Das Zürcher Duo Yello hat Popgeschichte geschrieben. Dieter Meier (75) und Boris Blank (68) nehmen ihren Job noch immer wichtig, bilden sich aber nichts darauf ein. Im Gespräch über Leben und Musik zeigen sie sich gleichermaßen entspannt, selbstironisch und nachdenklich.

Zürich - Dieter Meier (75) und Boris Blank (68) sind seit über vierzig Jahren Yello. Das neue Album „Point“ bringt die Qualitäten dieses Zürcher Duos auf den Punkt. Es klingt unverwechselbar nach ein bisschen Techno, viel Elektropop und der Yello-typischen Verspieltheit. Wir sprechen mit den beiden im Garten von Meiers Anwesen in Zürich. Das Haus liegt direkt neben einem Golfplatz und gegenüber vom Luxushotel „Dolder Grand“, der Blick auf die Stadt ist phänomenal.

 

Herr Meier, Herr Blank, im Video zu Ihrer neuen Single „Waba Duba“, die vom Sound und der Komposition her stark an Ihren großen, drei Jahrzehnte alten Hit „The Race“ erinnert, bellen Sie sich herzlich an wie zwei freundliche Hunde.

Boris Blank: Wer diesen Clip sieht, der versteht, wie wir beiden zusammen funktionieren. Wir haben uns in den gemeinsamen vierzig Jahren ein bisschen kennengelernt und sind ganz gut eingespielt. Wenn wir nebeneinanderstehen und improvisieren sollen, dann haben wir sofort irgendwelche Ideen. Wir können aus dem Stegreif lustig sein und akzeptieren es gern, dass wir auch ein wenig als Komiker unterwegs sind.

Wie wichtig ist Ihnen Humor?

Dieter Meier: Der ist uns in der Tat gegeben. Schon von Anfang an waren wir gegenseitig von unserem Humor angetan. Der ist sehr ähnlich, und er hat uns immer wieder einander nah gebracht und zusammengeschweißt. Wir lachen immer über dieselben Witze.

Blank: Der Humor ist das Treibgut auf dem Strom unseres Lebens. Lachen macht glücklich und ist etwas sehr Schönes. Leute, die schmunzeln, sind mir auf Anhieb sympathisch. Wir lachen einfach gerne zusammen.

Meier: Wobei Boris im Gegensatz zu mir ein sehr ernsthafter Künstler ist. Die Arbeit ist für ihn eine echte Herausforderung, Er geht ungleich akribischer vor als ich. Seine Musik ist das Resultat seines Getriebenseins.

Herr Blank, fühlen Sie sich da treffend beschrieben?

Blank: Ich vergleiche meine Tätigkeit gern mit der eines Eichhörnchens. Seit vierzig Jahren ist meine Arbeitsweise dieselbe: Ich vergrabe Nüsse, das heißt, ich fülle ganze Ordner mit Fragmenten und Ideen. An denen bastele ich so lange herum, bis Konturen entstehen und schließlich bildet sich ein Sammelsurium heraus, aus dem eine neue CD entstehen könnte. Das Schwierigste für mich ist es, meine Fantasie mit jemandem zu teilen. Ich bin Autodidakt und Egomane in einer Person und habe das Glück, dass ich Dieter zum Partner habe – er schaut mir nicht die ganze Zeit über die Schulter, sondern lässt mir die Freiheit, hier wie ein Kind zu sitzen und an meinen Sandburgen zu bauen.

Wenn man die Arbeitsweise von Blank und beispielsweise Beethoven vergleichen sollte…

Blank: …kann man das vergessen. Ich bin ein Stimmungserzeuger mit Geräuschen, aber kein Komponist in diesem Sinne.

Meisterwerke sind Ihre Stücke trotzdem.

Blank: Zum Teil werden sie so genannt. Aber für mein Gefühl nicht zurecht. Ich halte uns auch nicht für die „Godfathers of Techno“. Das waren Kraftwerk. Wir sind höchstens bei den Pionieren mit dabei gewesen. Und im Gegensatz zu Kraftwerk wollte ich nie mit den Maschinen verschmelzen, quasi eins werden mit den Maschinen. Sondern ich wollte und will den Maschinen etwas Menschliches entlocken.

Ihr Studio liegt im Souterrain von Meiers Anwesen. Funktioniert das?

Blank: Ich bin häufiger hier als Dieter. Wahrscheinlich haben seine Kinder, die inzwischen alle ausgeflogen sind, mich öfter gesehen als ihn, seine Frau auch. Ich bin ein Gewohnheitsmensch und komme hierher wie ein Fabrikarbeiter, während Dieter kommt und geht. Er braucht immer wieder etwas Neues.

Freuen Sie sich, wenn er den Kopf durch die Tür steckt?

Blank: Ich habe es gerne, wenn er kommt. Aber auch gerne, wenn er wieder geht. Dieter kann ein sehr anstrengender Mensch sein, auch ein sehr energischer Mensch. Er nimmt einem viel Kraft, aber er gibt einem auch viel Kraft. Es ist immer noch lustig, mit ihm zusammen zu sein. Früher sind wir sogar gemeinsam in die Ferien gefahren. Das machen wir heute nicht mehr.

Herr Meier, Sie verbringen viel Zeit auf Ihrer Ranch in Argentinien und reisen auch sonst ständig umher. Hat Corona dazu geführt, dass Boris Blank Sie öfter gesehen hat als ihm lieb war?

Meier: Ich habe ihn in Ruhe gelassen. Boris will nicht, dass ich mich in seinen Arbeitsprozess einschalte. Wenn er mir das Privileg zuteilwerden lässt, in seine Klangwelten eintauchen zu dürfen, geht er währenddessen meistens Mittagessen. Meistens reicht mir die Stunde aus, um einen Text zu einem seiner Stücke zu improvisieren. Wenn er zurückkommt, nehmen wir den dann auf.

Wie haben Sie ansonsten Ihre Zeit verbracht?

Meier: Die Entschleunigung hat mir sehr viel gebracht. Ich habe eine Hassliebe zum Schreiben und arbeite schon seit zwanzig Jahren an „Die Maske des Erzählers“. Jetzt hat das Buch tatsächlich Fortschritte gemacht. Eben weil ich nicht mehr ausweichen konnte und praktisch nichts anderes zu tun hatte. Ich denke, dass ich den Roman dieses Jahr noch fertigkriegen könnte. Die Schriftstellerei ist ja das wohl mühsamste Geschäft überhaupt. Beim Schreiben bin ich ein großer Zweifler. Überhaupt ist der Zweifel immer vorhanden. Meine Eltern waren wohlhabende Leute, ich selbst habe gut verdient, und dann denken alle immer „Der hat Kohle, dem fällt alles leicht“. Doch das stimmt gar nicht. Wenn ich Boris nicht hätte, hätte ich mich zum Beispiel nie im Leben getraut, Musik zu machen.

Geht es in „Die Maske des Erzählers“ um Sie selbst?

Meier: Ich bin eher im ständigen Dialog mit einer Figur, die natürlich ein Alter Ego ist. Ich würde aber nicht mein Privatleben in einem Roman ausbreiten, so wie Max Frisch, der seine Affären immer voll verbraten hat. Das finde ich unlauter. Auch ein Lukas Bärfuss, der über den Selbstmord seines Bruders schreibt, ist für mich ein Betroffenheitsakrobat.

Schreckt Sie die Langeweile?

Meier: Ich genieße sie. Dazu braucht man auch Nerven. Mein Vater hat sich von sich selbst abgelenkt, bis er 97 war. Er war Bankier, und selbst im hohen Alter hat er noch seine Investitionen getätigt und am Telefon Aufträge erteilt. Das war eine Flucht vor sich selbst. Diesem Zustand bin ich in die Langeweile ausgewichen.

Sie sind Künstler, Musiker, Bauer, Gastronom und vieles andere geworden, um nicht so zu enden wie Ihr Vater?

Meier: Viele erfolgreiche Leute, die ich kenne, rennen ihrem Dasein davon. Ich selbst habe mich nie gescheut, meine eigene Person der Lächerlichkeit preiszugeben. Meine Frau Gemahlin und ich, wir haben vier Kinder, und diese Kinder sind ohne irgendeine Form von Autorität, dafür mit viel Selbstironie, aufgewachsen. Ich war, im Gegensatz zu meinem Vater, immer sehr intensiv mit den Kindern zusammen.

Sie stellen Ihr Leben immer so dar, als sei Ihnen der Erfolg halt so passiert.

Meier: Ja, die Leute denken immer, ich kokettiere mit einer falschen Bescheidenheit, aber mein Leben war wirklich immer ein einziger Zufall. Wenn ich eine Sache verfolge, dann tue ich das hartnäckig,

Sie sind 75. Was haben Sie für Ziele?

Meier: Ich hoffe, ich werde Boris überreden können, noch einmal auf Tournee zu gehen, aber dann auch wirklich live auf der Bühne die Klänge zu erzeugen. Das klangliche Korsett auf der letzten Tour war schon recht eng. Und mit 80 will ich in Las Vegas auftreten.