Was projizieren wir in unsere Kinder? Welche Konflikte können Generationen trennen? In Stuttgart ist Joël Pommerats Stück „Dieses Kind“ zu sehen.

Stuttgart - In der Krippe liegt das Kindlein – aber eigentlich ist es ja ein Ding, ein Holzklotz. Die Erwachsenen, die Väter und Mütter, umstehen es und sprechen alle nur von sich: „Dieses Kind gibt mir Kraft“ – „Für mein Kind werde ich mein Leben ändern“ – „Ich werde meiner Mutter zeigen, dass sie Unrecht hatte, mir nichts zuzutrauen.“ Im Studio-Theater wirft Regisseur Marek S. Bednarsky einen nachdenklichen, oft tragischen, manchmal erschreckend komischen Blick auf die prägendste Beziehung im Leben: die Eltern, das Kind, ein Abgrund aus Ängsten, Erwartungen, Projektionen.

 

Exemplarisch scheitert in den Szenen des französischen Dramatikers Joël Pommerat das Gespräch der Generationen. „Dieses Kind“ heißt sein Stück, entstanden 2006, seither mehrfach auch in Deutschland inszeniert. Pommerat griff auf Interviews zurück, die er mit Müttern in einem Problemviertel in einer nordfranzösischen Stadt geführt hatte; die Mitglieder des Ensembles, das nun im Studio-Theater spielt, besuchten ihrerseits im Herbst 2019 Stuttgarter Bürger, lasen in ihren Wohnzimmern. Einige Reaktionen versammelt das Programmheft zum Stück – und zeigt damit auf, wie komplex und allgegenwärtig das alte Thema noch immer ist.

Gefühle laufen ins Leere, Konflikte bestimmen Lebensentwürfe über Generationen hinweg

Joël Pommerat lässt nüchtern, knapp und ohne Auflösung zehn Szenen aufeinander folgen: Da sind der Sohn, der den kranken Vater verachtet, die Mutter, die sich erbittert an ihr Kind klammert. Die Frau, die Angst hat, zu gebären, und die junge Mutter, die ihren Säugling dem kinderlosen älteren Paar im Fahrstuhl schenken möchte: „Ich weiß, dass er bei Ihnen glücklich sein wird!“ Mirjam Birkl, Marion Jeiter, Dietmar Kwoka, Britta Scheerer und Tobias Strobl spielen diese Szenen mit großer Ausdruckskraft. Die nüchterne Anlage des Stückes kontert die Inszenierung mit höchster Emotionalität, zeigt Gefühle, die bitter ins Leere laufen, Konflikte, die Lebensentwürfe über Generationen hinweg bestimmen. Dietmar Kwoka stützt sich auf einen Stock, ist ein eigensinniger alter Tyrann, will seinen Sohn, der längst selbst ein Vater geworden ist, beherrschen. „Ich möchte so gern anders sein als du“, sagt Tobias Strobel, der Sohn, und weicht zurück.

Clementine Pohl hat die kleine Bühne im Studio-Theater für dieses Stück mit bunten, schönen, übergroßen Bauklötzen gefüllt. Sie können eine Grenze sein, ein Bett, eine Ruhebank, ein Thron. Die Schauspieler wechseln ihre Rollen, kleiden sich oft auf der Szene um. Zuletzt spricht das Ensemble den Text eines Kafka-Fragments: „Je länger man vor der Tür zögert, desto fremder wird man.“ Kaum ein Zuschauer, der kein Bruchstück seines Lebens wiederfinden wird im Mosaik dieser traurigen Szenen.

Weitere Termine: Sa., 18.1., D., 23.1., Fr., 24.1., Sa. 25.1., jeweils 20 Uhr