In den USA steigt die Zahl der Corona-Infizierten weiter stark an – und trotzdem arbeiten alle großen Sport-Ligen mit Nachdruck daran, wieder in den Spielbetrieb einzusteigen. Sie spüren dabei, wie unberechenbar die Lage ist.

Stuttgart - Die US-Amerikaner lieben Statistiken, normalerweise. Diese aber fürchten sie: Am Mittwoch überschritt die Zahl der Corona-Infizierten die Marke von drei Millionen. Das Virus hat die USA weiter fest im Griff. Und damit auch den Profi-Sport. „Die Politik in Amerika hat im Kampf gegen die Epidemie versagt“, sagt Florian Jungwirth, deutscher Profi-Fußballer der San Jose Earthquakes. Einer der Brennpunkte ist aktuell Florida, und ausgerechnet dort wollen zwei der großen US-Ligen ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen. Der Sunshine State, orakelt deshalb der „Miami Herald“, könnte „ein Epizentrum des professionellen Sports“ werden. Ein Überblick.

 

Basketball

Wie viel Geld im Spiel ist, verdeutlicht diese Zahl: Der aktuelle TV-Vertrag garantiert der Profiliga NBA 2,36 Milliarden Euro – pro Saison. Einer der übertragenden Sender ist ESPN, der dem Disney-Konzern gehört. Alle gemeinsam sehen sich nun beim Blick auf ihre Konten gezwungen, die im März unterbrochene Saison zu Ende zu spielen. Wo? Klar, im Walt Disney World Resort in Orlando. Dort versammeln sich in dieser Woche 22 Teams, am 30. Juli soll es weitergehen. Zweieinhalb Monate lang, in drei Arenen, ohne Zuschauer und Kontakt zur Außenwelt, unter strengen Hygieneauflagen, mit zahlreichen Tests (nur nicht für das Hotel- und Sicherheitspersonal).

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Das Problem: Seit Beginn der Kontrollen am 23. Juni sind 25 von 351 NBA-Profis positiv getestet worden, darunter gleich vier Akteure der Brooklyn Nets. Zudem zweifeln viele Spieler daran, dass sich wirklich alle Kollegen an die strengen Regeln halten. „Jeder, der Probleme damit hat, sollte lieber daheim bleiben“, meint Daniel Theis von den Boston Celtics. Selbst NBA-Chef Adam Silver ist alles andere als sicher, dass der Neustart gut gehen wird. Weil sich das Virus nicht kaufen lässt, auch nicht von einer der reichsten Ligen der Welt. „Was wir am meisten fürchten, sind positive Tests bei Spielern nach der nun beginnenden Quarantäne-Periode in Orlando. Denn dann wüssten wir, dass unsere Blase ein Loch hat.“ Weshalb Silver auch den schlimmsten Fall nicht ausschließen will – einen zweiten Shutdown der NBA-Saison.

Fußball

Nicht nur die Basketballer sind in „Disney’s ESPN Wide World of Sports Complex“ kaserniert, sondern auch 550 Kicker und weitere knapp 500 Teammitglieder aus der Major League Soccer (MLS). Ein paar, die gerne in Orlando wären, fehlen allerdings. Der FC Dallas wurde ausgeschlossen, nachdem zehn Spieler und ein Trainer positiv getestet worden waren. Ähnliches droht dem SC Nashville (fünf positive, vier unklare Fälle). Dessen Auftaktspiel gegen Chicago Fire wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Das Geister-Turnier ging am Mittwochabend (Ortszeit) los, das Finale ist für 11. August angesetzt. Besonders im Fokus stehen wird Matt Lampson. Der Torwart von Columbus Crew will trotz seiner Krebserkrankung vor 13 Jahren spielen. Zugleich warnt er: „Ich gehöre zur Hochrisikogruppe, andere Spieler auch. Es ist ernst.“ Das findet auch Julian Gressel. „Die Situation ist beängstigend“, meint der deutsche Profi von D.C. United, „richtig schlimm.“ Don Garber, der mächtige MLS-Chef, wiegelt derweil ab. „Die Spieler sind sicher in Orlando“, sagt er, „sie befolgen die Regeln, tragen Masken, halten Abstand. Sie führen ein Leben in der Blase.“ Die allerdings, dessen sind sich alle bewusst, jederzeit platzen kann.

Baseball

Die verkürzte Saison in der Profiliga MLB soll am 23. Juli mit dem Duell zwischen Titelverteidiger Washington Nationals und den New York Yankees beginnen. Vor den Play-offs hat jeder Club nur 60 statt der ursprünglich vorgesehenen 162 Spiele, die Reisen wurden eingeschränkt. Seit Freitag darf wieder trainiert werden, jedes Team für sich, ohne Kasernierung. Doch schon jetzt gerät das Konzept ins Wanken: In einer ersten Testreihe wurde das Virus bei 31 Spielern und sieben Mitarbeitern nachgewiesen, betroffen waren 19 der 30 Vereine. Zu den positiv Getesteten gehört auch der viermalige Allstar Freddie Freeman von den Atlanta Braves. Dessen Trainer Brian Snitker warnt: „Dieses Virus ist echt. Und es ist nichts, mit dem man sich anlegen sollte.“

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Eishockey

Die nordamerikanische Profiliga NHL nutzt den Umstand, dass Kanada bisher viel besser durch die Corona-Pandemie gekommen ist als die USA. Der Plan sieht vor, die am Restart beteiligten 24 Teams am 26. Juli in Toronto (zwölf Clubs der Eastern Conference) und Edmonton (zwölf Clubs der Western Conference) zusammenzuziehen und unter strengsten Hygieneauflagen abzuschotten. Ab 1. August soll wieder gespielt und in Play-offs der Stanley-Cup-Sieger ermittelt werden. Ob das durchaus stimmige Konzept aufgeht? Ist alles andere als sicher – auch die NHL bewegt sich auf dünnem Eis. Am Montag gab die Liga bekannt, dass bisher 35 der 396 gemeldeten Spieler positiv getestet worden sind. Namen wurden nicht genannt. Sollte trotzdem alles glatt gehen, gehören die Edmonton Oilers mit ihrem deutschen Star Leon Draisaitl zu den Titelfavoriten. Der Stürmer hat sich im Kraftraum im Keller seines Hauses fit gehalten – und die Corona-Regeln strikt befolgt: „Rausgegangen bin ich nur mit meinem Hund und zum Supermarkt. Das war es auch schon.“

American Football

Die NFL hat einen großen Vorteil: Der Superbowl, das Finale der Saison 2019/20, fand im Februar statt. Vor der Corona-Pandemie. Es gibt aber auch ein paar Nachteile: In keiner anderen Sportart ist Körperkontakt ein so wesentlicher Bestandteil wie im American Football, nirgendwo gibt es größere Teams und Betreuerstäbe, aufgrund der körperlichen Belastung ist eine Saison im Schnelldurchlauf nicht möglich. Bisher ist das Ziel, am 10. September mit dem Duell zwischen Champion Kansas City Chiefs und den Houston Texans zu starten. Trotz der Corona-Krise gibt es sogar die Hoffnung, vor weitgehend vollen Tribünen spielen zu können. Dafür hat die NFL ein strenges Hygienekonzept erstellt – das aber nicht überall auf Akzeptanz stößt. „Wir sprechen jetzt über diesen ganzen Kram und spielen zugleich Football“, sagt Sean McVay, der Cheftrainer der Los Angeles Rams, „das ist für mich wirklich schwer zu verstehen.“