Für ihre Rolle als aggressiv smarte Anwältin in „How to get away with Murder“ hat Viola Davis einen Emmy gewonnen. Die US-Serie hat aber noch einiges mehr als eine tolle Frontfrau zu bieten: zum Beispiel jede Menge Erkenntnisse über die Manipulierbarkeit von Gerichtsverfahren.

Stuttgart - Gerechtigkeitsempfinden ist eine prima Sache. Aber völlig unbrauchbar, wenn man als Strafverteidigerin arbeiten will. Annalise Keating ist nicht nur eine einschüchternd forsche und teuflisch findige Anwältin, sie ist auch Lehrende an der Uni von Philadelphia. Ihren Studierenden bringt sie bei, das Recht in Aktion, einen Gerichtsprozess also, als komplexe Maschine mit vielen Stellrädchen, Hebelchen und Knöpfen zu sehen. Recht bekommt nicht der, dem es zusteht, sondern derjenige, der mit dieser Maschine am besten umgehen kann.

 

Annalise Keating, energisch gespielt von Viola Davis, ist zu Gefühlen und zu moralischen Wertungen durchaus fähig. Aber was die in Deutschland gerade auf DVD erschienene US-Serie „How to get away with Murder“ an Keating preist, ist deren Fähigkeit, sich von Gefühlen nicht stören zu lassen. Mit eiskaltem Verstand, gepaart mit taktischer Aggression, findet sie Lösungen, wenn ihre Mandaten schon aussichtslos in der Patsche zu sitzen scheinen. Noch vor ein paar Jahren wäre so eine offen pragmatische, man könnte auch sagen, manipulative Figur im US-Fernsehen als Heldin unvorstellbar gewesen. Schon der Titel hätte die Selbstzensur der Branche in Wallung gebracht. „How to get away with Murder“ heißt ja nichts anderes als: „Wie man auch mit Mord straflos davonkommt“.

Das neue Fernsehen trifft das alte

Im Ausland aufmerksam geworden auf diese Serie sind die meisten wohl im Sommer dieses Jahres, als Davis für ihre Rolle der Annalise Keating den Primetime Emmy als beste Hauptdarstellerin in einer dramatischen Serie erhielt – und zwar als erste afroamerikanische Darstellerin überhaupt. Das öffnete manchem die Augen für die noch immer verschobenen Wertigkeiten bei solchen Renommierevents der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Es weckte aber auch die Erwartung, hier käme wohl eine neue epische, horizontal erzählte Ausnahmeserie auf uns zu, eine jener stofflich wie stilistisch differenzierten, überraschenden und schonungslosen Serien, die uns auch nach dem Ende von „Breaking Bad“ noch aufs Fernsehen hoffen lassen.

Das Interessante an „How to get away with Murder“ ist aber, dass es gerade so ein Edelstück nicht ist und auch gar nicht sein soll. Die Serie läuft in den USA auf keinem vom üblichen Druck der Werbekunden befreiten Bezahlkanal wie HBO oder Netflix, sondern beim Senderveteranen ABC, der eigentlich tief in den Zwängen des konventionellen Fernsehens steckt. Wie „Southland“ auf dem Gebiet der Cop-Serie oder „Modern Family“ im Sitcom-Segment testet „How to get away with Murder“ aus, was an Innovation und Verstörungspotenzial möglich ist, ohne auf die alten Eigenschaften der US-Serie – Verständlichkeit der Einzelfolge, rasche Erfassbarkeit der Figuren, Geborgenheit in festen Abläufen und Stilmitteln – zu verzichten. Keating muss mit Hilfe ihrer Elitestudenten, die sie als miteinander konkurrierende Assistenten nutzt, in jeder Folge einen frischen Fall abschließen. Immer herrscht unglaublicher Zeitdruck, immer wälzen die Studenten in schnellen Schnitten Akten, immer debattieren sie im Kickboxtempo mögliche Prozessführungsvarianten durch.

Ein Tempo wie „Sherlock“

Aber jedes mal lernen wir so auch einen neuen Aspekt des Strafrechts respektive der Gerichtspraxis kennen. Früher hätte man die Geschwindigkeit der Serie und das Maß an Mitdenken, das sie erfordert, bei einem großen Sender nie und nimmer durchgehen lassen. Auch wenn die Bilder und Charaktere konventioneller sind: das Gedankentempo ist jenes der Kultserie „Sherlock“ und vielleicht ja dort entliehen.

Jenseits dieser abgeschlossenen Fälle aber gibt es zwei Mordfälle, die sich durch die ganze Staffel ziehen und in die Keating und ihre Studenten selbst verwickelt sind. In dieser neuen Serienwelt können auch die netten Figuren Blut an den Händen haben und lügen, was das Zeug hält.

How to get away with Murder – Staffel 1. ABC Studios, 4 DVDs. 615 Minuten. Extras: Hinter den Kulissen, entfallene Szenen, Pannen vom Dreh, Musikvideo.