikgitarren-Show in Theatern in ganz Deutschland auf. Kaas beschäftigt sich mit Meditation und Esoterik, ist dabei aber niemals so anstrengend wie Thomas D. von den Fantastischen Vier. Tua ist als heimlicher Chef für die nötige Portion Aggressivität verantwortlich. Bartek bringt der Truppe Witz und Leichtigkeit bei. „Wir führen eine Art Ehe zu viert, mit viel Streit, aber auch sehr viel Liebe“, sagt Bartek.

Die Vielseitigkeit der Band ist aber nicht nur den unterschiedlichen Charakteren geschuldet. Jeder der vier ist für sich genommen noch einmal eine Kreativbombe auf zwei Beinen: Wenn Bartek als @bartekshirt über den Kurznachrichtendienst Twitter mit „What’s-goes-Sprüchen“ Denglisch persifliert („You go first“ ist bei Bartek ein jugoslawischer Fürst), erinnert er stellenweise an Otto Waalkes und an dessen Englisch für Fortgeschrittene, das English for Runaways. „Ich liebe das Frühwerk von Otto“, sagt Bartek, der einst bei seinen ersten Auftritten mit Maeckes als Duo im vergangenen Jahrzehnt das Genre Rap-up-Comedy quasi erfunden hat. Auch hier wieder ein herrlich entspannter Gegenentwurf zu den tumben Bühnenshows der Bushidos oder Sidos: Witze aus der Hüfte statt Anekdoten in Fäkalsprache.

Die Orsons inszenieren das beste Nicht-Konzert des Jahres

Dass den vier Halunken auch außerhalb der Musik nichts heilig ist, haben sie vor einer Woche unter Beweis gestellt, als sie den aktuellen Hype um vermeintliche Geheimkonzerte ad absurdum führten. Seit Kurzem reicht es nicht mehr, der reizüberfluteten Freizeitgesellschaft einfach nur ein Konzert aufzutischen. Der Auftritt eines angesagten Künstlers muss an einem geheimen Ort stattfinden, der Zugang zu den Karten muss begrenzt sein und Lieschen Müller oder Karl Napf dürfen von dem Spektakel auf keinen Fall im Vorhinein erfahren.

Die Orsons kündigten ein solches Geheimkonzert für den vergangenen Freitagabend in Berlin an. Über Twitter wurde der Auftritt unter dem Hashatg #Ozert inszeniert. Je näher der vermeintliche Auftritt rückte, desto mehr Gänsehaut-Tweets wurden abgefeuert: Eintrittskarten wurden gepostet, erfolgreiche Rapper wie Marteria oder Casper mit Hunderttausenden Followern schalteten sich ein und kündigten Gastauftritte an, am Abend selbst wurde detailliert beschrieben, wie sehr die Location aus allen Nähten platze. Als schließlich Cro ankündigte, gleich mit einem Hubschrauber zu landen, saß man als Nichtgeladener neidisch auf der heimischen Couch in der Gewissheit, das Konzert des Jahres zu verpassen.

So wird das literarische Potenzial von Twitter ausgelotet

Zwei Tage später wurde schließlich klar, dass man in Wahrheit der Inszenierung des Jahres beigewohnt hatte. Ein Konzert hatte gar nicht stattgefunden, die Orsons hatten sich stattdessen auf ein Feierabend-Bier getroffen, um nach einem vereinbarten Drehbuch spektakuläre Zeilen zum vermeintlichen Geheimkonzert zu twittern. Eingeweihte Musiker, Journalisten und sonstige Taugenichtse schickten ihre Kurznachrichten wie verabredet ebenfalls ins Twitter-Universum. So funktionierte das vermeintliche Konzert wie gute Literatur: Dank der Leerstellen entstand in der Fantasie ein fantastisches Konzerterlebnis.

Während die Orsons also ganz nebenbei das literarische Potenzial von Twitter ausloten, reden sie an anderer Stelle Klartext über die Mechanismen der Musikindustrie. Die Stuttgarter Musikgruppe hatte 2012 einen sogenannten Bandübernahmevertrag beim Branchenriesen Universal unterschrieben. Chimperator blieb der Heimatverein, Universal verpflichtete sich aber, zwei Alben der Band mit dem riesigen Apparat eines Majorlabels zu vertreiben. Zuerst war die Freude groß, mittlerweile inszenieren die Orsons ihre Abneigung gegen die riesige Plattenfirma öffentlich. „Natürlich wollen wir mit unseren Songs ins Radio. Am Ende gab es beim letzten Album aber 18 Versionen von zwei oder drei Liedern, jeder hat uns reingequatscht. Dieses Mal haben wir klipp und klar gesagt, dass wir uns keine Bläser oder keinen Kinderchor aufschwätzen lassen“, sagt Bartek.

Den Erfolg von Cro sehen die Orsons nicht nur positiv

Tua setzte in einem mittlerweile fast legendären Interview mit dem Online-Magazin www.allgood.de einen drauf. In dem Gespräch beschimpfte er alles und jeden, von der Plattenfirma über andere Rapper bis hin zu den Fans („Es ist krass, wie viel Scheiße die Menschen kaufen. Die Leute sind so schnell zufriedenzustellen.“). Bandintern wird das heitere Gespräch nur „Schimpferview“ genannt. Es zeigt, was die Orsons von anderen Vertretern ihres Genres halten: „Die meisten sind keine Musiker, sondern Rapper. Die machen sich monatelang Gedanken über ein Tattoo, das sie sich stechen lassen mit dem Namen ihrer Katze oder so“, sagte Tua im Schimpferview.

Auch den Erfolg ihres Kumpels Cro sehen dir Orsons nicht nur positiv. „Wir gönnen es Carlo von Herzen. Textlich ist es aber nicht immer meine Welt“, sagt Bartek. Daher wählen die Orsons auch nicht den naheliegenden Weg der Zusammenarbeit mit Cro, um so einen Teil von dessen Erfolg abzuhaben. „Cro ist eine Hitmaschine, ohne Frage, eine Kollaboration ergibt aber keinen Sinn, weil unsere Welten viel zu unterschiedlich sind“, sagt Bartek.

Bartek textet für Jimi Blue Ochsenknecht

In anderer Sicht haben die Orsons weniger Berührungsängste. Sie sprechen ganz offen über ein Thema, über das in der um Street-Credibility bemühten Hip-Hop-Szene ansonsten selten geredet wird: Rapper wie Bartek erfüllen Auftragsarbeiten für Popkünstler, weil diese gut bezahlt sind. Bartek hat etwa schon für Jimi Blue Ochsenknecht getextet, den Sohn von Uwe Ochsenknecht. „Das ist schon komisch. Ich sehe das eher als Übung an, in eine Welt hineinzuschnuppern, in der ich einen ganz anderen Wortschatz benutzen muss, als in meinen eigenen Stücken“, sagt Bartek, zu dessen eigenen Soloveröffentlichungen dadaistische Singles wie die vom Apfelschnitzschneider zählen.

Barteks Drang, das Dada des 20. Jahrhunderts in die Rapwelt des 21. Jahrhunderts zu transformieren, passt perfekt in die Welt der Bohème, der intellektuellen Außenseiter. Womit wir wieder am Anfang unserer Geschichte wären, im Café Bohème am Rotebühlplatz. Welche Chancen rechnet sich Bartek in der Stuttgarter Frühlingssonne aus, mit dem neuen Album auch endlich kommerziellen Erfolg zu feiern? „Für die Masse sind wir wahrscheinlich einfach zu krass. Vieles von unserem Humor ist sehr speziell. Wahrscheinlich werden wir am Ende doch immer Nischenmusik machen.“