Die SPD-Spitze geht am Sonntag in Nauen in Klausur. Letztes Jahr ging das schief. Auch diesmal ist die Lage alles andere als rosig. Der Vorsitzende Sigmar Gabriel sei seit seiner Parteitagsschlappe unberechenbar wie ein „verletztes Raubtier“, heißt es.

Berlin - Mit Vorstandsklausuren an idyllischen Orten in Brandenburg ist das bei der SPD so eine Sache. 2008 kam ihr dabei am Schwielowsee mit Kurt Beck der Parteivorsitzende abhanden. Vergangenes Jahr versuchte die Parteispitze ihr Glück zum Jahresauftakt in Nauen. Die roten Backsteinbauten des Tagungsortes errichtete Mitte des 19. Jahrhunderts ein weitsichtiger Mann namens August Borsig, seines Zeichens Eisenbahnbauer. Seinen Arbeitern bot er eine Krankenkasse an. Eine Revolution war das damals. Kein schlechter Ort also für ein Treffen der deutschen Sozialdemokratie, möchte man meinen, und so zieht es auch dieses Mal zum Jahresbeginn die SPD-Spitze ins Havelland, um den Kurs für 2016 festzulegen.

 

Dumm nur, dass auch über Nauen schon ein Schatten liegt. Mit Grauen erinnern sich viele an das Treffen vor einem Jahr, als ein übellauniger Parteichef Sigmar Gabriel seinen Kritikern wüst in die Parade fuhr und die missratene Klausur den Startpunkt in ein frustrierendes Jahr markierte. Anfang 2016 ist die Lage nicht viel besser, eher sogar noch schlechter. Und das nicht allein deshalb, weil die schlechten Umfragewerte vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt nichts Gutes verheißen. Auch Gabriel gilt spätestens seit dem Parteitag im Dezember wieder als Problemfall, manche in der Partei vergleichen ihn gar mit einem „verletzten Raubtier“, das unberechenbar um sich schlägt.

Zwischenruf aus Kuba

Nur 74,3 Prozent sprachen ihm damals das Vertrauen aus. Selbst seine Kritiker fürchteten, dass er hinschmeißen würde, denn keiner derer, die ihn ersetzen könnten, will ihm derzeit folgen. Gabriel blieb, aber seitdem erlaubt er sich im Umgang mit der SPD eine noch ruppigere Gangart.

Deutlich wurde dies zuletzt im Umgang mit der Flüchtlingskrise und den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht. Die Union forderte umgehend schärfere Gesetze, raschere Abschiebungen straffälliger Flüchtlinge beispielsweise. Die SPD hielt in ersten Reaktionen dagegen, verwies auf bestehende gesetzliche Möglichkeiten der Abschiebung, die eben erst verschärft worden seien, und beließ es im wesentlich bei der Forderung nach mehr Polizisten auf Deutschlands Straßen. Aus dem fernen Kuba versuchte Gabriel, der Partei einen deutlich härteren Kurs aufzuzwingen. Gesetze seien, wenn nötig, zu verschärfen, straffällige Flüchtlinge sofort abzuschieben, selbst Rückführungen nach Syrien schloss er nicht aus. Afrikanischen Länder will Gabriel die Entwicklungshilfe kürzen, wenn diese abgelehnte Asylbewerber nicht zurück nehmen. Vorrang solle Haft im Herkunftsland haben. Das schrecke ab und entlaste den deutschen Steuerzahler. In Berlin wurde von diesen markigen Worten die SPD-Bundestagsfraktion völlig überrascht, die zeitgleich zum ersten Mal seit dem Jahreswechsel zusammentraf. Gabriels Positionen seien vielleicht „mit Fidel Castro abgestimmt“ gewesen, nicht aber mit der Parteispitze, sagt ein führender Genosse sarkastisch.

Es war ja manchem schon ziemlich übel aufgestoßen, dass es Gabriel nach dem missratenen Parteitag und der Silvesternacht vorzog, mit einer Wirtschaftsdelegation nach Kuba zu reisen. Aber dass er dann auch noch seine harte Linie lieber mit der „Bild“-Zeitung als mit der Fraktion besprach, steigerte den Frust und ließ selbst Gabriels treuen Gefolgsmann, Fraktionschef Thomas Oppermann, dezent vom Vizekanzler abrücken.

Unterstützung aus Niedersachsen

Die SPD steckt in der Flüchtlingsfrage ohnehin in der Klemme. „Unsere Anhänger haben da entweder Sympathie für Merkels Willkommenskultur oder aber für die AfD“, sagt ein prominenter Genosse. Gabriels härtere Gangart gilt parteiintern deshalb zum einen als Versuch, der AfD etwas entgegenzusetzen. Zum anderen aber versuche Gabriel damit, der Union die Chance zu nehmen, mit dem Verweis auf eine angeblich blockierende SPD über den Streit im konservativen Lager hinweg zu täuschen.

Es ist deshalb sicher kein Zufall dass es zwei SPD-Promis aus Gabriels niedersächsischem Dunstkreis sind, die, ganz in seinem Sinne, den Druck auf CDU-Chefin Angela Merkel erhöhen. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ließ die „Welt“ wissen, die Kanzlerin werde sich „korrigieren müssen“. Er forderte einen „Plan B“ und deutete an, dass notfalls die Binnengrenzen „ein Comeback“ erleben. Altkanzler Gerhard Schröder sagte dem „Handelsblatt“, er halte den unbegrenzten Zuzug von Flüchtlingen für einen schweren Fehler, die Kapazitäten seien begrenzt, alles andere sei „eine Illusion“.

In der SPD ist diese Positionierung alles andere als Konsens. Ein führender Sozialdemokrat sagte der StZ, damit stoße man eigene Wähler ab und ernte lediglich bei jenen Beifall, die am Ende eh AfD wählen. Trotzdem müsse in Nauen vor allem eines gelingen: „Wir dürfen nicht auftreten wie ein zerstrittener Hühnerhaufen“. Keine leichte Aufgabe für ein verletzte Raubtier an der Spitze der Partei.