Die bisherige Finanzstaatssekretärin Christine Lambrecht folgt Katarina Barley im Amt der Bundesjustizministerin nach. Sie bringt viel Erfahrung in der Rechtspolitik mit.

Berlin - Näher ist Baden-Württemberg der Leitung eines Bundesministeriums in dieser Wahlperiode noch nicht gekommen. Die künftige Justizministerin der Republik ist in Mannheim geboren, wo Christine Lambrecht später auch Jura studiert und zeitweise an der Berufsakademie gearbeitet hat. Aufgewachsen ist sie zwar im hessischen Viernheim, das 15 Kilometer nordöstlich gelegen ist und zu ihrem heutigen Wahlkreis Bergstraße gehört, den sie seit 21 Jahren im Bundestag vertritt. Aber immerhin hat ihr beruflich-politischer Werdegang nicht nur mit ihrer geografischen Nähe zum Atomkraftwerk Biblis, sondern auch mit dem Südwesten zu tun. „Schon sehr früh stand für mich fest, dass ich Juristin werden wollte“, schreibt die Sozialdemokratin auf ihrer Internetseite: „Dabei war mir die ehemalige deutsche Justizministerin Herta Däubler-Gmelin immer ein großes Vorbild.“ Nun tritt Lambrecht in die Fußstapfen der streitbaren Tübingerin, die in Gerhard Schröders ersten Kanzlerjahren dem Bundeskabinett angehörte.

 

Der entscheidende Anruf hat Christine Lambrecht ausgerechnet am Morgen ihres 54. Geburtstages erreicht. Am anderen Ende der Leitung war die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die zusammen mit ihrer mecklenburg-vorpommerschen Amtskollegin Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel nach dem Abgang von Parteichefin Andrea Nahles das kommissarische Führungstrio der SPD bildet. Die Parteispitze hatte laut Koalitionsvertrag das Recht, eine Nachfolgerin für die ins Brüsseler Europaparlament wechselnde Justizministerin Katarina Barley vorzuschlagen – und entschied sich für Lambrecht. Tatsächlich schilderte sie das Telefonat am Mittwochmorgen so, als ob Malu Dreyer erst tatsächlich „nur“ zum Geburtstag gratuliert habe, ehe sie mit dem Jobangebot herausrückte. Was wenige Stunden vor der offiziellen Vorstellung durch Schäfer-Gümbel am Mittwochnachmittag im Willy-Brandt-Haus folgte, war Lambrecht zufolge „ein Gänsehaut-Moment“.

Ein leidenschaftlicher Appell noch vor Amtsantritt

Die Neue erweckt bei ihrem ersten Auftritt als designierte Ministerin, die nächste Woche im Bundestag vereidigt werden dürfte, tatsächlich den Eindruck als gehe damit ein Lebenstraum für sie in Erfüllung. Als „tolles Haus“ bezeichnet sie ihr künftiges Ministerium unweit des Berliner Gendarmenmarkts, spricht von „einem ganz besonderen Amt“, das einen Ausgleich von Freiheit und Sicherheit zu gewährleisten und den Rechtsstaat als „Fundament der Demokratie“ zu bewahren und weiterzuentwickeln habe. Sie setzt auch gleich ein kleines politisches Ausrufezeichen, indem sie das jüngste Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gleich für den Appell nutzt, dass „rechter Terror nie wieder zu Angst führen darf“, weil dies zur „Staatsräson“ der Bundesrepublik gehöre.

In der Rechtspolitik macht ihr tatsächlich kaum jemand etwas vor. Sie gehörte 15 Jahre lang, von 1998 bis 2013 dem Rechtsausschuss des Bundestages an, zum Ende dieser Zeit verantwortete die Rechtsanwältin als stellvertretende Fraktionsvorsitzende die Bereiche Innen und Recht. „Es gibt kein rechtspolitisches Feld, in dem sie sich nicht auskennt“, sagt ihr hessischer Landsmann Thorsten Schäfer-Gümbel bei ihrer Vorstellung und zählt sie auf – von der Öffnung der Ehe und der Frauenquote über die Patientenverfügung und den Schutz von Einsatzkräften bis hin zum Mietrecht und dem besseren Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt.

Auch Johannes Fechner, der aktuell rechts- und verbraucherpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ist, freut sich „sehr darüber, dass das Justizministerium unter der Leitung von Christine Lambrecht zukünftig genauso kompetent geführt werden wird wie bisher“. Er habe die Neue als „äußerst fähige und zupackende Kollegin erlebt“, was genau das sei, was bei der anstehenden Reform der Strafprozessordnung und künftigen Gesetzespaketen für bezahlbares Wohnen notwendig sei. Und auch CDU-Politiker, die mit ihr in den Koalitionsverhandlungen Anfang 2018 zusammensaßen, finden zumindest an diesem Tag kein böses Wort über die Frau, die dann mit Antritt der neuen schwarz-roten Regierung als parlamentarische Staatssekretärin ins Finanzministerium von SPD-Vizekanzler Olaf Scholz wechselte und somit auch schon Regierungserfahrung aufzuweisen hat.

Die Hobbyköchin ist keine Lautsprecherin

Christine Lambrecht gilt eher als stille Arbeiterin, als Lautsprecherin ist sie in Berlin bisher nicht aufgefallen, was kein Nachteil sein muss, ihr andererseits aber auch nur einen sehr überschaubaren Bekanntheitsgrad beschert hat. Vier Jahre lang, zwischen 2013 und 2017, hat sie als parlamentarische Geschäftsführerin alle organisatorischen Belange ihrer Fraktion gemanagt – und vorneweg im Zusammenspiel mit den Amtskollegen der anderen Parteien die Tagesordnungen des Bundestages festgelegt. Ihre Briefings am Mittwochmorgen zählten dabei nicht unbedingt zu den Höhepunkten des Journalistenberufes, weil große Sensationen selten berichtet wurden. So jemanden wollte die SPD aber auch nicht ins Kabinett schicken, sondern eine die laut Interimschef Schäfer-Gümbel „Blockaden zu lösen, die Ärmel hochzukrempeln und das Ansehen der Regierung zu verbessern“ in der Lage ist. Das ist eine große Aufgabe, die auf Christine Lambrecht wartet, die von nichts weniger angetrieben wird als der „Vision einer gerechteren und sozialeren Gesellschaft“. Die Freizeit, die sie am liebsten mit ihrer Familie oder als leidenschaftliche Hobbyköchin verbringt, wird in jedem Fall weniger werden.