Die SG Sonnenhof Großaspach wird an diesem Freitag 25 Jahre alt. Im bezahlten deutschen Fußball ist der Verein der einzige Club, bei dem der Heim- kleiner als der Gästeblock ist.

Aspach - Die Hektik des Spiels bekommt der Esel nicht mehr mit. „Andile“ darf nur vor dem Anpfiff eine Runde durch das Stadion der SG Sonnenhof Großaspach drehen, immerhin gibt es dann Möhren. Eine davon nimmt Tai Volkmer in den Mund. Volkmer sitzt im Rollstuhl, für den Esel bedeutet das Augenhöhe. Als „Andile“ sich dem Mund von Volkmer nähert, geht es ganz schnell. Volkmer kneift die Augen zusammen, der Esel zeigt die Zähne – zack, dann ist die Möhre verschwunden. Kurz darauf steckt Volkmer sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Der 51-Jährige ist angespannt.

 

Die Idee mit dem Esel hatte Andrea Berg

Es gibt Menschen, die sich fragen, was die SG Sonnenhof Großaspach überhaupt ist, und wieso der Stadionsprecher einen Esel mit dem Mund füttert. Warum spielt so ein kleiner Verein in der 3. Fußball-Liga, während Traditionsclubs wie Rot-Weiss Essen, Alemannia Aachen oder die Stuttgarter Kickers das nicht mehr schaffen? Warum ist die Schlagersängerin Andrea Berg, die die Idee mit dem Esel hatte, die prominenteste Anhängerin des Vereins? Und wer sind die Fans der SG, die am Freitag ihren 25. Geburtstag feiert?

„Wir sind der einzige Profi-Club in Deutschland, wo der Heimblock kleiner als der Gästeblock ist“, sagt der Stadionsprecher Volkmer, der in seinem Rollstuhl direkt am Spielfeldrand sitzt. In wenigen Minuten beginnt das Heimspiel gegen den SV Waldhof Mannheim. Schaut Volkmer nach rechts, sieht er mehr als 2000 mitgereiste Mannheimer Fans. Links von ihm stehen rund 100 Anhänger von Großaspach. Volkmer gibt alles, als er die Mannschaftsaufstellung vorliest. „Mit der Nummer fünf, unser Kapitän: Julian...!“, ruft er ins Mikrofon. „Arschloch!“, tönt es von rechts. Von links kommt nichts Hörbares, aber Volkmer kennt das ja. Also schiebt er den Nachnamen des Kapitäns einfach selbst hinterher: „Leist!“

Hobby-Mannschaft fusioniert mit der SpVgg

Andrea Berg bekommt das diesmal nicht mit. Die 53-Jährige hatte am Abend zuvor einen Auftritt im Hotel Sonnenhof, dem Namensgeber des Vereins. Doch ihr Ehemann Uli Ferber sitzt auf der Tribüne. Gemeinsam mit seinem Bruder Klaus gründete er 1976 eine Hobby-Mannschaft aus dem Hotel-Stammtisch, in den Jahren danach wurde die Truppe so gut, dass Uli und Klaus sie 1982 als FC Sonnenhof Kleinaspach im Ligabetrieb anmeldeten. 1994 fusionierte der Club mit der benachbarten SpVgg Großaspach, so entstand der Landesligist SG Sonnenhof Großaspach.

„Das ist hier halt noch Fußball mit roter Wurscht und Bier“, sagt Ferber. Etwas mehr als 800 Mitglieder hat der Club, die meisten kommen aus Kleinaspach, Großaspach oder Allmersbach. Ein weiterer Ortsteil der Gemeinde Aspach heißt Einöd. Diese Abgeschiedenheit hat der Verein sich zum Markenzeichen gemacht, seit November 2016 fungiert er als offiziell vom Deutschen Patent- und Markenamt beurkundeter „Dorfklub“.

„Welcome to the Jungle!“, begrüßt Volkmer unten am Spielfeldrand die 3425 Zuschauer. Kurz darauf ertönt der gleichnamige Song der Guns ’n’ Roses. Er steckt sich noch eine Zigarette an. Normalerweise raucht er ungefähr zehn Stück pro Tag. „Während des Spieltags ist es eine Schachtel“, sagt er. Essen kann er auch nichts vor dem Spiel, so nervös ist er. Erst mit dem Anpfiff kann er Druck ablassen.

Es gibt wahrscheinlich niemanden, der sich so sehr mit der SG Sonnenhof Großaspach freuen oder dermaßen an ihr verzweifeln kann wie Tai Volkmer. Seit einem Autounfall kurz vor seinem 18. Geburtstag sitzt er im Rollstuhl, aber selbst zu den Auswärtsspielen der SG fährt er mit, im Mannschaftsbus. Seinen Herzensclub begleitet er seit der Landesliga. Auch dank der finanziellen Unterstützung verschiedener Sponsoren sowie der Ferber-Familie, die das Hotel seit 1950 als Familienbetrieb führt, schaffte es der Club Schritt für Schritt bis in den Profifußball.

Bayern München kommt nach Aspach

Die Aufstiege seien halt immer so „passiert“, sagt Volkmer. Nach dem Sprung in die Regionalliga 2009 stellt darum nicht nur er sich die Frage: „Und was machen wir jetzt?“ Es gab ja kein Stadion, nur Bäume, Wiesen und Weinberge. Zwei Jahre musste die SG in Heilbronn spielen, erst dann stand die neue Heimstätte. 10 001 Zuschauer fasst die Mechatronik Arena, voll war sie seitdem nur selten: Zum Beispiel beim Test gegen den FC Bayern München im Sommer 2013 – und natürlich bei Konzerten von Andrea Berg.

Aber daran denkt Tai Volkmer gerade nicht. „Mann, Mann, Mann!“, ärgert er sich. Die Partie gegen die Mannheimer läuft, aber es sieht nicht gut aus für die Gastgeber. Der SV Waldhof ist schneller, wacher, bissiger, und dann erkennt der Linienrichter ein aus Sicht von Volkmer offensichtliches Foul nicht. „Für was gibt’s die Linienrichter überhaupt?“, grummelt er. Volkmer leidet mit seiner Mannschaft. Aber es wird nicht besser. Großaspachs Trainer Oliver Zapel tobt neben Volkmer, doch auch das nützt nichts, Mannheim gewinnt 3:0. „Das Wochenende ist gelaufen“, sagt Volkmer.

Nach dem Abpfiff tragen ihn Zuschauer im Rollstuhl die Treppe hoch, kurz darauf sitzt er neben Uli Ferber in einer Loge. Wenn Ferber nicht im Stadion oder Hotel unterwegs ist, berät er Nationalspieler wie Joshua Kimmich und den früheren Nationalspieler Mario Gomez. Beide waren oft im Stadion, genau wie Andrea Berg, die Ferber 2007 geheiratet hat. „Es gefällt ihnen gut hier“, sagt Ferber. „Weil sie hier in Ruhe sitzen können.“