Nirgends wird der Schnitt so deutlich wie im Sprechtheater: der neue Intendant Burkhard Kosminski macht alles anders als sein Vorgänger Armin Petras. Macht er es auch besser?

Stuttgart - Er weiß, was sich gehört. Zur Arbeit seines Vorgängers verliert Burkhard Kosminski bei der Vorstellung seines Programms kein Wort. Er lässt seinen Spielplan sprechen: Während Armin Petras die noch laufende Saison zur Hälfte mit Romanadaptionen bestritten hat, sucht der künftige Schauspiel-Chef sein Heil in genuinen Theaterstücken. Unter den fünfundzwanzig Inszenierungen des Antrittsjahrs basieren nur drei auf Prosatexten: „Jugend ohne Gott“ nach Horváth, „Der Gestiefelte Kater“ nach den Brüdern Grimm, „Der goldene Topf“ nach E. T. A. Hoffmann. Der Rest: Tragödien, Komödien, Dokumentarspiele, Textflächen, verfasst von Aischylos, Shakespeare, Ibsen, Jelinek und so fort. Kosminski gibt dem Theater, was des Theaters ist: Schauspiele, eigens konzipiert für die Bühne mit Protagonisten und Antagonisten, mit ausgefeilten Monologen, Dialogen, Wortgefechten.

 

Nirgends prägt sich der Unterschied zwischen Petras und Kosminski so deutlich aus wie im Spielplan – wobei Unterschied ein zu schwaches Wort ist, um den sich abzeichnenden Wandel zu beschreiben. Ein harter Schnitt ist es, den der 56-Jährige vornimmt, ein radikaler Bruch und Neuanfang in jeglicher Hinsicht: Er will nicht nur tote Schriftsteller pflegen, sondern – wie zuvor schon in Mannheim – mit Inbrunst auch lebende, weshalb sein Autorentheater nicht zuletzt ein dezidiertes Gegenwartstheater sein wird. Clemens J. Setz schreibt für Stuttgart ein neues Stück, dazu gesellen sich als quicklebendige Zeitgenossen unter anderem Nis-Momme Stockmann, Roland Schimmelpfennig, Simon Stephens, Theresia Walser und die bereits erwähnte Elfriede Jelinek. Dass die Rückbesinnung auf Theatertexte, tendenziell einhergehend mit dem Verzicht auf Performances, zu einem ästhetischen Rollback führt, diese Befürchtung scheint angesichts der Liste wilder Autoren und Autorinnen eher unbegründet zu sein.

Ensemble mit Araberpferden

Apropos Autorinnen. Ihnen zur Seite stehen viele Regisseurinnen, denn acht der neunzehn Inszenatoren sind Frauen. Kosminski macht das Schauspiel weiblicher, als es je zuvor war – und dass er zu diesem Schritt nicht von der Metoo-Debatte getrieben wurde, zeigt abermals ein Blick aufs Mannheimer Theater, wo die Regie schon immer häufig in Frauenhand lag. So sympathisch wie der neue Feminismus ist indes auch die Internationalisierung, die am Eckensee angestrebt wird. Programmatisch drückt sie sich bereits am Eröffnungswochenende aus, das wegen verlängerter Sommerpause – Nachrüstung der Drehbühne – erst Mitte November über die Bühne geht: In Wajdi Mouawads „Vögel“ wird Hebräisch, Arabisch, Englisch und Deutsch gesprochen, von Spielern mit entsprechender Herkunft, zu denen auch der Israeli Itay Tiran gehört. „In seiner Heimat ein Superstar“, sagt Kosminski, „er zieht mit Familie und Araberpferden nach Stuttgart – oder dorthin, wo es ein Gestüt gibt. Auch darum kümmere ich mich.“

Dass sich ein Intendant um etwas kümmert, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die im Stuttgarter Schauspiel freilich in Vergessenheit zu geraten drohte. Kosminski aber ist ein Chef zum Anfassen, ein Menschenfreund und Menschenfänger – und als Fußballfan ein ausgesprochener Teamplayer. Bevor er bei der Programmpräsentation seine Regisseure (darunter Achim Freyer, Elmar Goerden, Calixto Bieito) und seine Schauspieler (darunter Silke Bodenbender, Michael von Au, Nicole Heesters) lobte, stellte er auch seine anwesende Leitungsmannschaft vor, Kopf um Kopf. Ein Kulturwandel. Auf die Jahre mit Kosminski darf man mit Recht gespannt sein.