Der Oscar, Hollywoods golden glänzendes Symbol, ist noch immer höchst attraktiv. Doch rund um den Preis gibt es ein paar Krisenherde. Und er ist ein wenig in die Jahre gekommen.

Los Angeles - Es gibt viele Dinge, über die man in Hollywood nicht gerne spricht. Aber wer als Autogrammjäger, Hotelpage oder Journalist von Größen der Traumfabrik einmal eisige Blicke der Fünf-Sterne-Froststufe kassieren möchte, sollte unbedingt nach der Beverly Loan Company in Beverly Hills fragen. Was halbwegs bieder nach einem Finanzdienstleister klingt, heißt bei Insidern und Klatschjournalisten schlicht „Pfandleihe der Stars“. Hier schauen die Vornehmen Hollywoods und die Erben der einst Erfolgreichen vorbei, wenn die Zeiten hart geworden sind. Hier werden funkelnde Schmuckstücke und mollige Pelze aus den fernen Tagen der Glanzpremieren versetzt sowie allerlei in Sammlerkreisen versteigerbare persönliche Andenken. Und Oscar-Statuetten.

 

Die alte Frage, was der wichtigste Filmpreis der Welt denn wert sein könnte, wird angeblich mehrmals pro Jahr von Jordan Tabach-Bank, dem Inhaber von Beverly Loan, ganz pragmatisch beantwortet. Dann wird bei ihm – aber auch bei Kollegen wie Elliott Salter in dessen West Hollywood Pawn Shop oder auch schon mal etwas weiter weg – wie in der Pfandleihe Mission Jewelry an San Franciscos Mission Street geschehen – ein Oscar auf die Theke gestellt.

Zahlen aus der Pfandleihe

Vor zwei Jahren hat Jordan Tabach-Bank mit der Branchenpresse Hollywoods über das Phänomen gesprochen, was in der Filmstadt gewiss viele Nackenhaare Richtung Stratosphäre schnalzen ließ. Immerhin, Namen wurden keine genannt, aber doch herbe Wertigkeiten.

Auch in der Pfandleihe gibt es einen großen Unterschied zwischen den publikumsattraktiven Oscars – beste Hauptrolle, beste Regie, bester Film – und den Auszeichnungen für die Handwerker jenseits der Kamera, für all die Könner, die für Ton, Kostüme oder Schminke verantwortlich sind. Man dürfe, gaben die Pfandexperten zu verstehen, für manche Oscars sofort 50 000 oder gar 100 000 Dollar einstreichen – für andere dagegen sehr, sehr viel weniger.

Selbstfeier der Schönen

Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die am 24. Februar bereits zum 91. Mal ihre Oscars verleihen wird, mag solche ruppigen Aussagen gar nicht. Noch immer sind die Academy Awards, wie sie etwas förmlicher heißen, der wichtigste Filmpreis der Welt, die kleinen Männchen sollen überirdisch strahlen. Die feierliche, in alle Welt übertragene Verleihung ist natürlich eine Selbstfeier der Schönen, der Erfolgshungrigen, der Aufsteiger und der Abstiegsbedrohten in Hollywood. Es ist eine Werbeveranstaltung für Amerikas Filmindustrie. Aber längst spüren die Mitglieder der Academy noch eine ganz andere Verantwortung.

Die Oscars sind eine Propagandashow für das Kino schlechthin, für das Gemeinschaftserlebnis vor einer großen Leinwand oder jedenfalls für ein Filmverständnis alter Schule: das Zusehen als Event, die Begegnung mit großen Bildern als lang anhaltende Bereicherung des eigenen Traumvorrats. Dafür zu werben, ist mittlerweile keine ganz leichte Aufgabe mehr. Computerspiele und soziale Netzwerke, eine Vielzahl von Streaming- und TV-Angeboten sowie Serienproduktionen auf Kinoniveau binden die Zeit, die Aufmerksamkeit und Kaufkraft potenzieller Kinogänger. Früher profitierten die Oscars von der Strahlkraft der Filme und Stars. Mehr und mehr aber versuchen die Oscars, den Filmen und Stars etwas von ihrem eigenen Glanz zu spenden.

Bloß nicht auf jeden Kaminsims

Also könnte der Academy of Motion Picture Arts and Sciences eine Krösus-Anekdote noch halbwegs ins Konzept passen. Die nämlich, dass der Bester-Film-Oscar, den „Vom Winde verweht“ 1940 einheimsen durfte, dem Popstar Michael Jackson im Jahr 1999 immerhin 1,54 Millionen Dollar wert war.

Dass aber ein echter, jedoch weniger legendärer Oscar für ein paar Tausend Dollar in eine Pfandleihe wandert, dass er dort nicht mehr ausgelöst und letztlich für ein paar Tausend Dollar mehr an einen Trophäensammler außerhalb der Filmindustrie verkauft werden könnte, macht der Academy dagegen Sorgen. Jeder frei verkäufliche Oscar schädigt den Nimbus des Besonderen. Der überirdische Glanz verblasst ganz schnell auf dem Kaminsims eines neureichen Immobilienspekulanten.

Achtung, Vorkaufsrecht

Folglich gibt es längst eine Regel, die Oscars vorm Abrutschen schützen soll. Alle Academy Awards nach 1951 sind nur unter einem klaren Vorbehalt verliehen worden. Sollten sie von den Empfängern oder deren Erben je veräußert werden, hat die Academy ein Vorkaufsrecht. Wie das aussieht, darüber spricht man in Hollywood ebenfalls nicht gern. Die Academy kann solche Oscars für zehn Dollar zurückkaufen. Nach Glanz und Glamour klingt das nicht.

Immerhin, nach nur zehn Dollar wird bei der anstehenden Verleihung am 24. Februar gewiss nichts aussehen: kein Designerkleid, keine Funkelbrosche, kein Champagnerglas und kein Palisadenzahnlächeln. Die Oscars bleiben – vorerst – eine auf Hochglanz gewienerte Illusionsmaschine.

Die Alten und die Jungen

Teil der Illusion: dass man hier dem lebendigen Herzen Hollywoods beim Schlagen zusehen könne. Wo doch das, was bei den Oscars nominiert und gekürt wird, weder das widerspiegelt, was die Studios das Jahr über in die Kinos bringen, noch gar das, was Kritiker für die wichtigsten Filme des Jahres halten. Die Oscars sind eine Welt für sich.

Als bester Film sind dieses Jahr etwa „Roma“ von Alfonso Cuaron nominiert, „Green Book“ von Peter Farrelly, „A Star Is Born“ von Bradley Cooper und „Vice“ von Adam McKay. Das sind ganz unterschiedliche Werke, aber manches haben sie gemein: Sie sind auf Schauspieler ausgerichtet, nicht auf Trick- technik, und sie sprechen eher Erwachsene an. Die großen Umsätze im Kino aber werden mit Angeboten an Jüngere gemacht, vor allem mit den bombastischen Superheldenabenteuern.

Anrüchige Vergangenheit

Die Academy of Motion Picture Arts and Sciences ist ein Branchenclub. Einer mit anrüchiger Vergangenheit übrigens. Was sich heute als Geschichtsinstitut, als Forschungsstelle, als Wahrerin der Maßstäbe und Hüterin der Qualität begreift, wurde ursprünglich als mieses Werkzeug eines korrupten Systems etabliert: In den Goldenen Zwanzigern des 20. Jahrhunderts florierte die Filmindustrie, die Studiobosse regierten mit harter Hand – aber allmählich wurden einige Schauspielstars aufmüpfig und wollten sich nicht mehr wie Leibeigene behandeln lassen.

Die Bosse fürchteten den Einfluss von Gewerkschaften und gründeten die Academy als eine Art Scheingewerkschaft. Wer Mitglied wurde, musste brav bleiben – konnte aber zumindest auf einen Oscar als Belohnung hoffen. Wer einen bekommen würde, handelten die Bosse der Academy in den ersten Jahren bei Geheimtreffen miteinander aus.

Fern vom Verkehrsalltag

Heute können Filmschaffende aller Gewerke Mitglied werden, aber nur auf Einladung. Die Mitgliedsliste ist geheim. Wer einmal drin ist, darf auch bleiben und weiter mit über die Oscars abstimmen, auch wenn die aktive Berufstätigkeit schon lange zurückliegt. Dass die Oscar-Entscheidungen den Geschmack älterer Menschen widerspiegeln, gibt dem Ganzen langsam den Anstrich einer Oldtimer-Rallye. Man sieht hier imposante, liebenswerte Karossen rollen – aber mit dem Verkehrsalltag hat das wenig zu tun.

Mittlerweile starten viele Filme, die ins Beuteschema der Oscar-Juroren fallen, nicht mehr über alle 52 Wochen des Jahres gleichmäßig verteilt, sondern in zeitlicher Nähe zum Oscar-Spektakel. So bleiben sie den mittlerweile circa 7000 Academy-Mitgliedern frischer in Erinnerung und haben bessere Chancen, auf deren Stimmzettel zu landen. Allerdings prägen sie in dieser Massierung noch weniger als sowieso schon das Kinojahr insgesamt. Viele Monate gehören fast ganz dem Klamauk und Radau. Jedes große Studio konzentriert sich auf Großbudgetfilme ohne echte Oscar-Chancen – und leistet sich einen oder zwei viel preiswertere Oscar-Prestigefilme nebenbei.

Zockerwahnsinn

Lange schon grübelten auch die Beteiligten über diesem System, ob das eine gesunde Aufteilung sei. Die Oscars veralten, während das Spektakelkino ein einziger Zockerwahnsinn wird: Wehe, eine der Megaproduktionen, deren Stars unwichtiger sind als die Computerbilder, floppt einmal so richtig. Sofort ist ein Studio dann in arger Finanznot. In der Vergangenheit ist das schon einige Male passiert. Eine Art Börsencrash der Traumfabrik nach einer Unglücksserie von Flops ist nicht ganz auszuschließen.

Doch noch während man in der Academy in fragwürdiger Ruhe über die Verjüngung nachsann, kamen vehemente Angriffe aus ganz anderer Richtung: nicht nur viel zu alt, sondern viel zu weiß, viel zu hetero, viel zu konservativ, ja, viel zu rassistisch, sexistisch und feige sei der Eliteclub der Filmwirtschaft, ein Unterdrückersystem voller überholter Dinosaurier. Im Zeitalter der sozialen Methoden blieb das keine Insiderdebatte, es twitterte sich im Nu zum Wutwirbel hoch, zum Sandsturm der Klagen, Vorwürfe und Argumente, der den Oscars ein für allemal den Goldlack abzuschmirgeln drohte.

Im Eiltempo bunter werden

Also reagierte die Academy so rasch und durchgreifend wie noch nie in ihrer Geschichte: Sie lud hopplahopp so viele neue Mitglieder ein mit Schwerpunkt auf nichtweißer Herkunft, als wollte sie sich als neugeboren präsentieren. Ein wenig anders sind die Oscars dadurch geworden. Dieses Jahr sind mit Spike Lees „BlacKkKlansman“ und Ryan Cooglers „Black Panther“ gleich zwei Produktionen als bester Film nominiert, die afroamerikanische Hauptdarsteller haben und von afroamerikanischen Regisseuren inszeniert wurden. Mit „Black Panther“ hat es sogar ein Superheldenfilm, ein echter Popcornkinohit, in die Endauswahl geschafft – und das nicht nur aus Quotengründen.

Doch diese Reformschritte kommen vielleicht zu spät. Bereits jetzt regt sich Unmut unter den starken Minderheiten in Amerikas Filmwelt, dass mit dem demonstrativen Herausstellen einiger Afroamerikaner alle anderen Gruppen mit abgespeist werden sollten. Menschen asiatischer Abstammung, mit Latinohintergrund, auch die Inder, die sich in den Drehbüchern auf die Rolle randständiger Witzfiguren zurückgeworfen sehen, haben bereits mehrfach Protest angemeldet.

Leider oft ein Herrenabend

Das ist allerdings gar nichts gegen die Tatsache, dass es die Academy noch immer nicht fertigbringt, die Arbeit von Frauen in der Filmindustrie angemessen zu würdigen und zu unterstützen. Die Preisvergabe gerät regelmäßig zum Herrenabend, und böse Zungen haben schon mehr als einmal gelästert, man möge die Oscars für die beste weibliche Haupt- und Nebenrolle der Einheitlichkeit wegen doch bitte auch noch an Männer vergeben.

Durch die Academy laufen Risse und Sprünge, auch wenn sie das mit professioneller Image-Arbeit zu verbergen versucht. Auch die Oscar-Gala, ein weltweites TV-Ereignis, kann sich gegen die Konflikte einer unruhigen Gesellschaft nicht mehr abdichten und das alles mit seliger Festlaune wegsimulieren.

Lauter Krisenzeichen

Dass die Academy dieses Jahr kurz vor dem Ereignis noch ohne Hauptabendmoderator dasteht und dass die Veranstaltung wohl erstmals seit 1989 ohne herausgehobenen Oberpräsentator ablaufen wird, steht symbolisch für die Brüchigkeit des einstigen Riesen. Der designierte Moderator Kevin Hart hatte Anfang Dezember absagen müssen, nachdem ältere homophobe Ausfälle des Schauspielers und Comedians publik geworden waren.

Seitdem ist es der Academy, die doch auf den gesamten Talentpool des US-Showgeschäfts zugreifen kann, nicht gelungen, einen passenden Nachfolger zu finden. Es gibt also beunruhigende Krisenzeichen rund um die Academy Awards, und die Organisatoren werden zügig weitere Reformen wagen müssen. Das ganz große Alarmsignal aber bleibt vorerst aus. Noch sind die Kurse für alte Oscars in den Pfandleihen von Los Angeles stabil.