Die Digitalisierung braucht eine moderne Breitband-Infrastruktur. Doch insbesondere beim Breitband auf dem Land in Baden-Württemberg gibt es noch viel zu viele weiße Flecken auf der Landkarte. Amtzell im Allgäu hat selbst etwas dagegen getan.

Ravensburg - Amtzell hat gehandelt. Die 4200-Einwohner-Gemeinde, zu der auch 124 Weiler und Höfe, etwas Einzelhandel, medizinische Versorgungseinrichtungen und eine Filiale der Kreissparkasse Ravensburg gehören, baut das schnelle Internet aus. 65 Prozent der Bevölkerung sind schon angeschlossen, „aber es gibt noch Breitbandnotstandsgebiete“, sagt Clemens Moll, Bürgermeister der Kommune im Landkreis Ravensburg. In Amtzell wurde eine App entwickelt, über die sich die Bürger zeitnah über alles in der Gemeinde informieren können, es gibt freies WLAN und Mobilitätsangebote für Ältere, damit diese länger selbstbestimmt leben können. „Wir haben vieles ausprobiert und uns manchmal eine blutige Nase geholt“, berichtet der Bürgermeister. Er ist überzeugt: „Jede Kommune braucht einen Plan für die Digitalisierung.“ Und: „Die Verwaltung muss mitmachen. Da liegt auch auf Landesebene noch vieles im Argen.“

 

Doch vielfach fehlt die Infrastruktur für die Digitalisierung. Es gibt zu wenig leistungsfähige Breitbandanschlüsse in Baden-Württemberg, zu viele „weiße“ Flecken. 2,3 Millionen Anschlüsse im Land haben kein schnelles Internet, sind manchmal so langsam, dass selbst E-Mails nur mit Mühe durchgehen. Trotz der Innovationsoffensive der Landesregierung zum Ausbau der Infrastruktur sowie zusätzlicher Mittel vom Bund ist es nach Ansicht von Moll „eine Utopie zu glauben, wir hätten in den nächsten ein bis zwei Jahren flächendeckend schnelles Internet“.

Moll hat in Amtzell in einem Testversuch Tablets an ältere Mitbürger verteilen lassen, bei denen diese Mobilitätsdienstleistungen, medizinische Angebote oder einen Einkaufsservice nutzen konnten. Die Senioren hätten erkannt, dass Digitalisierung einen konkreten Nutzen hat, meint Moll. Letztlich geht es ja darum, dass Technik und Innovationen den Menschen das Zusammenleben erleichtern sollen.

Junge Kreative zieht es wieder aufs Land

Mehr Bandbreite in Baden-Württemberg ist für ländliche Gemeinden die Chance, die Landflucht zu stoppen und auch für junge Menschen attraktiv zu sein. Für Professor Wilhelm Bauer, geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart und Technologiebeauftragter des Landes Baden-Württemberg, ist es der Breitbandausbau, der für die Entwicklung des Landes, speziell der ländlichen Regionen, entscheidend ist.

Er sieht eine mögliche Trendwende zurück aufs Land: „Junge Kreative ziehen wieder aufs Land und finden dort günstigen Wohnraum und neue Gemeinschaftsformen vor – oder entwickeln sie selbst. „Das flache Land hat also definitiv eine Zukunft“, glaubt er. Voraussetzung sei aber, dass dort die richtigen Standortbedingungen geschaffen würden, „besonders in Verbindung mit Digitalinfrastrukturen und intelligenten Mobilitätsdiensten.“

Ohne Breitband auf dem Land geht es nicht

Baden-Württemberg muss nach Ansicht Bauers darauf vorbereitet sein, dass bald nicht nur jeder Mensch, sondern auch jedes Auto, jeder Gegenstand wie Waschmaschinen, Heizungen, Öfen sowie Maschinen in Fabriken und vieles mehr miteinander vernetzt sein werden: „Das wird die Welt der Zukunft sein. Wir brauchen den bedarfsorientierten Ausbau digitaler Höchstleistungsnetze mit Glasfaser und 5G-Standard. Dies ist zentral für zahlreiche Infrastrukturbereiche, den Verkehr, die Logistik, Gesundheit, Energie und mehr. Genauso sollten wir hier aber auch die Software, also Hochleistungsserver für heimische KI bedenken.“

Künstliche Intelligenz (KI), Roboter und autonome Systeme, Gentechnologie und bio-intelligente Systeme könnten nur dann genutzt werden, wenn die entsprechende Infrastruktur geschaffen werde und übertriebene Sicherheitsängste oder ein allzu einschränkender Datenschutz überwunden würden. Wenn Estland mit seinen begrenzten Mitteln in der Digitalisierung so weit sei, dann könne Deutschland das auch. Die Digitalisierung sei eine große Chance – auch weil Europa in den nächsten 20 Jahren etwa ein Drittel des heutigen Arbeitskräftepotenzials verloren gehe und es zu wenige qualifizierte Arbeitskräfte etwa im Bildungswesen, in der Informationstechnologie oder in den Naturwissenschaften gebe.

Flächendeckendes Internet ist essenziell

Georg Licht, Leiter des Forschungsbereichs „Innovationsökonomik und Unternehmensdynamik“ beim Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), stimmt Bauer zu. Breitband auf dem Land sei nicht nur für die vielen Weltmarktführer Baden-Württembergs essenziell, wenn sie ihre Führungspositionen behaupten wollten und die neuen Herausforderungen in der industriellen Produktion von Autos, Maschinen, Dienstleistungen und Nahrungsmitteln bewältigen wollten. Es sei aber auch deshalb wichtig, damit Menschen bereit seien, dort einen Arbeitsplatz anzunehmen: „Die wollen auch privat eine sehr gute Internetverbindung, die vielfach nicht vorhanden ist.“ Licht fordert, dass auch öffentliche Dienstleistungen schnell elektronisch vorhanden sein müssen, damit die Provinz nicht abgehängt wird.

Aus der Sicht Bauers sind die Weiterentwicklung und der Ausbau der bestehenden Infrastruktur „fast am wichtigsten“. Intelligente Technologien könnten bei den Infrastrukturen von morgen helfen, Schäden zu erkennen, bevor sie auftreten, und dadurch massiv Kosten einsparen.“ Dafür brauche es neben mehr Bandbreite in Baden-Württemberg und insbesondere Breitband auf dem Land auch neue Finanzierungs- und Geschäftsmodelle „an der Schnittstelle von öffentlicher und privater Hand – nur dann kann sich Baden-Württemberg im globalen Wettbewerb weiterhin als innovationsstärkster Standort mit der modernsten Infrastruktur behaupten.“