Es wird ernst, es wird feierlich im Theaterhaus. Der ehemalige Langstreckenläufer und Olympiasieger Dieter Baumann zeigt sein neues Programm. Es heißt „Dieter Baumann, die Götter und Olympia.

Stuttgart - Es wird ernst, es wird feierlich im Theaterhaus. Ein Mann im Anzug schreitet sehr verantwortungsbewusst über die Bühne, in den Händen die Fahne mit den fünf Ringen. Er befestigt sie an einer Staffelei, tritt ein wenig zurück, salutiert ergriffen, und entzündet schließlich die olympische Flamme, die nun gut zwei Stunden lang sein Programm „Dieter Baumann, die Götter und Olympia“ erleuchten wird. „Meine Damen und Herr’n!“, so spricht dieser Mann im Lauf des Abends immer wieder in den Saal hinein. Aber er meint es dann gar nicht so, die Anrede im hochdeutschen Alles-steif-und-offiziell-Modus ist nur Tarnung und wohl auch ein bisschen nervositätsüberbrückende Füllfloskel. Aber er ist schon immer noch der „Dieter Baumann von der Schwäbischen Alb“, wie ihn der TV-Reporter fassungslos nach dem phänomenalen Olympiasieg 1992 in Barcelona genannt hat.

 

„Feiern Sie mit!,“ so fordert Baumann auf seiner Homepage zum Premierenbesuch auf, aber schon im nächsten Satz wird der seit fünf Jahren auch kabarettistisch tätige Läufer vertraulich: „Ich würde mich freuen, wenn Ihr mit dabei seid.“ Und mit einem herzhaften „I bin der Dieter!“ stellt sich der immer noch drahtig-schlanke Baumann im Theaterhaus jetzt selber vor, fragt auch gleich, wer heute schon gelaufen sei, lobt den Manfred aus der ersten Reihe für dessen Halbmarathon-Zeit von einer Stunde sechsunddreißig und rügt ironisch den Thomas, der mit lauten Kommentaren auf sich aufmerksam macht: „Warsch’ du in der Waldorfschul’, weil du immer zwischenrufen muasch?“ Es wird also gleich familiär in diesem kleinen Saal, ein Gefühl zieht ein, als gehörten alle zu einer Gemeinde und lauschten den Anekdoten eines Erzählers, der auf die sportlichen Vorkenntnisse seines Publikums bauen kann. Wer zum Beispiel noch nie etwas von Filmon Ghirmai gehört hat, einem Freund und Trainingskollegen von Dieter Baumann, der ist an diesem Abend nicht mitten drin.

Wie war das also damals im Olympischen Dorf? Die Sieger jubeln nach dem Wettkampf, die Verlierer stürzen sich ins „Frustsaufen“. Aber bald sind fast alle dabei, es steigt die große Party mit großem Kennenlernen, die verteilten Kondome werden knapp, und er, der Dieter, beneidet natürlich die Luftpistolenschützen („Plop“), die schon am ersten Tag dran sind und dann drei Wochen lustig feiern können, während die 5000-Meter-Läufer mit ihrem Auftritt bis zum letzten Tag warten müssen. Die Medaillen? Sind gar nicht das Wichtigste. Das Wichtigste seien die limitierten Anstecker der teilnehmenden Länder, sagt Baumann, und holt mit stolzem Sammler-König-Grinsen seinen nadelgespickten Strohhut aus der Kulisse.

Ein schalkhafter Bub von der Alb

Zehn rare Fidschi-Pins hat er von einem Insel-Athleten bekommen, dessen Vorfahren, so wie Baumanns Eltern, Selbstversorger waren, allerdings nicht durch landwirtschaftliche, sondern durch kannibalische Betätigung. Und noch eine exotische Trophäe hat unser Mann aus der großen, weiten Welt mitgebracht, einen Mongolenhut, den er dem eitel-hünenhaften Träger mit einem buchstäblich aufgegabelten Löffeltrick abgejagt hat. Wenn der Dieter solche Geschichten erzählt, wenn dabei seine Äuglein hinter den runden Brillengläsern euphorisch strahlen, dann wirkt er tatsächlich wie ein schalkhafter Bub von der Alb.

Baumann bringt seine Anekdoten mit einem Schuss Selbstironie zum Laufen, führt seine Sätze flüssig ins Ziel. Das Angriffslustige freilich bleibt eher die Ausnahme. Wenn er die Fernsehsender auffordert, nicht nur über Fußball, Formel 1 und Boxen zu berichten, sondern auch wieder über Leichtathletik („Sendet uns!“), dann klingt das eher nach Bitte denn nach Anklage. Nur bei seiner IOC-Nummer, bei der Baumann mit einem Stift an einer Tafel steht und anhand eines Kenia-Trainingscamps einen Korruptionskreislauf aufzeichnet, blitzt eine satirische Schärfe auf, die seinem Programm sehr gut tut. „Immer diese mehrgängigen Menüs, nie a’ Wurschbrot!“, so macht sich der Kabarettist über die Funktionäre her und beziffert dann allein die jährliche Aufwandsentschädigung des „ehrenamtlich“ tätigen IOC-Präsidenten Thomas Bach auf 700 000 Dollar.

Immer wieder zum Lauf-Programm

Nun gut, ein bisschen Geld, gibt Baumann zu, erhält er auch selber für die Namensnennung des Herstellers seiner blauen Laufschuhe mit den orangenen Schuhbändeln, die er zur Bügelfaltenhose vorführt. Und auch vor der ominösen Doping-Affäre, mit der sein Name immer noch verbunden ist, drückt er sich nicht. „Wer hat die Zahnpasta manipuliert?“, liest er eine Frage auf jenen Karten vor, die vor der Aufführung ans Publikum verteilt wurden. „Keine Ahnung.“, antwortet er lapidar. „Wird es Marathon-Zeiten unter zwei Stunden geben?“, lautet die nächste Frage. „Nur mit manipulierter Zahnpasta!“, sagt Baumann mit resignierter Süffisanz.

Immer wieder kehrt das laufende Programm also zum Lauf-Programm zurück, zu Fragen, ob man mit oder ohne Uhr trainieren solle, ob Sex vor einem Marathon schädlich sei, und was Baumann von Kompressions-Shirts oder Kopfhörern halte. Nichts, sagt er, empfiehlt dafür ein Lauftagebuch, in dem in mahnenden Großbuchstaben auch drinstehen müsse, wann man nicht gelaufen sei. Und dann natürlich die Luftholtechniken: Wichtig sei beim Atmen vor allem eins: „Darauf achten, dass Sie nicht ersticken!“