Die Italiener haben nach dem Scheitern ihrer Nationalelf geweint, aber sie erkennen daraus einen Trend: dem Land geht es schlecht – und nun auch dem Fußball.

Rom - Wo einst Wunder geschahen, findet sich heute nur noch ein Loch, ein verwahrlostes Areal. Zwischen wild wuchernden Bäumen und Sträuchern liegt Müll, alte Matratzen, auch Ratten sollen schon lange den Platz in Beschlag genommen haben. Auf dem Campo Testaccio hat 1931 der AS Rom Juventus Turin mit 5:0 geschlagen. Selbst ein Film wurde über dieses legendäre Spiel gedreht. Heute ist das einstige Stadion die offene Wunde des Viertels am Tiber, das als Wiege des römischen Fußballs gilt. An diesem Dienstag, dem Tag nach dem Spiel der italienischen Nationalmannschaft gegen Schweden, das mit einem 0:0 für die Italiener das Aus für die WM 2018 bedeutet, scheint es, als sei diese Wunde noch etwas weiter aufgerissen.

 

„Nach 60 Jahren sind wir nun auch im Fußball da, wo das Land sonst steht“, sagt Leonardo Starace. Den 57-Jährigen kennt man in Testaccio nur unter seinem Spitznamen Oio, angelehnt an die Figur Oliver Hardy, dem Dicken aus „Dick und Doof“. „Nicht weil ich besonders witzig bin – sondern wegen meiner Statur.“ Bei ihm bekommt man ehrliche römische Küche serviert, Ex-Nationalspieler und Roma-Legende Francesco Totti zählt zu seinen Stammgästen. An diesem Dienstagmorgen steht Oio neben seinem Tresen und zeichnet mit den Armen einen Ball in die Luft. „Was die Entwicklung Italiens angeht haben wir mit diesem Spiel am Montag nun den Kreis geschlossen.“ Der politische Weg des Landes, die Instabilität, die frustrierende Wirtschaftslage – das alles habe natürlich auch Auswirkungen auf den Fußball. „Wir Italiener haben kein Vertrauen mehr. Nicht in unser Land, nicht in die Politik und nun auch nicht mehr in den Fußball.“ Von einer „Vergogna Nazionale“, einer nationalen Schande, berichten die Medien. Das Aus der Azzurri hat dem Land den Rest gegeben.

Die Kinder ertragen es besser

Traurig sei er, aber geweint habe er nun nicht, sagt indes der 13-jährige Leonardo Astolfi, der sich gerade mit seinen Schulkameraden auf der Piazza di Santa Maria Liberatrice, dem Hauptplatz des Viertels, zusammengefunden hat, um zu einem Ausflug aufzubrechen. „So ist das nun mal im Sport“, sagt sein Kumpel Marco Marianni. Die Kinder sehen das weniger tragisch als die Erwachsenen. „Wären wir nach Russland gefahren, wären wir halt dort raugeflogen“, so Leonardo. Für ihn hat Trainer Gian Piero Ventura Schuld an allem: Falsche Spieler, falsche Aufstellung, falsche Taktik.

Die Funktionäre haben versagt, so auch Oios Meinung. Sie gehörten allesamt ausgewechselt. Aber es hänge am Ende doch alles mit der Gesamtsituation zusammen. „Niemand kümmert sich, alles verkommt, unser Viertel hier ist doch das beste Beispiel.“ Der Gastwirt verschwindet kurz in den hinteren Räumen seiner Trattoria und taucht nach wenigen Minuten mit einem Foto in der Hand wieder auf. „Das bin ich“, sagt er und deutet auf dem Mannschaftsfoto auf einen jungen Mann in der hinteren Reihe. Das Foto ist aus dem Jahr 1991. „Es wurde nur wenige Meter von hier aufgenommen. Dort wo jetzt die neue Markthalle steht, haben wir früher Fußball gespielt.“

An der Wand seines Restaurants hängt noch ein altes Schwarz-Weiß-Foto aus den 1940er Jahren, auf dem das vollbesetzte Stadion, der Campo Testaccio, zu sehen ist. 1940 geschlossen, diente es noch lange als Platz für die jungen Spieler im Viertel. In den 2000er Jahren wurde dann beschlossen, es neu aufzubauen, mit Parkplätzen darunter. Doch wie so oft in Rom: Die Bauarbeiten förderten archäologische Schätze zu Tage, der Bau verzögerte sich und wurde irgendwann aufgegeben. Ein Rechtsstreit begann, keiner fühlte sich mehr zuständig, der Platz verkam zu einem Dreckloch. Heute gebe es im gesamten Viertel, in dem einst der AS Rom seine Ursprünge hatte, keinen Fußballplatz mehr. „Wo sollen denn unsere Kinder hin?“, fragt Oio. Dabei sei die Jugendarbeit für den Fußball das wichtigste.

Ein Funken Hoffnung

Gegenüber der alteingesessenen Trattoria von Oio hat Giulio Orcani vor drei Jahren einen Imbiss eröffnet. Für das WM-Aus sei eine falsche Sportpolitik verantwortlich, findet auch er. „Ich meine nicht die Regierung, aber jede Entscheidung ist doch im Grunde etwas politisches“, philosophiert er über seine Theke hinweg. „Ich verstehe schon, dass wir die besten Spieler für unsere Liga einkaufen wollen“, so der 63-Jährige. „Aber die Ausbildung der Jungen im eigenen Land bleibt dabei auf der Strecke. Und wo sollen dann die Funktionäre für die Nationalmannschaft fischen gehen?“

Aber Giulio sieht auch das Positive: „Aus allen dramatischen Situationen, nicht nur im Fußball, sondern im ganzen Leben, schöpft man doch auch Kraft, neu anzufangen.“ Es gibt ja auch einen Funken Hoffnung: Im Sommer wurde von der Stadtregierung beschlossen, den Platz wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zuzuführen. Dem Fußball.