Mittelständler gehen Digitalisierung stark von der technischen Seite an. Die Kundenperspektive einzunehmen und daraus neue Geschäftsmodelle zu entwickeln fällt ihnen oft schwer. Ein Beispiel zeigt, wie es gehen kann.

Stuttgart - Mittelständler erwarten von ihrer Hausbank immer öfter Unterstützung auf dem Weg der Digitalisierung, sagt der ehemalige Commerzbanker Joachim Köhler. Nicht bei Technologie oder Prozessen, da seien deutsche Mittelständler spitze. Sie wollen Hilfestellung bei der „Veränderung der Geschäftsmodelle in der digitalen Welt“. Köhler ist Geschäftsführer und Mitgründer von Openspace, der Digitalisierungsplattform der Commerzbank für mittelständische Firmen, die sich fragen: Was bedeutet Digitalisierung für mein Geschäftsmodell, und was kann ich tun, um mich darauf vorzubereiten? Openspace ging 2016 als Ausgründung der Bank in Berlin an den Start und hat seit diesem Jahr einen Standort in Stuttgart.

 

Die Frage nach der Entwicklung eines zusätzlichen Geschäftsmodells beschäftigt auch Christian Benz, den Vorstandsvorsitzender des Automatisierungsspezialisten Jetter aus Ludwigsburg. „Wir wissen, was Digitalisierung ist“, sagt Benz. „Aber wir gehen die Themen stark von der technischen Seite an. Für das Gesamtverständnis ist für uns vor allem die Kundenperspektive wichtig: Was braucht der Markt?“

Digitalisierung aus der Kundenperspektive

Auf Openspace aufmerksam geworden ist Benz im November 2017 bei einer Messe in Ludwigsburg. Bereits im Dezember sind er und ein enger Führungszirkel zu einem ersten Workshop für drei Tage nach Berlin gefahren. Dabei wurde eine Ergänzung zum Geschäftsmodell entwickelt.

Jetter liefert Steuerungen unter anderem für kommunale Fahrzeuge wie etwa die Müllabfuhr, den Winterdienst oder Straßenkehrmaschinen. Im Workshop hat das Team um Benz zunächst die Sicht der Kommunen, Bewohner und Fahrzeughersteller auf die Fahrzeuge herausgearbeitet. Die Kundenperspektive, das bedeutete in diesem Fall: Bürger wollen wissen, ob ihre Straße bei Schnee schon um sechs Uhr gekehrt ist, Fahrzeugbauer interessieren sich dafür, wann sie einen Wartungsdienst anbieten können oder wann ein Ölfilterwechsel ansteht und nicht zuletzt fragt sich die Stadtreinigung, wo sich ihr Fahrzeug befindet und welches die optimale Route ist, erläutert Benz.

Am Ende stand die Idee im Raum, eine Vernetzungs- und Handelsplattform zu entwickeln, auf die alle Beteiligten zugreifen könnten. „Wir fragten uns, was brauchen diese Leute, wo ist ein mögliches Einsparpotenzial?“, berichtet der Jetter-Chef. Was das alles mit Jetter zu tun hat? Das Ludwigsburger Unternehmen könnte für kommunale Fahrzeuge unter anderem die Elektronik liefern, damit die entsprechenden Daten die Plattform erreichen. Die Daten wiederum könnten weiter analysiert werden, um zusätzliche Erkenntnisse daraus zu ziehen.

Impulsgeber aus dem Netzwerk von Openspace

Openspace zeigt Mittelständlern wie Jetter nicht den fertigen Weg auf, den sie gehen sollten, sondern begleitet Firmen bei dem Prozess, die richtigen Fragen zu stellen und Schlüsse daraus zu ziehen. Das Ziel steht in der Regel zu Beginn noch nicht fest. Die Herangehensweise ist immer gleich: „Zum Auftakt erarbeiten wir mit der Führungsspitze gemeinsam, was zu tun ist – eine Vision“, sagt Köhler. Ihm ist wichtig, mit der Führungsspitze anzufangen, „denn der Kopf einer Firma muss wissen, was passieren soll“. Andernfalls werde das Unternehmen nicht den gewünschten Erfolg haben.

In dem auf drei Tage angelegten Workshop mit der Unternehmensspitze werde sehr intensiv gearbeitet und Impulsgeber aus dem Netzwerk von Openspace mit einbezogen. Danach werde das mittlere Management bis zu fünf Tage geschult und im Anschluss eine Kernmannschaft an Mitarbeitern sechs Wochen lang zu digitalen Assistenten ausgebildet. In der Umsetzungsphase unterstütze Openspace tageweise.

Für Jetter ein Meilenstein

Benz hat das Konzept von Openspace überzeugt. „Der Workshop fand in lockerer Umgebung statt, alle nannten sich beim Vornamen, andererseits wurde sehr intensiv gearbeitet.“ Schnell mal Mails in der Pause beantworten, das lief nicht. „Digitalisierung ist kein Hobby“, sagt Köhler, „nebenbei wird das nicht funktionieren.“ Auch die Abende waren für Benz wichtig. „Bei der Vielzahl an Themen haben wir uns die Köpfe heiß geredet“, sagt der Jetter-Chef, man habe sich mit anderen Start-ups und Leuten aus dem Netzwerk von Openspace ausgetauscht.

Die Impulse von außen haben Jetter vorangebracht. In einem ersten Schritt hat das Ludwigsburger Unternehmen begonnen, eine digitale Plattform zu bauen und diese dann im Februar vor eigenen Kunden präsentiert. „Wir wollten in echt zeigen, was prinzipiell damit möglich ist“, sagt Benz. Das Ergebnis hat den Jetter-Chef überzeugt: „Wir haben standing ovations von unseren Kunden bekommen.“ Für Jetter war das ein Meilenstein. In einem weiteren Schritt erfolgte dann die Gründung des Start-ups Coclean. Im Mai auf der Abfallmesse Ifat in München wurde Coclean einem größeren Kreis potenzieller Interessenten vorgestellt. Weil die Rückmeldungen hier ebenfalls sehr gut ausfielen, steht Benz nun vor der Entscheidung: „Entwickeln wir das Projekt weiter mit dem Ziel, eine große kommunale Plattform zu bauen? Und falls ja, machen wir das allein oder mit Partnern zusammen.“